Durch die anhaltende Dürre in vielen Regionen Deutschlands ist eine Debatte über milliardenschwere Nothilfen für Bauern mit schweren Ernteeinbußen entbrannt. Auslöser ist eine entsprechende Forderung des Bauernverbands nach rund einer Milliarde Euro. Am Dienstag kamen Experten des Bundesagrarministeriums und der Länder zusammen, um eine „erste Bestandsaufnahme“ der Schäden vorzunehmen. Beschlüsse über weitere Hilfen wurden vorerst nicht erwartet. Der Bund will erst über mögliche eigene Hilfen entscheiden, wenn Ende August eine offizielle Abschlussbilanz der Ernte vorliegt. „Wenn das ein nationales Ausmaß hat, dann kann der Bund wie 2003 auch mit Finanzen helfen“, sagte Klöckner am Montagabend im ZDF. Nach einer pauschalen Absage klingt das nicht.
Aus ordnungspolitischer Perspektive wäre eine solche Maßnahme höchst fragwürdig: Wenn Bauern das Signal erhalten, das bei witterungsbedingten Ertragseinbußen in jedem Fall der Staat einspringt, könnte das den Anreiz mindern, selbst Maßnahmen zum Schutz vor solchen unternehmerischen Risiken zu ergreifen und diese auf die Allgemeinheit abzuwälzen. Solche Möglichkeiten gibt es nämlich durchaus – wenn auch wohl noch nicht genug.
Die aktuelle Hitzeperiode trifft längst nicht alle Betriebe gleichermaßen, betont der Gießener Agrarökonom Rainer Kühl: „Betroffen sind vor allem Viehbetriebe, die mit ihrem eigenen Aufwuchs die Tiere füttern und nun Futter zukaufen müssen. Getreidebauern, die ihr Getreide auf dem eigenen Betrieb lagern können, können vielleicht noch mit dem Verkauf ihrer Ernten warten, so dass sie vielleicht noch von stärker steigenden Preisen profitieren. Wer seine Ernte oder einen Teil davon schon im Voraus zu einem geringeren Preis vertraglich verkauft hat, profitiert von den steigenden Preisen nicht und ist durch die Ertragseinbußen natürlich härter getroffen.“
Gewinner und Verlierer der Dürre in Deutschland
Wegen der Dürre rechnet der Deutsche Bauernverband (DBV) mit Ernteeinbußen von mindestens 20 Prozent im Vergleich zum Durchschnittswert der vergangenen fünf Jahre. Allein beim Getreide rechnet er mit Einnahmeausfällen von 1,4 Milliarden Euro. In den besonders betroffenen Ländern Brandenburg, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt liegen die Erträge beim bereits geernteten Winterroggen um 40 Prozent unter Vorjahresniveau. Bei der Wintergerste wird bundesweit mit einem Rückgang um 18 Prozent gerechnet.
Der für Kartoffeln zuständige Verband BOGK geht davon aus, dass die Ernte mindestens um ein Viertel geringer ausfallen wird als in den Vorjahren. Zudem gibt es weniger große Kartoffeln, die für die Herstellung von Pommes frites benötigt werden.
Mit der Dürre haben auch Schweine- und Rinderhalter zu kämpfen. Ihnen geht das Futter aus, denn auf den eigenen Feldern kümmert etwa der Mais vor sich hin. Der Zukauf von Futtermitteln macht einen Strich durch die Kalkulation, der Bestand musste bei einigen schon verkleinert werden. In den Dürregebieten sei die Zahl der Schlachtungen seit Anfang Juli um 15 Prozent gestiegen, berichtet Albert Hortmann-Scholten von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen. Zudem litten die Kühe unter der Hitze. Seit Anfang Juni sei die Milchproduktion deswegen leicht zurückgegangen. Der Bundesverband Deutscher Milchbauern berichtet, immer mehr Betriebe gerieten in Liquiditätsschwierigkeiten.
Die Schifffahrt auf Rhein und Donau ist wegen des Niedrigwassers stark beeinträchtigt. Frachtschiffe können für Rheinfahrten flussaufwärts von Duisburg aus nicht voll beladen werden. Dasselbe gilt für den gesamten deutschen Verlauf der Donau. Dadurch sind die Frachtpreise gestiegen.
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund fürchtet Spätfolgen der Hitze auf deutschen Straßen. Die Asphaltdecken könnten beschädigt werden. Wasser könne später in die entstandenen Ritzen und Spalten eindringen, und bei Minusgraden könne die Fahrbahndecke ernsthaft beschädigt werden. Schon jetzt gebe es einen Investitionsrückstau in der Verkehrsinfrastruktur von 38,6 Milliarden Euro.
Auch die Deutsche Bahn wird von der Hitze gebremst. Die Zugausfälle lägen ein wenig über den durchschnittlichen Werten, sagte eine Unternehmenssprecherin dem „Handelsblatt“.
Der Stromproduzent EnBW hat die Leistung im Block 2 seines Atomkraftwerks Philippsburg um bis zu zehn Prozent heruntergefahren. Damit wird auf die erhöhte Rheintemperatur reagiert. Das Wasser wird zur Kühlung benötigt. Zudem wollen die AKW-Betreiber die Wärmeabgabe in den Rhein begrenzen. Der Block 7 des EnBW-Rheinhafen-Dampfkraftwerks in Karlsruhe ist bis auf weiteres abgestellt.
Wegen Trockenheit gibt es in Teilen Deutschlands Warnungen vor Waldbränden. In Niedersachsen etwa besteht fast landesweit allerhöchste Brandgefahr, in Brandenburg bei Fichtenwalde standen jüngst schon Wälder in Flammen. Die Trockenheit der vergangenen Wochen und die stark gestiegenen Temperaturen haben die Bäume bereits in Mitleidenschaft gezogen.
Aber auch im Wasser sieht es nicht viel besser aus: Fische sterben, wenn das Wasser immer wärmer wird. „Spätestens ab 28 Grad ist mit Schädigungen der Gewässerbiologie zu rechnen“, sagt Holger Sticht vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND). Einige Fische in Flüssen suchten sich kühlere Orte zum Laichen und brächten so ihren natürlichen Takt durcheinander. „Problematischer ist die Lage in Stillgewässern und kleineren Fließgewässern“, sagt Fischereibiologe Olaf Niepagenkemper. Wenn es wärmer wird, könne das Wasser weniger Sauerstoff aufnehmen. Ein tausendfaches Fischsterben am Rhein ist nach Experteneinschätzung kaum noch abzuwenden.
Der DBV rechnet nicht mit starken Auswirkungen der Dürre auf die Kosten von Lebensmitteln für Verbraucher. Allerdings werden in der Branche für bestimmte Produkte wie Kartoffeln Steigerungen erwartet. Beim Brot, bei dem Mehl nur einen geringen Anteil der Herstellungskosten ausmacht, wird sich dagegen die Trockenheit kaum auf die Preise auswirken. Fleisch wird nach Ansicht von Hortmann-Scholten wegen der Notschlachtungen sogar kurzfristig billiger. „Aber zum Herbst werden die Preise vermutlich deutlich zulegen.“
Zu den Profiteuren des Wetters zählen die Hersteller von Speiseeis. Allein bis Mai sei ein Umsatzplus von 15 Prozent erzielt worden, sagt Ernst Kammerinke, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Süßwarenindustrie. „Die Betriebe sind komplett ausgelastet, die im Winter produzierten Vorräte fast aufgebraucht.“ In den Betrieben würden Sonderschichten gefahren.
Auch Getränkehersteller können sich über eine große Nachfrage freuen. Die bayerische Brauwirtschaft meldete für das erste Halbjahr ein Absatzplus von 4,5 Prozent auf 12,2 Millionen Hektoliter. Rekordverkäufe wurden demnach bei alkoholfreiem Bier erreicht.
Egal ob als Sonnensegel, Sonnenschirm, Baldachin oder Markise, Schattenspender aller Art sind bei den sommerlichen Temperaturen sehr gefragt. „Bei den Bereichen Pavillon, Bewässerung, Camping und Grillen verspüren wir einen deutlichen und starken Nachfragezuwachs“, sagte eine Sprecherin der Baumarktkette Hagebau. Eine gute Nachfrage bestätigen auch viele Fachgeschäfte bei Ventilatoren und Klimageräten.
Doch direkte Sonnenstrahlung ist nicht immer zu vermeiden, und oft genug ja auch gewünscht. Die Sonnenstrahlung sorgt aber nicht nur für gesunde Bräune, sondern verursacht auch Sonnenbrand – und im schlimmsten Fall Hautkrebs. Sonnencremes stehen daher laut Einzelhandel hoch im Kurs.
Die Weltmarktpreise für Weizen sind seit Jahresbeginn um rund 25 Prozent gestiegen. Zuvor allerdings sind etwa fünf Jahre lang die weltweiten Ernteerträge kontinuierlich gestiegen und damit auch die Lagerstände. „Darum war die Preisentwicklung lange Zeit gedämpft“, sagt Agrar-Analystin Michaela Kuhl von der Commerzbank. „Jetzt schrumpfen die Lagerbestände in den exportierenden Ländern, aber von einer globalen Knappheitssituation sind wir weit entfernt.“ Erst wenn die Ernte auch im kommenden Jahr ähnlich schlecht ausfallen werde, könnte die Versorgungslage allmählich angespannt werden, sagt Kuhl. Dennoch habe sich die Stimmung unter den kurzfristig orientierten Marktteilnehmern an den Agrarrohstoffbörsen bereits gedreht, die lange Zeit pessimistisch für die weitere Preisentwicklung gestimmt waren.
Seinen Studenten als künftigen Landwirten rät Kühl, ihre Produktion zu diversifizieren, etwa in den Anbau unterschiedlich früh- oder spätreifender Getreidesorten. Das machen die meisten Bauern auch. Viele haben auch diversifiziert in Bio-Energie und Öl-Saaten, also Raps, und andere Produktzweige.“ Allerdings sind die Möglichkeiten dazu von der Lage des Betriebes und der Qualität der Böden mitbestimmt: „Manche haben ein höheres Wasserhaltevermögen, andere trocknen schneller aus. Die natürlichen pflanzenbaulichen Voraussetzungen sind regional sehr unterschiedlich.“
Ein Problem für viele Bauern ist der Mangel an speziellen Ertragsausfall-Versicherungen für Landwirte. Wenn es sie gibt, sind die Beiträge den Bauern allerdings meist zu hoch. Das liegt daran, dass für die Versicherer die Risiken in der Landwirtschaft naturgemäß immer ganze Regionen betreffen. Eine andere Möglichkeit für Landwirte, Risiken abzufedern sind Termingeschäfte an den Börsen. „Diese Möglichkeit ist für nicht alle Landwirte gedacht, nur für die, die größere Partien handeln können“, sagt Kühl. „Aber man kann ja auch Vermarktungsunternehmen damit beauftragen.“
Statt pauschaler Hilfen vom Staat hält Kühl eine andere schon seit 2008 vom Bauernverband geforderte politische Maßnahme für sinnvoll: die steuerliche Begünstigung der Rücklagenbildung in einzelnen betroffenen Betrieben zur Kompensation witterungsbedingter Einkommenseinbußen. Demnach sollen in Jahren mit hohen Einkommen steuerfrei Rücklagen gebildet werden dürfen, die dann in Jahren mit niedrigen Einkommen Gewinn erhöhend aufgelöst werden können. Das diene aber, so stellte der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik beim Bundeslandwirtschaftsministerium schon 2011 fest „mehr der Einkommensglättung bei prinzipiell positiven Gewinnen“. Die Ruinwahrscheinlichkeit durch extreme Witterungsschäden könne nur eine Ernteversicherung minimieren.