Lieferkettengesetz „Wir treiben kleine Lieferanten in die Arme Chinas“

Gabriel Felbermayr wechselt im Oktober zum Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung. Quelle: dpa

Der Bundestag hat das Lieferkettengesetz beschlossen, das Menschenrechtsverletzungen bei ausländischen Zulieferbetrieben verhindern soll. Doch das Paragrafenwerk könnte den Entwicklungsländern am Ende mehr schaden als nutzen, warnt Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft.

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Gabriel Felbermayr ist seit März 2019 Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in Kiel. Zuvor arbeitete der Handelsexperte beim Münchner ifo Institut.  

Herr Felbermayr, das Lieferkettengesetz ist verabschiedet, ab 2023 sind global agierende Unternehmen ab 3000 Mitarbeiter verpflichtet, bei ausländischen Zulieferern die Arbeitsbedingungen zu kontrollieren. Eine gute Idee?
Nein, zumindest nicht in dieser Form. Dieses Gesetz kommt zu einer Zeit, in der viele Lieferketten ohnehin gefährlich instabil sind. Wer mit ausländischen Zulieferern zusammenarbeitet, geht künftig mit Blick auf mögliche Strafzahlungen per se ein Risiko ein. Neue Anbieter, etwa aus Afrika, werden es daher künftig schwerer haben, in deutsche Lieferketten integriert zu werden. Das Ziel, unwürdige Arbeitsbedingungen und Kinderarbeit zu verhindern, ist natürlich völlig richtig. Aber meine Sorge ist, dass dieses gut gemeinte Gesetz den Menschen in den Entwicklungsländern am Ende eher schadet als nutzt.

Das müssen Sie erklären.
Viele Unternehmen dürften sich künftig aus besonders gering entwickelten und vulnerablen Ländern mit schwachen Institutionen zurückziehen. Das sind aber gerade die Länder, wo ein Engagement der deutschen Industrie ein wichtiger Hebel für mehr Wohlstand und bessere Arbeitsbedingungen ist. Und wer nimmt den Platz ein, wenn die Deutschen gehen? Mit großer Sicherheit chinesische Firmen, vielleicht auch russische. Ich halte es für relativ unwahrscheinlich, dass sich die Arbeitsbedingungen dann verbessern.

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Mit Blick auf ihre Geschäfte dürften sich deutsche Firmen aber aus vielen anderen Ländern weder zurückziehen wollen noch können. 
Hier wird es einen Konzentrationseffekt bei den Lieferanten geben: Statt mit 50 Zulieferern in Bangladesch arbeitet man dann eben nur noch mit fünf oder sechs zusammen - weil nur so eine Kontrolle überhaupt möglich ist und die Bürokratiekosten darstellbar bleiben. Von diesem Umbau der Lieferkette profitieren vor allem Großbetriebe, während kleine Firmen durchs Raster fallen. Die wandern dann wahrscheinlich in den informellen Sektor ab. Oder sie werden wiederum in die Arme chinesischer Firmen getrieben. 

Haben Sie einen Gegenvorschlag?
Auf jeden Fall wäre ein koordiniertes europäisches Vorgehen sinnvoll. Ich plädiere für eine – von der Politik geführte – Negativliste. Lieferanten, die Menschenrechte missachten, könnten von der EU nach einem Konsultationsprozess auf diese Liste gesetzt werden und wären dann für eine bestimmte Zeit für die Lieferketten gesperrt. Dadurch würden aufwändige Mehrfachprüfungen derselben Lieferanten durch eine Vielzahl europäischer Importeure entfallen.  Eine solche Negativliste wäre zielgenau, rechtssicher und mit weit weniger Bürokratie und Kosten verbunden.

Mehr zum Thema: Der Koalitionsstreit in Deutschland um das Lieferkettengesetz scheint beigelegt, doch in Brüssel bahnt sich bereits ein neuer Konflikt an: Welche Verantwortung müssen Unternehmen für Menschenrechte tragen?

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