
Die Urteile, die das Bundessozialgericht Ende 2015 und Anfang 2016 fällte, sorgten im Hause von Andrea Nahles (SPD) für gehörige Verstimmung – und das ist noch vorsichtig ausgedrückt. Was passiert war? Die Kasseler Richter hatten allen EU-Bürgern mit Verweis auf die grundgesetzlich verankerte unantastbare Menschenwürde den Zugang zum deutschen Sozialsystem ermöglicht. Konkret: Das Recht auf Sozialhilfebezug und zwar unabhängig von der Tatsache, ob sie hierzulande arbeiten oder nicht.
Die Kommunen, die die Sozialhilfe aufbringen müssen, liefen Sturm. Die CSU wetterte gegen drohenden, massenhaften „Sozialmissbrauch“ besonders von Bulgaren und Rumänen. Und die zuständige Bundessozialministerin Nahles? Kündigte in der Tat flugs eine Reaktion an.
Die ist nun da. Und sie ist richtig: Nahles schraubt in ihrem Gesetzesentwurf die Hürden, die überwunden werden müssen, um vom deutschen Sozialstaat zu profitieren, in die Höhe. Wer in Deutschland lebt, aber nicht arbeitet, erhält künftig nicht schon nach einem halben, sondern erst nach fünf Jahren des Aufenthaltes einen Anspruch auf Sozialhilfe oder Hartz IV. Das hohe Gut der europäischen Freizügigkeit bedeutet, dass sich jeder EU-Bürger seinen Arbeitsplatz innerhalb Europas aussuchen darf – aber eben nicht, wo er Sozialleistungen beziehen will. Das sieht auch eine Sozialdemokratin und dezidierte Linke wie Nahles nicht anders.
Das Gesetz ist dennoch weit weniger drastisch oder scharf, als man auf den ersten Blick vermuten könnte. Es betrifft nur eine kleine Zahl von Zuwanderern, die in der Tat keinen Job haben oder gar nicht beabsichtigen, einen zu suchen. Die allermeisten Einwanderer hingegen (auch jene aus Bulgarien und Rumänien, die meist im Fokus stehen) arbeiten sehr wohl. Sie haben dann, im Falle von Arbeitslosigkeit, natürlich auch Anspruch auf Hilfe.
Viel wichtiger aber: Wer mit Tricks Zugang zum deutschen Sozialstaat bekommen möchte, schafft das auch weiterhin ohne größere Schwierigkeiten. Um im Sinne des neuen Gesetzes Anspruch geltend machen zu können, reicht beispielsweise bereits ein Minijob mit kleinem Lohn von wenigen hundert Euro. Schon gilt man als beschäftigt und umgeht die Fünf-Jahres-Frist ganz legal.
Asylanträge nach Bundesländern 2017
Nirgendwo sonst wurden so vielen Asylanträge gestellt wie in Nordrhein-Westfalen. In der ersten Jahreshälfte 2017 waren es bisher 32.122 Menschen.
Hinweis: Alle Daten beziehen sich auf Erst- und Folgeanträge in den Monaten Januar bis Juni 2017.
Quelle: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge / Statista
Stand: August 2017
12.921 Menschen haben in der ersten Hälfte des Jahres 2017 in Bayern einen Asylantrag gestellt.
In Baden-Württemberg wurden 2017 bisher 11.290 Asylanträge gestellt.
In Niedersachsen stellten 10.003 Menschen im Januar bis Juni 2017 einen Antrag auf Asyl.
In Rheinland-Pfalz beantragten 2017 bislang 7.610 Menschen Asyl.
In Hessen stellten in den ersten sechs Monaten 2017 7.508 Bewerber einen Asylantrag.
In Berlin wurden von Januar bis Juni 2017 5.535 Anträge auf Asyl gestellt.
Bis Mitte 2017 stellten 4.205 Menschen einen Asylantrag in Sachsen.
3.346 Asylanträge verzeichnet Schleswig-Holstein für die ersten sechs Monate 2017.
Einen Asylantrag in Sachsen-Anhalt stellten bis Juni 2017 3.304 Menschen.
Asyl in Brandenburg beantragten in der ersten Jahreshälfte 3.162 Menschen.
In Thüringen wurden in den Monaten Januar bis Juni 2017 3.049 Asylanträge gestellt.
In Hamburg stellten bis Ende Juni 2017 2.633 Menschen einen Antrag auf Asyl.
In Mecklenburg-Vorpommern stellten 2.104 Menschen einen Asylantrag (Januar bis juni 2017).
Bis Juni 2017 stellten im Saarland 1.538 Menschen einen Asylantrag.
In Bremen beantragten bis Ende Juni 1.192 Menschen Asyl.
Bei 94 Asylanträgen bis Mitte 2017 ist das Bundesland, in dem der Antrag gestellt wurde, anscheinend unbekannt.
Eine weitere Möglichkeit, die auch mit voller Absicht praktiziert wird, geht so: Man beantragt als EU-Ausländer die Selbstständigkeit und besorgt sich einen Gewerbeschein (das ist schwieriger geworden, aber weiterhin möglich). Dann reichen ein paar Pseudo-Euro Umsatz, um sofort Aufstockerleistungen der Grundsicherung zu beantragen.
Beide Möglichkeiten zum Missbrauch sind bekannt, sie sind – glücklicherweise – auch seltener anzutreffen, als populistische Politiker gerne weißmachen. Aber diese werden eben aller scharfen Rhetorik zum Trotz von der Reform von Andreas Nahles nicht verhindert. Man sollte sich also vom Schutzgesetz für den Sozialstaat nicht allzu viel erhoffen.