Landtagswahlen Sonderrolle für Manuela Schwesig im Wahlkampf

Die SPD geht in Mecklenburg-Vorpommern auf Brautschau. Im Mittelpunkt steht dabei nicht der amtierendere Ministerpräsident Erwin Sellering, sondern Manuela Schwesig. Sie hat sich zur Geheimwaffe der SPD gemausert.

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Drapiert Quelle: Werner Schüring für WirtschaftsWoche

Die Samtpantoffeln parken im rechten Winkel zum Krankenbett, die grauen Locken sind adrett gelegt, die Schlafanzüge frisch gebügelt. Auf unangemeldeten Besuch sind die beiden reiferen Damen in Zimmer fünf stets eingestellt. Aber als sich die Tür öffnet und eine junge Frau im bunten Sommerrock hereinweht, sind die Rentnerinnen sprachlos. Sieht die Besucherin nicht genauso aus wie diese Politikerin aus dem Fernsehen? Oder ist sie das sogar?

„Ich bin Manuela Schwesig, Ihre Gesundheitsministerin“, ruft der Gast und eilt zur Begrüßung an die Federkissen. „Ich bin gekommen, um mir Ihr Krankenhaus anzuschauen.“ Die Patientinnen strahlen, zumindest soweit ihnen das möglich ist. Irmgard Krampitz hat ein blaues Auge. Ihre rechte Gesichtshälfte ist zugeschwollen, seit sie über die Türschwelle ihrer Gartenlaube stolperte. Deshalb lächelt sie nur noch mit links. Aber es tut schon fast gar nicht mehr weh, so viel kann sie der Besucherin berichten.

Vor ihr ist niemand sicher

Die Ministerin erkundigt sich nach dem Befinden, dem Pflegepersonal, der Ausstattung der Patiententoilette und was sie sonst noch für die Damen tun könne. Deren Hände drückt sie ganz fest, dann muss sie weiter. Bevor die Tür hinter ihr ins Schloss fällt, blicken die Rentnerinnen sich an. „Bald ist Wahl“, wispert die Bettnachbarin, und Irmgard Krampitz nickt verständig. Zum Abendessen gibt es Graubrot.

Vor Manuela Schwesig kann in diesen Wochen niemand sicher sein. Kein SPD-Politiker tourt so ausdauernd durch Mecklenburg-Vorpommern wie sie, von Ministerpräsident Erwin Sellering vielleicht gerade noch abgesehen. Am nächsten Sonntag wird in Deutschlands nordöstlichstem Bundesland gewählt. Wie allerdings der amtierende Regierungschef aussieht oder wie die Spitzenkandidaten der anderen Parteien heißen, das dürfte in ferneren Teilen der Republik nur eingefleischten Politikfetischisten geläufig sein. Wenn in der „Tagesschau“ oder dem „heute-journal“ eine Landespolitikerin zu Wort kommt, dann ist es Manuela Schwesig.

Ihr Wiedererkennungswert ist hoch, seit sie als stellvertretende SPD-Vorsitzende im Frühjahr die Verhandlungen um die Hartz-IV-Reform führte. Ihre Gegnerin damals hieß Ursula von der Leyen, und die CDU fühlte sich von ihrem sozialdemokratischen Widerpart gelegentlich geradezu über den Tisch gezogen. SPD-Chef Sigmar Gabriel nannte Mecklenburg-Vorpommerns Sozialministerin damals etwas verunglückt Erwin Sellerings „bestes Stück“.

Es war der Ministerpräsident selbst, der Schwesig vor vier Jahren entdeckt hatte. Damals schrieb die diplomierte Finanzwirtin im Landesfinanzministerium an neuen Gesetzen, es ging darin vor allem um ein schärferes Steuerstrafrecht. Abends leitete sie die Sitzungen der SPD-Fraktion in der Schweriner Stadtvertretung. Sie fiel Sellering auf, als sie die Abwahl des Sozialdezernenten forderte. Kurz zuvor war bekannt geworden, dass die fünfjährige Lea-Sophie verhungert und das Jugendamt tatenlos geblieben war. Der Fall machte bundesweit Schlagzeilen. Manuela Schwesig auch.

Der CDU-Spitzenkandidat, Quelle: dapd

Wenig später saß sie an Sellerings Kabinettstisch. Mit 34 war sie damals die jüngste amtierende Ministerin Deutschlands. Auch heute noch pflegen Schwesig und Sellering ein enges, loyales Verhältnis. Tatsächlich aber hat die SPD-Politikerin vieles, was ihrem Spitzenkandidaten fehlt: Sie wurde im Osten geboren. Sie ist telegen. Und sie kann die Menschen, die sie trifft, schnell einnehmen. Für ihre Partei taugt sie daher als Geheimwaffe.

Neulich erst fragten ihre Mitarbeiter bei allen SPD-Landtagskandidaten an, wer sich im Wahlkampf Unterstützung durch einen Besuch der Sozialministerin wünsche. Am Ende mussten sie eine Reise durch sämtliche Wahlkreise organisieren. „Manuela Schwesig steht eben in der ersten Reihe“, sagt Heinz Müller, der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion. Und fügt schnell noch hinzu: „Neben Erwin Sellering natürlich.“ Der CDU ist die Sache langsam etwas unheimlich. Ihr Spitzenkandidat Lorenz Caffier beschimpfte Schwesig neulich erst als „Küsten-Barbie“.

Teure Erkenntnis

Der Politikerin nicht zu begegnen ist derzeit in Mecklenburg-Vorpommern nahezu unmöglich. Patienten, Krankenpfleger, Senioren, Krabbelgruppen, Hip-Hop-Tänzer oder Hartz-IV-Kinder dürfen mit ihrer Aufwartung rechnen. Allerdings bringt Manuela Schwesig nach jedem Treffen nicht nur ein paar Wählerstimmen, sondern auch eine Lehre für ihre eigene Politik mit: Aus dem Krankenzimmer von Irmgard Krampitz die Erleuchtung, dass Dreier-Belegungen abgeschafft gehören, weil sie den Schwestern das Rangieren mit den Betten erschweren. Aus dem Jugendklub in Stralsund die Erkenntnis, dass die neuen Gelder für Sozialarbeiter aus dem Hartz-IV-Bildungspaket bei den Kommunen noch immer nicht ankommen. Und aus dem Seniorenheim in Grimmen die Bestätigung, dass Pflegekräfte unbedingt höhere Löhne bräuchten, wenn man den Notstand in den Heimen beseitigen will. Allerdings könnte die Umsetzung solcher Erkenntnisse ziemlich teuer werden. Was den Wähler wiederum wenig interessiert.

Für Manuela Schwesig ist ihr Besuchsprogramm eine Form politischer Willensbildung von unten nach oben. „Als Politiker sollte man möglichst oft vor Ort sein und viele Menschen treffen. Sonst weiß man nicht, was diese Menschen bewegt“, sagt sie. Mindestens alle vier Wochen plant sie in ihrem Kalender einen Praxistag ein. Auch dann, wenn kein Wahlkampf ist.

In diesem Jahr beispielsweise hat sie mit Schulsozialarbeitern Jugendliche aus Hartz-IV-Familien betreut, in einer Kinderklinik in Neubrandenburg beim Füttern assistiert oder einem Hausarzt in Bützow über die Schulter geschaut. Der hat seinen Patienten in der Sprechstunde erklärt: „Wir haben hier heute eine Praktikantin aus dem Sozialministerium.“

Manuela Schwesig war in der Bundespolitik unerfahren, als Frank-Walter Steinmeier sie im Sommer 2009 in sein Kompetenzteam für den Bundestagswahlkampf holte. Schon bei der ersten Begegnung, sagt er heute, sei ihm klar gewesen: „Manuela Schwesig entwickelt eine bemerkenswerte Hartnäckigkeit – und sie kann mit einer hohen persönlichen Überzeugungskraft auftreten. Das ist eine ihrer großen Stärken.“

Nerven mit Widerspruch

In der Berliner SPD-Zentrale gilt sie als ehrgeizig. Und als beharrlich genug, Parteichef Gabriel in Präsidiumssitzungen mit Widerspruch zu nerven. Man weiß nicht, wo man sie eines Tages wiederfinden wird. Mal angenommen, die SPD würde tatsächlich 2013 die Bundestagswahl gewinnen, dann könnte sie auch in ein Regierungsamt nach Berlin wechseln, glauben viele in der Partei. Ihr Wiedererkennungseffekt wäre dann noch ein bisschen höher.

Nur neulich beim Arzt-Praktikum, da war sich einer der Patienten nicht sicher. Als er das Sprechzimmer verließ, drehte er sich noch einmal um. „Wissen Sie was?“, kicherte er. „Sie sehen der Sozialministerin unglaublich ähnlich.“

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