Schwarzarbeit Organisierte Kriminalität unterwandert die Baubranche

Das Bundesfinanzministerium schlägt Alarm: Mit Scheinrechnungen betrügen Unternehmen in der Bauwirtschaft den deutschen Staat um viele Milliarden Euro.

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Der Zoll sieht sich überfordert.

Der Zugriff erfolgt im Morgengrauen, Punkt sechs Uhr. Mehrere Hundert Polizisten und Zöllner schlagen im Frankfurter Raum zu. 17 Mann der Zentralen Unterstützungsgruppe Zoll (ZUZ) – sie untersteht dem Bundesfinanzministerium und ist vergleichbar mit der Antiterror- Eingreiftruppe GSG 9 – brechen die Wohnungstüren der beiden Hauptverdächtigen auf, eines Serben und eines Iraner. Den einen erwischen sie halb nackt im Flur, den anderen ziehen sie aus dem Bett.

Doch die beiden haben noch Glück. Nach der Festnahme durch den Zoll können sie auf ein rechtsstaatliches Verfahren hoffen. Wären es die Konkurrenten von den Bandidos oder Hells Angels gewesen, die ihnen die Tür eingeschlagen hätten, hätte es einen kurzen Prozess gegeben.

Baubranche

In dem Metier, dem die beiden nun für eine Weile entzogen sind, geht es um enorm viel Geld – und entsprechend rustikal sind die Umgangsformen. In die organisierte Schwarzarbeit drängen deutsche Rockerbanden, italienische Mafiosi und osteuropäische Rotlichtgrößen, die dem Lockruf der gigantischen Renditen folgen.

Harte Gangart

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der für die Bekämpfung der Schwarzarbeit zuständig ist, bereitet das Bauchgrimmen. Wie ernst er die Lage einschätzt, lässt sich an einem internen Vermerk seines Hauses erkennen, demzufolge „es im Bereich der Schwarzarbeit und illegalen Beschäftigung einen hohen Grad organisierter Wirtschaftskriminalität gibt“. Das will der CDU-Politiker, der schon als Bundesminister des Inneren eine harte Gangart gegen das organisierte Verbrechen eingeschlagen hatte, nicht hinnehmen. Am Donnerstag will er die Jahrespressekonferenz des Zolls dazu nutzen, den gerade eingeschlagenen Strategiewechsel bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) vorzustellen. Die 6700 Mitarbeiter zählende Truppe, die demnächst um 1600 Kräfte für die Kontrolle des gesetzlichen Mindestlohns aufgestockt wird, soll stärker als bisher die Hintermänner des milliardenschweren Geschäfts mit illegaler Beschäftigung aufspüren.

Wo in Europa die Schattenwirtschaft boomt
Rang 10: BelgienDas Königreich und Tschechien teilen sich den zehnten Rang. In den beiden Ländern beträgt der Wert der Waren und Dienstleistungen, die schwarz verkauft werden, 16,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts des Landes. So das Ergebnis einer Studie von Visa Europe. Während in Belgien der Trend seit 2009 rückläufig ist (ehemals 17,8 Prozent), hat die Schattenwirtschaft in Tschechien im Vergleich zur Wirtschaftsleistung des Landes zugelegt. Der Umfang der Schwarzarbeit in dem osteuropäischen Land etwa beträgt 4,4 Milliarden Euro. Übrigens: Auch in Deutschland hat die Schattenwirtschaft weiter Konjunktur, auch wenn das Land  im Europa-Vergleich nur auf Rang 19 (BIP-Äquivalent: 13 Prozent) landet. Nominal betrachtet ist die deutsche Schattenwirtschaft mit einem Volumen von 350 Milliarden Euro die größte in der Europäischen Union. Den größten Anteil an der Schattenwirtschaft in Deutschland weisen die Sektoren Produktion, Groß- und Einzelhandel sowie das Baugewerbe auf. Quelle: REUTERS
Rang 9: SpanienGemeinsam mit seinem Nachbarn Portugal liegt Spanien auf Rang 9. In den beiden Ländern ist die Schattenwirtschaft fast ein Fünftel so groß (19 Prozent) wie die gesamte Volkswirtschaft. Immerhin: In beiden Ländern ist der Trend leicht positiv. Dennoch sind die Nachteile große: Die Pleiteländer müssen mit geringeren Steuereinnahmen und Sozialversicherungsbeiträge leben. Zudem wird die Realwirtschaft geschwächt, da sie nicht so billig sein kann wie die Schattenwirtschaft. Quelle: dapd
Rang 8: ItalienMit dem Stiefelstaat liegt direkt das nächste Euro-Krisenland in der Statistik weit vorne. Die Schattenwirtschaft in Italien ist mit einem Umfang von 332,6 Milliarden Euro die zweitgrößte in Europa (nominal betrachtet) und mit einem Anteil von 21 Prozent am BIP die achtgrößte. Sie bewegt sich damit auch 2013 - so jedenfalls die Prognose - auf dem Niveau der Vorjahre. Quelle: dpa
Rang 7: UngarnDer EU-Problemstaat verschenkt sein Talent. Eine moderne Infrastruktur und gut ausgebildete Menschen macht Ungarn für Investoren interessant. Doch mit seiner scharfen Rhetorik macht Ministerpräsident Viktor Orbán sein Land zum Pariastaat Europas. Offenbar verlieren auch immer mehr Menschen vor Ort das Vertrauen in den Staat und wenden sich von ihm ab. Die Schattenwirtschaft boomt und "erwirtschaftet" inzwischen einen Betrag von 22,7 Milliarden Euro. Das sind gut 22 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes. Quelle: dpa
Rang 6: SlowenienEinst Euro-Musterschüler, inzwischen Euro-Sorgenkind: Slowenien steckt tief in der Rezession. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 23 Prozent. Wer einmal ohne Job dasteht, kommt aufgrund des starren Arbeitsmarktes kaum wieder in Arbeit. Viele Bürger flüchten in die Schwarzarbeit. Deren Anteil am BIP liegt inzwischen bei 23,1 Prozent. Quelle: AP
Rang 5: GriechenlandÄhnlich wie in Slowenien sind die Probleme in Griechenland. Hohe Arbeitslosigkeit, geringe Perspektiven. Steuerhinterziehung wird zudem als Kavaliersdelikt angesehen und wurde von den Behörden viele Jahre kaum ernsthaft verfolg. Im Gleichschritt mit der Wirtschaftsleistung des Landes seit dem Ausbruch der Krise brach auch die Schattenwirtschaft. Während ehemals Waren und Dienstleistungen im Wert von 50 Milliarden Euro erwirtschaftet wurden, sind es 2013 wohl nur noch 43 Milliarden Euro. Der Anteil am BIP liegt konstant bei über 23,5 Prozent. Mit diesem Anteil liegt Griechenland gleichauf mit Polen. Quelle: REUTERS
Rang 4: LettlandZum 1. Januar 2014 möchte Lettland der Währungsunion beitreten. Die Wirtschaftsdaten sind gut: Das BIP wächst, die Staatsschulden liegen unter den Maastricht-Grenzwerten. Bei der Bekämpfung der Schattenwirtschaft gibt es allerdings noch große Probleme. Deren Anteil am BIP beträgt immense 25,5 Prozent (sechs Milliarden Euro). Quelle: dpa Picture-Alliance

Die bisher üblichen Razzien, bei denen Zöllner Baustellen nach Schwarzarbeitern durchkämmen, will Schäuble deutlich einschränken – und zwar um mehr als 150 000 Personenkontrollen oder fast 30 Prozent, wie aus einer internen Zielvereinbarung hervorgeht. Stattdessen sollen FKSler die Bilanzen der am Bau beteiligten Unternehmen genauer unter die Lupe nehmen.

Es ist eine schwierige Mission. Mitten im Geflecht der organisierten Banden spielen sogenannte Servicegesellschaften eine zentrale Rolle. Sie verschaffen der Mafia einen Mantel, der auf den ersten Blick seriös wirkt und meist auch einem zweiten Blick standhält. Servicefirmen besorgen gegen Provision die so wichtigen Unbedenklichkeitsbescheinigungen. Diese enthalten Anmelde-Unterlagen für die Sozialversicherungen von Mitarbeitern und müssen von Subunternehmern ihren Auftraggebern vorgelegt werden. Mit den Papieren kommen Schwarzarbeiter durch jede Razzia.

Der Mafia-Trick auf dem Bau

Das aber ist erst ein Teil des „Service“. Der andere besteht darin, Scheinrechnungen an Subunternehmen auszustellen, die damit ihre Bilanzen mit Ausgaben vollpumpen. Natürlich nur auf dem Papier. Unter der Hand bekommen sie ihr Geld von der Servicegesellschaft nach Abzug der Provision zurück. Mit dem Schwarzgeld können die Subs ihre Arbeiter unter der Hand abspeisen, Schmiergelder an ihre Auftraggeber zahlen, eine Art Eintrittsgeld an die Baustellenleiter entrichten (teilweise ein Euro pro Mitarbeiter und Stunde) – und natürlich auch einen ordentlichen Batzen für sich behalten.

Servicefirmen haben ein kurzes Leben. Meist ist nach einem halben Jahr Schluss, die Hinterlassenschaft besteht aus einem Berg ausstehender Sozialbeiträge und Steuern. Oft sind Servicefirmen kettenmäßig hintereinandergeschaltet. Das minimiert die Aufdeckungsgefahr durch Betriebsprüfer oder Kontrolleure zusätzlich. Stoßen die Beamten doch auf eine solche Firma, müssen sie erst einmal die nächste ausfindig machen, die sich womöglich in Rumänien oder der Schweiz befindet.

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