NSU-Prozess Dieser Richter entscheidet über die Strafe von Beate Zschäpe

Lebenslänglich für Beate Zschäpe oder moderate Gefängnisstrafe? Darüber entscheiden die fünf Richter des Münchner OLG-Senats - mit ihrem peniblen Chef.

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Der Richter beeindruckte im NSU-Prozess immer wieder mit seinem guten Gedächtnis. Quelle: dpa

München Könnte man ihnen doch zuschauen und zuhören: Was mögen der Vorsitzende Richter Manfred Götzl und seine vier Beisitzer im Staatsschutzsenat des Münchner Oberlandesgerichts (OLG) gerade bereden? Sie sind Beate Zschäpes Richter. Binnen einer Woche beraten sie das Urteil.

Götzl ist 64 Jahre alt, ein Jahr vor seiner Pensionierung. Es heißt, er könne witzig und unterhaltsam sein, wenn er bei geselligen Anlässen auftaucht. Es heißt auch, er möge Jazzmusik. Götzl wirkt asketisch. Er ist schlank und drahtig. Meist schaut er ernst, manchmal mürrisch. Lächeln sah man ihn selten.

Konflikte scheut er nicht. Er stritt mit Verteidigern, Nebenklägern und Zeugen. Götzl legte sich vereinzelt sogar mit seinen Beisitzern an. Einmal warf er Richterin Gabriele Feistkorn vor, sie befrage einen Zeugen suggestiv. Ein andermal kritisierte er Ersatzrichter Peter Prechsl und meinte, der rede, als sei er Sachverständiger. Danach meldete sich kein Beisitzer mehr zu Wort. Feistkorn ließ sich Anfang 2016 vorzeitig pensionieren.

Für manche seiner Urteile ist Götzl gescholten worden. Die wohl schärfste Attacke gegen ihn führte der Mainzer Juraprofessor Volker Erb. In einer fachöffentlichen Schrift hält er Götzl schon in der Überschrift „dubiose tatrichterliche Unterstellung“ vor.

Der Fall: Ein Informatikstudent wehrt sich gegen einen Angreifer und verletzt ihn in Notwehr mit einem Messer am Hals. Das Messer habe er aber gar nicht benötigt, um sich zu wehren, urteilte Götzl. Der Angeklagte sei 1,80 Meter groß und wiege 95 Kilogramm. Sein Kontrahent sei nur 1,75 Meter groß und wiege 75 Kilogramm. „Dem Angeklagten war seine überlegene Größe und Kraft bewusst und auch, dass sein massives Gewicht bei einem Stoß erhebliche Wucht entfalten und den Geschädigten wegschleudern würde“, urteilte Götzl.

Drei Jahre und neun Monate brummte Götzl dem Studenten auf. Nach Revision in Karlsruhe - Götzls möglicherweise einziger - reduzierte er um sechs Monate. Rechtsprofessor Erb wetterte damals, Götzls richterliche Überzeugung sei nicht mehr als „willkürliche Spekulation“. Das Körpergewicht des Angeklagten sei doch nur Übergewicht. Der Kontrahent sei dagegen durchtrainiert gewesen, mit Ambitionen auf eine Profi-Fußballer-Laufbahn bei 1860 München und überdies einschlägig vorbestraft.

Im NSU-Prozess erwarb sich Götzl gleichwohl auch Anerkennung. Beeindruckend wirkte immer wieder seine Gedächtnisleistung. Es kam vor, dass er Anwälten auf Zuruf eine Aktenfundstelle vorsagte - bemerkenswert, angesichts des Aktenumfangs von mehr als 100.000 Seiten.

Sein Gedächtnis dürfte er in der Urteilsberatung mit seinen Senatskollegen brauchen. Verwenden dürfen die Richter nämlich nur, was mündlich in der Verhandlung besprochen wurde. Tonaufzeichnungen gibt es nicht, wörtliche Mitschriften auch nicht. Derartiges hatten Verteidiger und Nebenkläger zwar mehrmals beantragt, aber Götzl und sein Senat hatten das immer kategorisch abgelehnt.

Also müssen die Richter den Stoff aus 437 Verhandlungstagen aus dem Kopf und ihren handschriftlichen Notizen zusammenbringen - und daraus das Urteil gegen Zschäpe und Co. schöpfen.

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