LKA-Beamte zur Schottdorf-Affäre „Es geht um die Glaubwürdigkeit der Justiz“

In der Schottdorf-Affäre hatten sich zwei LKA-Beamte dagegen gewehrt, dass Verfahren gegen 10.000 Ärzte begraben werden. Dann wurde gegen sie selbst ermittelt. Nun hat ein Gericht festgestellt: Das war Schikane.

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Verklagte mit Erfolg das Land Bayern.

München Stephan Sattler (55) wirkt zufrieden. Der Kriminalhauptkommissar beim bayerischen Landeskriminalamt hat soeben erfahren, dass ihn das Landgericht München I rehabilitiert hat. Zusammen mit seinem Kollegen Robert Mahler (35) hatte er im Schottdorf-Fall nicht locker gelassen – und damit den Unmut der bayerischen Strafverfolgungsbehörden erregt. Das Handelsblatt sprach exklusiv mit den Polizisten.

Herr Sattler, Sie haben gegen das Land Bayern gesiegt. Wie geht es Ihnen nach dem Urteil?
Ich bin innerlich aufgeräumt. Als Sieg gegen das Land Bayern möchte ich das Urteil allerdings nicht verstanden wissen. Ich liebe meine Heimat.

Aber sie haben den Freistaat Bayern verklagt?
Ja richtig. Das ging leider nicht anders. Wenn man gegen rechtswidrige Entscheidungen von Staatsdienern vorgehen möchte, kann man sich nur an den zuständigen Dienstherrn, in meinem Falle an den Freistaat Bayern wenden. Das war für mich gar nicht so einfach, weil ich als Kläger praktisch die Allgemeinheit verklage.

Spüren Sie Genugtuung?
Ja und nein. Mir wäre es schon am liebsten gewesen, wenn es der Klage nicht bedürft hätte. Eine ernst gemeinte Entschuldigung der Verantwortlichen wäre mir offen gestanden lieber gewesen.

Das Gericht hat ausgeführt, dass die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen Sie wegen angeblich uneidlicher Falschaussage in einem Prozess amtspflichtwidrig waren. Wieso?
Das Verfahren war komplett an den Haaren herbeigezogen und verstieß obendrein gegen den Beschleunigungsgrundsatz. Das Gericht wirft den leitenden Staatsanwälten vor, entweder die Akten nicht gelesen oder keinerlei rechtliche Prüfung vorgenommen zu haben. Mit anderen Worten ausgedrückt: Verfolgung Unschuldiger.

War das damals eine Schikane, um Sie an weiteren Ermittlungen in der Schottdorf-Affäre zu hindern?
Wenn man sich vor Augen führt, dass genau derjenige Leitende Oberstaatsanwalt die Aufnahme von Ermittlungen gegen mich forcierte, den ich zuvor beschuldigt hatte, die Ermittlungen gegen Tausende Ärzte zu behindern, kann man eins und eins zusammenzählen.

Was passiert nun mit den Staatsanwälten bzw. dem damaligen Leiter der Staatsanwaltschaft München I Nötzel, der die Ermittlungen laut Urteil ja persönlich angeordnet hatte?
Gute Frage! Die Generalstaatsanwaltschaft müsste meiner Meinung nach spätestens jetzt von Amts wegen Ermittlungen wegen Rechtsbeugung und Verfolgung Unschuldiger einleiten.

Glauben Sie wirklich, dass die dafür zuständige Staatsanwaltschaft München I nun gegen die eigenen Leute bzw. den früheren Behördenleiter vorgehen wird?
Das Funktionieren eines Rechtsstaates zeigt sich besonders darin, wie er mit eigenem Unrecht umgeht. Wer als Amtsträger die ihm vom Bürger verliehene Macht missbraucht, muss zur Verantwortung gezogen werden, sonst ist dem Machtmissbrauch von morgen Tür und Tor geöffnet. Hier geht es um nichts weniger als die Glaubwürdigkeit der Justiz.

Herr Mahler, Sie hat nahezu das gleiche Schicksal ereilt. Auch gegen Sie ließ die Staatsanwaltschaft München I ermitteln. Und auch Sie wehren sich dagegen vor dem Landgericht München. Wie ist der Stand Ihres Verfahrens?
Ich habe bereits im Jahr 2013 Klage eingereicht, unmittelbar nachdem mir ein Journalist vertrauliche E-Mails unter die Nase hielt, die im staatsanwaltschaftlichen Auftrag illegal ohne richterlichen Beschluss heimlich von meinem Rechner gezogen worden waren. Das war letztlich der eine Tropfen zu viel. Das Gericht hat auch in meinem Fall eine Verurteilung des Freistaats in Aussicht gestellt. Zuvor wird es aber wohl noch eine öffentliche Verhandlung geben, in der die Verantwortlichen unter Wahrheitspflicht befragt werden. Das wird sicher interessant.

Das heißt, sie rechnen fest damit, dass auch in Ihrem Verfahren das Gericht die Ermittlungen gegen Sie für rechtswidrig erklärt?
Ja. Die Aktenlage ist dermaßen offensichtlich, dass ich mich noch immer wundere, wie dreist hier vorgegangen wurde. Da waren offensichtlich Staatsanwälte am Werk, die mit dieser Art der „Ermittlungen“ ihr halbes Berufsleben durchgekommen sind.


Grundlose Disziplinarverfahren

Gleichzeitig wurden auch verschiedene Disziplinarverfahren gegen Sie eingeleitet. Was ist daraus geworden?
Alle Ermittlungen wurden im Ergebnis zu meinen Gunsten eingestellt. Bis es dazu kam, bedurfte es allerdings zweier Klagen von mir beim Verwaltungsgericht. Meine Behördenleitung und ich sind uns damit gegenseitig mächtig auf die Nerven gegangen.

Darunter war auch ein Verfahren, weil Sie im Fernsehen aufgetreten sind - und das erst Anfang letzten Jahres fallen gelassen wurde. Damals wurde Ihnen mitgeteilt, dass über diesen Fall erst entschieden werden könne, wenn das Ergebnis des Schottdorf-Untersuchungsausschusses feststehe …
Auslöser war ein Interview im Bayerischen Rundfunk 2014, im Zuge dessen wir den staatlichen Beihilfestellen Steuerverschwendung in Millionenhöhe im Umgang mit ärztlichen Falschabrechnungen vorgeworfen haben. Unsere Behördenleitung verfügte daraufhin die Einleitung von Ermittlungen gegen uns, was grundsätzlich schon richtig ist, wenn Beamte in die Öffentlichkeit gehen.

Aber?
Man „vergaß“ dabei, dem Untersuchungsgrundsatz entsprechend eigene Ermittlungen tatsächlich auch durchzuführen. Stattdessen verwies der Dienstherr auf die Notwendigkeit, das Ergebnis des parlamentarischen Untersuchungsausschusses abzuwarten. Ich habe damals süffisant nachgefragt, ob unser Verhalten am CSU-Mehrheitsbericht oder am Minderheitenvotum der Landtagsopposition gemessen würde. Zu meiner großen Überraschung orientierte sich die Verwaltung offensichtlich an der Bewertung der Opposition, die große Versäumnisse anprangerte, und stellte die Ermittlungen gegen uns letztlich ein.

Herr Sattler, das Land muss Ihnen nun die Rechtsanwaltskosten erstatten. Warum erhalten Sie kein Schmerzensgeld?
Als Kläger bei Gericht ist man grundsätzlich in der Beweispflicht. Die materiellen Schäden waren leicht nachzuweisen. Bei den immateriellen Schäden ist das ungleich schwerer. Es genügt nicht, dass es Ihnen „nur“ dreckig geht. Sie müssen eine diagnostizierte Krankheit nachweisen, die auf die rechtswidrige Tat zurückzuführen ist. Den Gang zum Arzt hatten wir aber nach Möglichkeit gemieden, so dass die Beweisführung im Prozess für mich sehr schwierig war.

Fühlen Sie sich denn jetzt trotzdem vollständig rehabilitiert?
Das Urteil bedeutet mir sehr viel. Dennoch bräuchte es für eine vollständige Rehabilitierung schon mehr. Das kann aber ein Gericht nicht lösen.

Sie haben nun am Ende gewonnen. Aber Sie haben auch lange viel aushalten müssen. Hat sich der Kampf gelohnt?
Sattler: Kritik am Dienstherrn und der Schritt in die Öffentlichkeit sind für einen Beamten niemals lohnend, egal ob gerechtfertigt oder nicht. Das muss man vorher wissen und es sich gut überlegen, wie weit man geht. Mindestens der Makel des Unruhestifters bleibt immer haften. Ich bin dennoch zutiefst davon überzeugt, dass es richtig war.

Mahler: Ja, auf jeden Fall. Es hat sich seither vieles in die richtige Richtung bewegt. Hervorzuheben sind die Einleitung zahlreicher Ermittlungsverfahren gegen Abrechnungsbetrüger dank verbessertem Anzeigeverhalten der Krankenversicherer, die Einrichtung von Fachdienststellen für Gesundheitsdelikte bei Polizei und Staatsanwaltschaft, Verbesserungen der Beihilfestellen bei der Betrugsabwehr und schließlich auch – auf bayerische Initiative hin – die Verabschiedung eines Gesetzes zur Strafbarkeit der Korruption im Gesundheitswesen. Erst vor wenigen Tagen wurde mir berichtet, dass ein Pharmaunternehmer jüngst seine Gewinnprognose mit Hinweis auf dieses Antikorruptionsgesetz nach unten korrigiert hat.

Herr Mahler, sie promovieren derzeit und beleuchten dabei das Untreuerisiko der Ausgabenträger im Umgang mit ärztlichem Abrechnungsbetrug. Wo sehen Sie aus kriminalistischer Sicht das Hauptproblem?
Es werden schlicht noch zu wenige Betrugsfälle aufgedeckt. Eine Umfrage bei den wichtigsten Beihilfestellen in Deutschland hat ergeben, dass, konservativ geschätzt, im besten Fall eine Aufdeckung in nur jedem 100.000sten Betrugs-Fall gelingt. Wäre die Aufklärungsquote bei Ladendiebstahl ähnlich gering, dann wäre der Einzelhandel wohl längst pleite. Hier muss unbedingt mehr getan werden, um das Entdeckungsrisiko für die Täter signifikant zu steigern.

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