




Zehntausende Geringverdiener werden enttäuscht sein: Nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts können Sonderzahlungen auf den Mindestlohn angerechnet werden. Die Verbesserungen durch die 8,50 Euro pro Stunde fallen dann eher gering aus.
Herr Diepold, das Bundesarbeitsgericht hat das erste höchstrichterliche Urteil zum Mindestlohn gesprochen. Alles wie erwartet oder sind Sie überrascht?
Überrascht bin ich nicht, aber sehr erfreut.
Warum das?
Das Urteil der Erfurter Richter schafft endlich Klarheit für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Nun gibt es die ersten klaren und verbindlichen Aussagen, wo bisher Mutmaßungen angestellt werden mussten. Es ist entschieden, dass Urlaubs- und Weihnachtsgeld als Bestandteil der Mindestlohn-Vergütung gelten können.
Die Klägerin, deren Fall entschieden wurde, wollte den Mindestlohn aber als Grundlohn – und alle sonstigen Vergütungen oben drauf?
Richtig. Aber das Bundesarbeitsgericht hat ihren Anspruch abgewiesen. Sonstige Zahlungen müssen nicht noch auf die 8,50 Euro aufgeschlagen werden, wenn sie die von dem Arbeitnehmer erbrachte Arbeitsleistung vergüten.
Gibt es trotzdem künftig Grenzen der Anrechenbarkeit?
Ja, die gibt es. Zahlungen, die der Arbeitgeber ohne Rücksicht auf die tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung erbringt, wie etwa einen Aufwendungsersatz für Reisekosten, oder die auf einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung, wie Nachtarbeitszuschläge, beruhen – die dürfen nach dem Bundesarbeitsgericht nicht angerechnet werden.
Was müssen Arbeitgeber noch beachten?
Eine wichtige Grenze ergibt sich auch aus der Fälligkeit des Mindestlohns. Der Mindestlohn muss ja zum vereinbarten Zeitpunkt, spätestens aber in dem Monat nach dem Erbringen der Arbeitsleistung gezahlt werden. Zu diesem Zeitpunkt muss auch die anrechenbare Leistung gezahlt werden, sonst besteht keine Anrechnungsmöglichkeit.
Sind mit diesem Urteil aus rechtlicher Sicht die wichtigsten Fragen zum Mindestlohn geklärt?
Das Urteil ist in der Tat wegweisend. Aber es gibt weiterhin ungelöste Probleme: Bis heute ist beispielsweise nicht klar, wie weit die Haftung bei der Vergabe von Dienst- oder Werkleistungen an andere Unternehmen reicht. Konkret: Bin ich selbst als Auftraggeber haftbar dafür, wenn ein Geschäftspartner den Mindestlohn nicht bezahlt? Oder setzt dies eine Generalunternehmerhaftung meines Geschäftspartners voraus? Das führt in der Praxis zu teilweise ausufernden Sicherheitsvorkehrungen und Garantieerklärungen bei der Vertragsgestaltung. Die kosten Zeit, Geld und fördern nicht gerade vertrauensvolle Geschäftsbeziehungen. Hier wäre eine Klärung ebenfalls dringend nötig und sehr hilfreich.





Wo treten Ihrer Erfahrung nach denn die meisten Schwierigkeiten mit den 8,50 Euro auf?
In Bereichen, in denen wie in der Metall- und Elektroindustrie oder der chemischen Industrie Tarifverträge angewendet werden, gibt es in der Regel keine Probleme mit dem Mindestlohn. In diesen Hochlohnbranchen gab es allenfalls Beratungsbedarf, wie genau mit Praktikanten und Studenten umzugehen ist, denn die sind ja nur teilweise von der Untergrenze befreit. Oder es gab Fragen zu den Dokumentationspflichten. Ganz anders sieht das hingegen im Niedriglohnsektor aus: etwa bei Pflegepersonal, Gastronomen oder manchen Facility-Dienstleistungen. In diesen Branchen ist der Mindestlohn weitaus relevanter. Und deshalb auch die Fragen, was dazugehört und was nicht.
Markus Diepold ist Partner der Rechtsanwaltskanzlei Dentons.