Politikwissenschaftler Patzelt „Die AfD besitzt keinerlei Sympathiebonus“

Mit der AfD wird sich die Debattenkultur im Bundestag nachhaltig verändern, glaubt Werner Patzelt. Im Interview erklärt der Politikwissenschaftler auch, was geschehen muss, damit das nicht so bleibt.

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Werner Patzelt, Politik-Professor an der Technischen Universität Dresden, sieht nur dann eine Chance für die AfD, wenn sich die Realos in der Partei durchsetzen. Quelle: dpa

Berlin Wenn sich der Bundestag am Dienstag zum 19. Mal seit 1949 konstituiert, dürften viele vor allem auf eine Partei gespannt blicken: Die AfD. Sie ist seit 1990 der erste Neuling im Parlament. Im Wahlkampf sorgte die Partei mit teils rechtsradikalen Äußerungen für regelmäßige Empörung bei anderen Parteien und Verbänden. Dass es im neuen Bundestag zu ähnlichen Provokationen kommt, ist wahrscheinlich, glaubt der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt. Das muss aber nicht von Dauer sein. Im Interview erklärt er, warum.

Herr Patzelt, erwarten Sie, dass sich mit der AfD die Debattenkultur im Bundestag nachhaltig verändern und der Ton rauer wird?
Ich fürchte, dass es so kommen wird – und wenn schon nicht bei den von der Fraktion gesetzten Rednern, so doch bei Zwischenrufen von Abgeordneten, die sich nicht angemessen benehmen wollen.

Könnte die AfD also parlamentarische Traditionen und Gewohnheiten infrage stellen und die Stimmung verändern?
Unsere parlamentarischen Traditionen sind viel zu stark, als dass die AfD sie ändern könnte; eher wird sie selbst von unserer parlamentarischen Kultur so verändert wie einst die Grünen. Die Stimmung wird sich natürlich verändern, und zwar gewiss auch durch allzu aufgeregten Reaktionen anderer Fraktionen auf die AfD.

Ist schon am ersten Tag mit einem AfD-Eklat zu rechnen, zumal die Fraktion einen Abgeordneten als Parlamentsvize durchsetzen will, den die anderen Fraktionen strikt ablehnen?
Es war kein Eklat, als der Bundestag den redlichen Bisky von der PDS nicht zum Bundestagsvizepräsidenten wählte. Einen Eklat gäbe es nur, wenn die AfD hysterisch auf eine Niederlage ihres Kandidaten reagierte.

Wie sollten die anderen Fraktionen mit möglichen AfD-Provokationen umgehen?
Ganz einfach gemäß den bewährten Spielregeln parlamentarischen Verhaltens! In der Sache wird hart gestritten, im Ton wird auf Beleidigungen und Unflätiges verzichtet, und menschlich gibt man einen Vertrauensvorschuss, der gerechtfertigt oder aufgebraucht werden kann.

Als die Grünen 1983 erstmals in den Bundestag einzogen, ging es im Parlament ebenfalls teilweise hart zur Sache. Ist die damalige Situation mit der heutigen vergleichbar?
Vergleichen kann man alles. Ähnlich ist, dass eine Protestpartei in den Bundestag gelangt ist. Und die Verschiedenheiten bestehen darin, dass die AfD sich nicht als Anti-Parteienpartei versteht, sondern überwiegend eine ganz normale, wenn auch scharfe Opposition sein will; dass die AfD rechts ist und nicht links; und dass die AfD – anders als damals die Grünen – keinerlei Sympathiebonus in der Öffentlichkeit besitzt.

Am Beispiel der Grünen sieht man indes, dass eine Entwicklung weg vom reinen Protest möglich ist. Joschka Fischer nahm 1998 sogar als Außenminister auf der Regierungsbank Platz. Ist eine ähnliche Entwicklung auch bei der AfD denkbar?
Falls sich die „Realos“ in der AfD durchsetzen, ist das sehr wohl denkbar. Doch derzeit prägen noch die „Fundis“ das Bild. Wir haben da einfach abzuwarten.

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