Neues Gesetz TV-Übertragung aus Bundesgerichten ist nun erlaubt

Von diesem Donnerstag an dürfen wichtige Urteilsverkündungen der obersten Bundesgerichte gefilmt werden. Kommt nun das Justiz-TV nach amerikanischem Vorbild?

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Aufnahmen aus den Bundesgerichten werden auch in Zukunft nur eingeschränkt zu sehen sein. Die wenigsten Urteile werden übertragen. Quelle: imago/Stockhoff

Berlin Ein leuchtend grüner Rahmen fasst den Terminhinweis in Sachen „I ZR 154/16“ auf der Internetseite des Bundesgerichtshofs ein. Das bedeutet: Film- und Tonaufnahmen der Urteilsverkündung sind möglich. Es geht in der Verhandlung um die Zulässigkeit von Werbeblockern im Internet – und sollte es an diesem Donnerstag auch zu einer Entscheidung des Gerichts kommen, wäre es erlaubt, die Verkündung zu filmen. Ein TV- und zwei Rundfunkteams sind bereits akkreditiert.

Es ist eine Zeitenwende, denn seit 1964 bestand ein Verbot von Fernseh- und Rundfunkaufnahmen in Gerichtssälen. Gedreht werden durfte nur während der Pause. Seit 1998 war es immerhin erlaubt, Urteilsverkündungen des Bundesverfassungsgerichts zu filmen. Doch nun tritt das „EMöGG“ in Kraft: Das Gesetz über die Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren.   

Er wolle aus dem Gerichtssaal keine „Showbühne“ machen, hatte der damalige Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) versichert, als er 2016 den Gesetzentwurf präsentierte. Es gehe darum, vielen Menschen den Rechtsstaat näher zu bringen. Und moderne Kommunikationsformen ließen ein generelles Verbot nicht mehr zeitgemäß erscheinen, begründete Maas seinerzeit das Vorhaben.

Nun ist das Filmen und Tonaufzeichnen bei Urteilsverkündungen „in besonderen Fällen“ also erlaubt, und zwar am Bundesgerichtshof (BGH), am Bundesfinanzhof (BFH), im Bundesverwaltungs-, Bundessozial- und Bundesarbeitsgericht. Ob eine Übertragung zugelassen wird, ist Ermessenssache der Gerichte.

Wenn es sich um ein Verfahren von „herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland“ handelt, können sogar Tonaufnahmen der Verhandlung zu „wissenschaftlichen und historischen Zwecken“ vom Gericht gebilligt werden. Diese Aufnahmen dürfen jedoch im Verfahren nicht verwertet werden und sind nicht für die Öffentlichkeit gedacht. Sie stehen dem Bundes- oder Landesarchiv zu.

Kann sich der Bürger nun also auf ein Justiz-TV nach amerikanischem Vorbild einstellen? Eine Umfrage des Handelsblatts unter den Bundesgerichten zeigt: Bislang ist der grün eingefasste BGH-Termin das einzige Verfahren an Bundesgerichten, für das eine Übertragung zugelassen ist. „Weitere Beschlussfassungen“ seien bisher noch nicht erfolgt, teilte der BGH auf Anfrage mit.

BFH-Präsident Rudolf Mellinghoff betont, es gehöre zu den Aufgaben des Bundesfinanzhofs, die Rechtsprechung allgemeinverständlich zu erklären. „Die Übertragung von Fernsehaufnahmen lehnen wir nicht ab“, sagte Mellinghoff dem Handelsblatt. „Im Hinblick auf das Steuergeheimnis und die häufig sehr komplizierten steuerrechtlichen Fragestellungen dürfte die Übertragung einer Urteilsverkündung aber eher selten in Betracht kommen und sich auf spektakuläre, leicht verständliche Fälle beschränken.“

Allenfalls Verfahren vergleichbar mit jenen zur Pendlerpauschale oder zu Cum-Ex-Geschäften hätten das Format, um überhaupt zugelassen zu werden, hieß es beim BFH weiter. Zudem gebe es ohnehin nur „sehr, sehr selten“ Urteilsverkündungen. Normalerweise werden hier die Entscheidungen schriftlich zugestellt.

Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Ingrid Schmidt, beschwichtigt: „Für Vorsitzende ist es alltäglich, Urteile in Anwesenheit der Parteien und der Presse kurz, prägnant und medientauglich zu begründen. Ändern wird sich daran nichts, Medienübertragungen werden nicht zur Regel.“ Für Fernsehanstalten seien sie zu teuer und zu zeitaufwendig und anders als beim Bundesverfassungsgericht nicht planbar. Bislang sei noch keine Aufnahme einer Urteilsverkündung zugelassen oder eine solche Zulassung angefragt worden, hieß es beim Bundesarbeitsgericht weiter.

Das Bundessozialgericht teilte auf Anfrage mit: „Im Moment sind noch keine Anfragen von Fernsehanstalten bei uns eingegangen.“ Beim Bundesverwaltungsgericht hieß es: „Es stehen derzeit keine Verfahren an, für die eine Übertragung vorgesehen ist.“ Künftig solle spätestens bei der Ladung zur mündlichen Verhandlung einer Streitsache darüber entschieden werden, ob ein besonderer Fall vorliege und eine Übertragung zugelassen werden solle. „Dies soll dann bei der Terminvorschau auf der Homepage des Gerichts vermerkt werden“, heißt es. Maximal zwei stationäre Kameras wären künftig erlaubt – eine der öffentlich-rechtlichen und eine der privaten Sender. Einzelheiten würden derzeit mit den Rundfunkanstalten geklärt.  

Als das Gesetz vor sechs Monaten beschlossen wurde, regte sich in der Richterschaft Unmut. Nicht alle Gesetzeshüter waren einverstanden, so in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. Dass aus der Urteilsverkündung ein für die Ewigkeit in Ton und Bild festgehalter Auftritt wird, löste Unbehagen aus.   

Nun gibt es keine Wahl mehr. Wird ein „besonderer Fall“ vom Gericht für Aufnahmen zugelassen, dürfen die Rundfunkteams anrücken. „Gerichtsverfahren sind in der Bundesrepublik Deutschland seit jeher von größtmöglicher Transparenz und Öffentlichkeit geprägt“, sagte BGH-Präsidentin Bettina Limperg dem Handelsblatt. Das neue Gesetz erweitere die Medienöffentlichkeit. Das Anliegen des Gesetzgebers „begrüße ich nachdrücklich“, betonte Limperg.

Wie die Richter wirklich über die Neuerung denken, weiß natürlich niemand. Eine Befragung oder ein repräsentatives Meinungsbild gibt es nicht. Die Richter stünden den Film- und Tonaufnahmen „aufgeschlossen“ gegenüber, hieß es beim BGH. Sie seien allerdings auch berufen, schutzwürdige Interessen der Verfahrensbeteiligten zu wahren. Beim BFH wird einige Skepsis diagnostiziert, die jedoch wegen der zu erwartenden sehr geringen Fallzahlen kaum relevant sei.

Die Richterschaft stehe der gesetzlichen Neuerung „aufgeschlossen“ gegenüber, eine große Veränderung sehe sie nicht, teilte das Bundesverwaltungsgericht mit. Das Gericht habe schon in der Vergangenheit großen Wert auf Transparenz und Offenheit und ein gutes Verhältnis zu Journalisten und Medien gelegt. „An diese gute Tradition knüpft das neue Gesetz an“, hieß es.

Eine „besondere Resonanz“ in der Richterschaft auf das neue Gesetz lasse sich nicht feststellen, teilte das Bundesarbeitsgericht mit. Geschäftsgeheimnisse oder die Persönlichkeitsrechte der Parteien könnten Ton- und Filmaufnahmen entgegenstehen. „Chancen und Risiken“ der Neuerung würden in der Richterschaft „durchaus unterschiedlich“ beurteilt, hieß es beim Bundessozialgericht. Es handele sich aber um bindendes Recht, was von den Richtern „selbstverständlich beachtet und umgesetzt wird“.

Um für die neue Situation gerüstet zu sein, haben die Vorsitzenden Richter des BGH bereits ein spezielles Medientraining absolviert. Für das laufende Jahr stehen solche Schulungen auch beim Bundesarbeitsgericht an. Das Bundessozialgericht hat für den Juni ein „eintägiges Medientraining“ für die Vorsitzenden Richter angesetzt. Danach entscheidet sich, ob alle Richter fit gemacht werden sollen.  

Der BFH will erst die Erfahrungen der anderen Bundesgerichte mit den Lehrgängen abwarten und dann für die Richterschaft entsprechende Angebote buchen. Beim Bundesverwaltungsgericht gibt es derzeit keine Pläne, die Richter auf das neue Gesetz vorzubereiten.

Auf die Idee, das neue Gesetz für die Außendarstellung zu nutzen und die eigene Transparenz herauszustellen, ist bislang jedoch keines der Bundesgerichtet gekommen: Nach eigenen Angaben erwägt keines der Gerichte eigene Aufnahmen zu erstellen, um Urteilsverkündungen dann auf der Gerichtswebsite zu dokumentieren.

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