Angesichts der Tarifauseinandersetzungen bei der Lufthansa und der Bahn und möglichen Streiks der Piloten und der Lokführer hat der Ökonom und frühere Vorsitzende der Monopolkommission, Justus Haucap, die Politik zum Handeln aufgefordert.
„Wenn Gewerkschaften durch einen Streik erheblichen Schaden bei anderen anrichten, die nichts mit dem eigentlichen Tarifkonflikt zu tun haben, dann sollte die Monopolmacht dieser Spartengewerkschaften beschränkt werden“, sagte der Direktor des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie Handelsblatt Online. „An einen Streik von Spartengewerkschaften mit Monopolmacht sollten höhere gesetzliche Anforderungen gestellt werden als an Streiks von anderen Gewerkschaften.“
Aus Haucaps Sicht sollte dies insbesondere für Bereiche der Daseinsvorsorge gelten, bei denen die Verbraucher den betroffenen Unternehmen nicht ausweichen können wie etwa bei der Bahn oder im Gesundheitsbereich. „Verbraucher und unbeteiligte Unternehmen dürfen hier nicht in Geiselhaft genommen werden“, sagte der Ökonom. Haucap verteidigte seinen Vorstoß damit, dass in der Sozialen Marktwirtschaft Monopolisten und sehr marktstarken Unternehmen vieles untersagt sei, was Unternehmen ohne Marktmacht tun dürfen. „Dieses Prinzip aus dem Wettbewerbsrecht sollte auch auf den Arbeitsmarkt übertragen werden.“
Die Pläne der Bundesregierung für eine gesetzliche Regelung der Tarifeinheit (ein Betrieb, eine Gewerkschaft, ein Tarifvertrag) hält Haucap für rechtlich kaum umsetzbar. Zwar seien Streiks von kleinen Gewerkschaften „nicht unproblematisch, da sie oft unbeteiligte Dritte treffen, die nichts zur Lösung des Tarifkonfliktes beitragen können“, sagte er.
„Der Zwang zur Tarifeinheit ist jedoch ein unverhältnismäßiger Eingriff in grundgesetzlich garantierte Freiheitsrechte.“ Auch kleine Gewerkschaften hätten „ein Recht für sich selbst zu verhandeln, wenn sie sich zum Beispiel durch die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi nicht angemessen vertreten fühlen“. Im Tarifkonflikt bei der Lufthansa wollen beide Seiten am heutigen Donnerstag weiterverhandeln, wie die Piloten-Gewerkschaft Cockpit mitteilte. In dem Tarifstreit geht es um mehr Geld für die 5.400 Flugkapitäne sowie um die betriebsinterne Frühverrentung.
Bahn-Tarifkonflikt steuert auf Arbeitskampf zu
Cockpit erwägt zurzeit begrenzte Streiks, bei denen das Personal an einzelnen Standorten für wenige Stunden die Arbeit niederlegt. Die Gewerkschaft will sich zudem mit den Gewerkschaften der Deutschen Bahn abstimmen. Auch dort gibt es im Tarifkonflikt noch keine Einigung. Der Streit steuert immer stärker auf einen Arbeitskampf zu.
Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) mobilisierte ihre Mitglieder am gestrigen Mittwoch bei einem Aktionstag in Fulda. „Wir sind dazu gezwungen zu streiken, wenn wir keine anderen Angebote von der Arbeitgeberseite bekommen“, sagte dort der Vorsitzende Claus Weselsky. „Wann es losgehen kann, entscheidet schlussendlich unsere Geduld und die Frage, ob die Bahn sich bewegt“, fügte er hinzu. Die Bahn müsse ihre „Verweigerungshaltung“ aufgeben.
Die GDL fordert in der laufenden Tarifrunde fünf Prozent mehr Lohn und zwei Stunden weniger Wochenarbeitszeit. Es geht aber nicht nur ums Geld für die Beschäftigten. Thema ist auch die Form der Zusammenarbeit der GDL mit der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG). So will die Lokführergewerkschaft auch für andere Bahn-Beschäftigte verhandeln und damit der mitgliederstärkeren EVG Konkurrenz machen.
Das Problem, das Spartengewerkschaften wie die der Flugbegleiter, Lokomotivführer oder Fluglotsen im Fall der Fälle ganze Wirtschaftsbranchen lahmlegen können, ist kein Neues. Die Politik hat dafür noch keine Lösung gefunden. Dass Handlungsbedarf besteht, legt eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW) aus dem vergangenen Jahr.
IW-Studie: Mini-Gewerkschaften sind „auffallend konfliktfreudig“
Die Experten werteten mehr als 120 Tarifkonflikte aus und kommen zu dem ernüchternden Ergebnis, dass die kleinen Spartengewerkschaften mit Ausnahme der Vereinigung Cockpit „auffallend konfliktfreudig“ sind. „Überdurchschnittlich oft kommt es dort zu Warnstreiks oder einem Scheitern der Verhandlungen. Selbst streikerfahrene Branchengewerkschaften wie die IG Metall oder die Gewerkschaften im öffentlichen Dienst präsentieren sich friedfertiger“, resümieren die Experten.
Besonderer „Zündstoff“ bei Tarifverhandlungen entsteht der Studie zufolge, wenn ein Unternehmen in seiner Branche mit gleich mehreren rivalisierenden Gewerkschaften verhandeln muss, wie etwa bei Schienenverkehr oder Flugsicherung der Fall. „Es stolpert dann nicht selten von einer Tarifauseinandersetzung in die nächste, sodass die tarifliche Friedenspflicht eines einzelnen Tarifvertrags entwertet wird.“ In Branchen ohne Gewerkschaftswettbewerb liege die Konfliktintensität dagegen deutlich niedriger. Als Paradebeispiel nennt die Studie die chemische Industrie.
Die IW-Forscher plädieren deshalb – anders als Haucap - dafür, dass der Gesetzgeber den Grundsatz der Tarifeinheit wiederherstellt, um Konflikte einzudämmen. Dabei gilt die Formel: eine Branche, eine Gewerkschaft.