Martin Schulz zum Arbeitsmarkt „Qualifizierung ist das Schlüsselwort“

Auf der SPD-Regionalkonferenz in Würzburg macht sich Kanzlerkandidat Martin Schulz für die Arbeitslosen stark. Diese sollen künftig länger Harz IV bekommen. Doch am Hartz-System selbst will er nicht stark rütteln.

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Schulz will für Arbeitslose einen Rechtsanspruch auf Weiterqualifizierung durchsetzen. Quelle: dpa

Nürnberg/Berlin SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz will im Falle eines Wahlsieges Qualifizierung und Weiterbildung für den Arbeitsmarkt einen weitaus höheren Rang einräumen. „Heute ist das Schlüsselwort, egal wo in der Welt der Arbeit, Qualifizierung und Weiterbildung“, sagte Schulz am Samstag bei einer SPD-Regionalkonferenz in Würzburg.

Die Arbeitsmarktreformen des von mehr als fünf Millionen Arbeitslosen geprägten vergangenen Jahrzehnts müssten den heutigen Bedingungen mit einem Mangel an Fachkräften angepasst werden. Er werde daher gemeinsam mit Arbeitsministerin Andrea Nahles am Montag dem SPD-Vorstand ein Projekt vorschlagen, das aufzeige, „wo wir die Bundesagentur für Arbeit weiterentwickeln wollen zu einer Bundesagentur für Arbeit und Qualifizierung“, sagte Schulz.

Innerhalb der Bundesagentur müsse die Qualifizierung zu einem gleichberechtigten Standbein werden. „Und wir wollen auch, dass es einen Rechtsanspruch für Qualifizierung gibt“, ergänzte Schulz. Anstrengungen in diesem Bereich seien der Schlüssel, um Deutschland wirtschaftlich stark zu halten. Details seines Konzepts nannte Schulz nicht.

Der designierte SPD-Chef erneuerte die Forderung, die Überschüsse in den Haushalten von Bund, Ländern und Gemeinden für Investitionen in die Infrastruktur, den Bildungs-, den Sozialbereich, in Forschung und Entwicklung, aber auch in die digitalen Netze zu nutzen. Damit wende er sich gegen Vorstellungen etwa von Finanzminister Wolfgang Schäuble, die Finanzspielräume in den staatlichen Haushalten für eine Steuerreform zu nutzen, von der ohnehin vor allem die Privilegieren profitierten.

Die Arbeitsmarkt-Pläne der SPD sehen auch eine längere Dauer für Harz-IV-Bezüge vor. Der Bezug des ALG I – in der Regel 12, bei 58-Jährigen maximal 24 Monate – soll verlängert werden können – und zwar um die Zeit, in der die Arbeitslosen eine Weiterqualifizierung absolvieren. Während der Schulung, Umschulung oder dem neuen Abschluss heißt die Leistung dann ALG Q. Danach setzt sich der ALG-I-Bezug fort, wenn die Maßnahme nicht gleich in einen neuen Job mündet. Die Bundesagentur für Arbeit fördert eine abschlussorientierte Qualifizierung in der Regel bis zu 24 Monate – so dass sich ein maximaler ALG-Bezug von 48 Monaten ergeben würde. Die meisten Qualifizierungen dauern aber nur einige Monate.

Die Debatte um die Dauer des ALG I ist so alt wie die Hartz-Reformen – und sie entbrennt alle paar Jahre neu. Dass Arbeitslosigkeit im Alter ein Problem ist, das sieht auch Ulrich Walwei so. „Das ist eine durchaus ernste Frage“, sagte der Vizechef des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Den Betroffenen helfe man nicht mit einer „Alimentierung“, sondern mit Fortbildung und geeigneten Jobangeboten.

Generell sehen Arbeitsmarktforscher das Herumschrauben an der Arbeitslosenversicherung skeptisch. Die Bezugsdauer für Ältere von bis zu 24 Monaten geht auf einen Kompromiss von Union und SPD aus dem Jahr 2007 zurück. Damals nannte IAB-Wissenschaftler Walwei die Verlängerung „süßes Gift“. Untersuchungen zeigten: „Wer einen längeren Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, ist meist auch länger arbeitslos.“ Nun allerdings fügt sich die Koppelung von längerer Leistung und Druck zur Weiterqualifizierung ins Agenda-Motto vom „Fördern und Fordern“ ein.


Am Hartz-IV-System wird wenig geändert

Erfahrungen aus der Zeit vor der 2005 in Kraft getretenen Hartz-IV-Reform zeigten: Die bis dahin geltende Bezugsdauer von bis zu 32 Monaten hatten viele Ältere als Möglichkeit eines vorgezogenen Ruhestandes genutzt - oft mit Unterstützung von Unternehmen, die sich auf Kosten der Sozialkasse älterer Beschäftigter entledigten.

Und ein längerer ALG-I-Bezug kann Ängste nehmen. Wirtschaftsexperte Peter Bofinger sagte in einem Interview, die Aussicht, schon nach zwölf- oder achtzehnmonatiger Arbeitslosigkeit mit Hartz IV „ins Bodenlose zu stürzen, empfinden viele Menschen als große Belastung“.

Dass es bei dieser Argumentation anscheinend weniger um die Masse der Hartz-IV-Bezieher geht, sondern eher um abstiegsbedrohte Mittelschichtler, zeigen Zahlen der Bundesagentur: Arbeitslose, die in ihrem letzten Job schlecht verdient haben, kommen manchmal mit dem Arbeitslosengeld II (Hartz IV) besser über die Runden als mit ALG I, das 60 Prozent des Nettolohns beträgt.

Der durchschnittliche ALG-I-Betrag lag im November 2016 bei 992 Euro. Ein alleinstehender Hartz-IV-Bezieher bringt es derzeit im Monat auf 409 Euro; samt der vom Jobcenter übernommenen Wohnkosten ist häufig der Abstand zum ALG 1 nicht mehr allzu groß. Mit Frau und einem Kind, kommt er – ohne Wohnkosten – sogar auf mehr als 1000 Euro.

Finanziell dürfte ein verlängerter ALG-I-Bezug kein großes Problem sein. Denn die Bundesagentur sitzt derzeit auf einer Rücklage von elf Milliarden Euro. IAB-Forscher Walwei wendet aber ein, dass Überschüsse, die die BA in Boomzeiten erwirtschafte, für wirtschaftlich schwierigere Zeiten gebraucht werden.

Am Hartz-IV-System selbst, so verhasst es bei Millionen Menschen auch ist, will Schulz nach bisherigem Stand und laut dem Nahles-Papier nur wenig ändern. Das Schonvermögen für Betroffene soll von 150 auf 300 Euro pro Lebensjahr erhöht werden. Allerdings verringert sich die Zahl der Hartz-IV-Bezieher, wenn mehr Menschen länger ALG I bekommen. Damit müssen übrigens die Beitragszahler länger für die Versorgung der Jobsucher aufkommen, statt diese Aufgabe dem Bund – und damit allen Steuerzahlern – zu übertragen.

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