Präsidentin der Kultusminister "Wir brauchen keine weiteren Schulreformen"

Unternehmen leiden, weil zu viele Schüler nicht gut genug lesen, schreiben und rechnen können. Die baden-württembergische Schulministerin Susanne Eisenmann erklärt, wie sie das Problem in den Griff kriegen will.

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Susanne Eisenmann Quelle: dpa

WirtschaftsWoche: Ministerin Eisenmann, in einer deutschlandweiten Vergleichsstudie sind die Schüler in Baden-Württemberg dramatisch abgerutscht. Der Mittelstand ist entsetzt. Was ist schief gelaufen im einstigen Musterland?
Susanne Eisenmann: Es gibt nicht die eine Ursache, auch nicht den einen Schuldigen. Da müssen wir schon mehr als nur ein paar Jahre zurückschauen, und zwar mit klarem analytischem Blick. Sicherlich sind Bildungsreformen im Jahrestakt ganz grundsätzlich ein Problem. Wir haben im Ergebnis jetzt ein Qualitätsproblem an unseren Schulen. Das ist bitter, aber die Realität.

Zur Person

Was genau hat zu dem Leistungsabfall geführt?
Gemeinsam mit Wissenschaftlern, Verbänden, Lehrern und Experten arbeiten wir derzeit daran, welche Ursachen das hat und wie wir die Defizite beheben können. Vor allem in den Kernfächern muss die Qualität schnell deutlich besser werden.

Die Wirtschaft klagt, manche Azubis könnten nicht richtig lesen und schreiben. Beim Spezialwerkzeughersteller Mapal in Ostwürttemberg bekommen Azubis Nachhilfe im Betrieb.
Das darf keine Lösung auf Dauer sein. Die Schulen müssen in der Lage sein, die Schüler mit den notwendigen Kompetenzen auszustatten, damit sie am Arbeitsmarkt bestehen können. Es kann nicht sein, dass Unternehmen unter dem Qualitätsproblem von Schulen leiden.

Für die Unternehmen ist das eine Wachstumsbremse.
Baden-Württemberg hat keine Rohstoffe. Und wer nichts im Boden hat, muss es in der Birne haben. Investitionen in qualitätsvolle Bildung sind dringend notwendig. Wir haben im ersten Jahr der grün-schwarzen Regierung ja auch schon einiges entschieden: die Stärkung der Realschule beispielsweise und mehr Stunden in Deutsch und Mathematik für die Grundschulen.

von Marc Etzold, Konrad Fischer, Lin Freitag

Ganz grundsätzlich: Wie muss sich Schule verändern, damit der Übergang zwischen Schule und Ausbildung besser gelingt?
Wir müssen den Wert der beruflichen Bildung wieder stärker betonen. Wir müssen schon in der Schule klar machen, dass auch eine Ausbildung im dualen System zu einer anspruchsvollen und lukrativen Karriere führen kann. Das ist ein gesamtgesellschaftliches Thema, das ich als Präsidentin der Kultusministerkonferenz gemeinsam mit Arbeitgebern und Gewerkschaften als Schwerpunktthema „berufliche Bildung: Übergänge, Abschlüsse, Anschlüsse“ angehe.

Vor zehn Jahren riefen Unternehmen und Politik nach mehr Abiturienten. Heute vermissen alle die Facharbeiter. War die damalige Politik falsch?
Jeder, der das Abitur machen möchte und machen kann, soll dieses auch durchziehen. Aber bei weitem nicht für jeden ist das der richtige Weg. Damals haben wir alle – Politik und Wirtschaft – zu stark den Wert der Abiturientenquote betont. Das war ein Fehler. Wir brauchen auch gute Haupt- und Realschüler. Und die Unternehmen müssen ihnen ihrerseits eine Perspektive für eine Ausbildung bieten.

"Technik folgt Pädagogik"

Die Digitalisierung wird künftig Jobs schaffen, von denen wir heute noch nichts wissen. Wie muss sich Schule verändern, damit die Jugendlichen fit für die Jobs der Zukunft sind?
Die Grundfertigkeiten – lesen, schreiben und rechnen brauchen wir auch in der Ära der Digitalisierung. Trotzdem haben wir in Deutschland Nachholbedarf. Wir können und müssen mobile Endgeräte stärker im Unterricht einsetzen. Dabei gilt ganz klar: Technik folgt Pädagogik. In Baden-Württemberg haben wir 15 „Lernfabriken 4.0“ aufgebaut. Das sind Labore, in denen Berufsschüler den Umgang mit industriellen Automatisierungslösungen lernen können – mit den Geräten, die heute auf dem Markt sind. Vor allem in den Berufsschulen müssen wir uns noch viel stärker am Bedarf der Unternehmen orientieren.

Lassen Sie uns über G8 und G9 sprechen. Niedersachsen kehrt zum alten System zurück, Bayern ebenfalls. Sie wollen bei G8 bleiben, lassen aber Ausnahmen zu – ein ganz schönes Durcheinander.
Die Länder haben die Bildungshoheit und entscheiden selbständig, auf welchem Weg sie das Abitur anbieten. In Baden-Württemberg haben wir 44 Modellstandorte, an denen das Abitur nach neun Jahren möglich ist. An den rund 330 anderen Gymnasien bleiben wir bei G8. Hinzu kommt, dass 37 Prozent der Abiturienten ihr Abitur bei uns ohnehin über ein berufliches Gymnasium erlangen. Die sind und bleiben beim Abitur nach neun Jahren. Wir brauchen jetzt nicht eine weitere Reform, sondern vor allem Ruhe und Verlässlichkeit im Schulsystem. 

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Studien zeigen, dass die Qualität durch G8 nicht leidet. Auch das Stressniveau ist unverändert. Ärgert es Sie, dass viele ihrer Kollegin hektisch und ohne Not zum alten System zurückkehren?
Jedes Land muss entscheiden, ob ein permanenter Wechsel sinnvoll ist. Das ist ja auch die Chance des Föderalismus, dass verschiedene Wege möglich sind. In Baden-Württemberg halten wir eine flächendeckende Rückkehr zum G9 nicht für sinnvoll.

Die Verkürzung des Gymnasiums hat fast überall in Deutschland die Ganztagsschule etabliert. Warum haben sich CDU und CSU damit so schwergetan?
Die Nachfrage unterscheidet sich zwischen Stadt und Land. Viele Eltern sind auf dieses Angebot angewiesen. Dabei kommt es mir entscheidend darauf an, dass wir keine staatliche Ganztags-Zwangsbeglückung installieren, sondern Flexibilität zulassen. Ich schaue bei dieser Thematik insgesamt lieber nach vorne. Wir sind daher in sehr intensivem Dialog mit den einschlägigen Partnern.

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