Wenn Sie am 8. Juli zur Feier des Tages eine Flasche Schampus köpfen, stoßen Ihr Bundesfinanzminister und 16 Landesfinanzminister mit an. Über die 1,60 Euro Umsatzsteuer (bei einem passablen Zehn-Euro-Sekt) freuen sich alle gemeinsam; die 1,02 Euro Schaumweinsteuer kassiert dagegen Wolfgang Schäuble allein. Aber das ist nur die Korkspitze des Steuerberges. Beim Einkauf haben Sie natürlich auch die Steuern und Sozialabgaben mitbezahlt, die der Winzer, die Sektkellerei und Glasfabrik, später der Spediteur und am Schluss Ihr freundlicher Einzelhändler vorgestreckt haben. Summa summarum dürften Sie beim Zuprosten rund die Hälfte der zehn Euro Vater Staat spendieren.
Selbstverständlich ist der 8. Juli 2013 kein offizieller Feiertag, und kein Politiker möchte eine Festrede halten. Dennoch hat er eine besondere Bedeutung für die soziale Marktwirtschaft und unser Verhältnis zum Staat – beziehungsweise umgekehrt. Bis zu diesem Tag müssen alle Deutschen in diesem Jahr nur dafür arbeiten, ihre Steuern und Abgaben abzubezahlen. Erst jetzt dürfen wir für den Rest des Jahres in die eigene Tasche wirtschaften. „Steuerzahlergedenktag“ nennt deshalb der Bund der Steuerzahler (BdSt) dieses Datum. Selbst Hartz-IV-Bezieher, die ihren Lebensunterhalt komplett per Regelsatz aus der Staatskasse erhalten, liefern über die diversen Verbrauchsteuern fast 30 Prozent davon wieder beim Fiskus ab.
So lange arbeiten wir nur für den Staat
Zählt man alle Abgaben, direkten und indirekten Steuern zusammen, lässt sich ausrechnen, bis zu welchem Tag im Jahr wir statistisch gesehen nur für Staat und Sozialkassen arbeiten. Im Schnitt aller Einkommensgruppen ist dieser „Steuerzahlergedenktag“, wie ihn der Steuerzahlerbund getauft hat, 2013 am 8. Juli.
1960: 27. Mai
1970: 9. Juni
1980: 3. Juli
1990: 24. Juni
2000: 19. Juli
2010: 29. Juni
2011: 5. Juli
2012: 8. Juli
2013: 8. Juli
Quelle: Bund der Steuerzahler
... zahlt ein Hartz-IVEmpfänger mit einem Regelsatz von 382 Euro, an den Staat
... arbeiten ein Ehepaar oder ein Alleinverdiener mit zwei Kindern mit einem Haushaltseinkommen von 4190 Euro, für den Staat
... arbeitet ein Ehepaar als Doppelverdiener im Eigenheim mit zwei Kindern und einem Haushaltseinkommen von 13.630 Euro, für den Staat
... arbeitet ein Single mit einem Haushaltseinkommen von 5760 Euro, für den Staat
... arbeitet ein Unternehmer mit 100 Millionen Euro Umsatz und 5,4 Millionen Euro Gewinn vor Steuern, für den Staat
Bei der Bundestagswahl im September wird daher auch über den Kalender abgestimmt. SPD, Grüne und Linkspartei wollen die Steuerlast für Gut- und Spitzenverdiener sowie Vermögende deutlich nach oben schrauben und Geringverdiener im Gegenzug entlasten. Unterm Strich bliebe ein Plus für den Fiskus – mal wieder.
Schon vor vier Jahren gab es einen Steuerwahlkampf. Damals versprach vor allem die FDP eine radikale Umkehr im System. „Einfach, niedrig und gerecht“ sollte es zugehen. Doch durchgesetzt haben die Liberalen ihr Versprechen nicht. Erst scheiterten sie an CDU-Finanzminister Wolfgang Schäuble, dann an der Euro- und Staatsschuldenkrise. Der Abbau der kalten Progression blieb an einer rot-grünen Abwehrfront im Bundesrat hängen. „Ziehen wir Bilanz, dann müssen wir feststellen, dass vieles versprochen, aber nur wenig realisiert wurde“, schimpft BdSt-Präsident Reiner Holznagel. „Gut sind die Entlastungen bei den Sozialabgaben, schlecht ist weiterhin die Höhe der steuerlichen Belastung.“
Was die Steuerpläne von SPD und Grüne für Singles und Ehepaare bedeuten | ||
Single | ||
Einkommen | Veränderung der Steuersumme... | |
...nach Plan der Grünen | ...nach Plan der SPD | |
36.000 Euro | -129 Euro | 0 Euro |
54.000 Euro | -159 Euro | 0 Euro |
72.000 Euro | +477 Euro | +65 Euro |
Ehepaar, ein Verdiener | ||
Einkommen | Veränderung der Steuersumme... | |
...nach Plan der Grünen | ...nach Plan der SPD | |
36.000 Euro | -230 Euro | 0 Euro |
54.000 Euro | -238 Euro | 0 Euro |
72.000 Euro | +1974 Euro | 0 Euro |
Dabei lassen die gute Konjunktur, ordentliche Gewinne der Unternehmen und kräftige Lohnerhöhungen in Verbindung mit mehr Beschäftigten die Steuern üppiger denn je sprudeln. Die Einnahmen von Bund und Ländern wuchsen zwischen Januar und Mai gegenüber dem Vorjahreszeitraum um drei Prozent auf 218 Milliarden Euro. Die Arbeitnehmer zahlten fast sieben Prozent mehr Lohnsteuer, die Kapitalgesellschaften führten zehn Prozent mehr Körperschaftsteuer ab. Die sogenannte „veranlagte Einkommensteuer“, die vor allem Personengesellschaften erbringen, kletterte sogar um 29 Prozent.
Wie Tiefstapelei wirkt da die Steuerschätzung, die Bund, Länder und Wissenschaftler im Mai abgaben. Derzufolge soll das Steueraufkommen 2013 „nur“ um 2,5 Prozent auf 615 Milliarden Euro zunehmen. 2017 werden 704 Milliarden Euro erwartet – gegenüber 2012 wäre dies ein Anstieg um mehr als 100 Milliarden Euro. So immens steigen die Einnahmen, dass der Bund und selbst das chronisch klamme Land Berlin ab 2015 ohne neue Schulden auszukommen gedenken. Dank der Beiträge von Beschäftigten und Unternehmen geht es auch den Sozialkassen so blendend wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Sie verzeichneten Ende 2012 einen Überschuss von fast 16 Milliarden Euro. Die Sozialabgaben zählt der BdSt bei der Berechnung des Steuerzahlergedenktages mit. Begründung: Sie sind Zwangsabgaben, denen sich die Beitragszahler nicht entziehen können.
Versteckte Lasten
Insgesamt zahlen Bürger und Betriebe über eine Billion Euro pro Jahr an Fiskus und Sozialkassen. Und dies ohne großes Murren, ohne Aufstand. Denn natürlich gibt es Gegenleistungen: eine halbwegs intakte Infrastruktur, Schutz vor inneren und äußeren Bedrohungen, Bildung, Gesundheitsversorgung und Sozialleistungen, eine funktionierende Justiz und eine öffentliche Verwaltung. Dennoch sind mehr als 50 Prozent Abzüge vom Einkommen ein Batzen, den eigentlich kaum jemand freudig-freiwillig akzeptieren kann. Das weiß auch die Politik. „Wenn die Bürger wirklich mitbekommen, was sie dem Staat abgeben müssen, kriegen wir richtig Ärger“, meint ein Finanzpolitiker der schwarz-gelben Koalition, der lieber anonym bleiben möchte. Deshalb verschleiert der Staat, um ans Geld der Bürger zu kommen. Otto Fricke, haushaltspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, fragt bisweilen Schüler beim Besuch im Berliner Reichstag, ob sie schon Steuern zahlten. Auf deren Kichern hin hakt Fricke nach, wer denn heute einen Kaffee oder Brötchen gekauft habe – natürlich einschließlich Steuern. „Die jungen Leute sind dann baff und oft richtig sauer“, sagt Fricke.
Jährliche Einnahmen der öffentlichen Hand aus Steuern, Abgaben und Sozialversicherungsbeiträgen
1.090.424 Millionen Euro
Quellen: BMF, BDEW, BMAS, Destatis, GEZ-Geschäftsbericht, Deutsche Bischofskonferenz
Umsatzsteuer: 198.200 Millionen Euro
Tabaksteuer: 13.900 Millionen Euro
Rundfunkbeitrag: 7500 Millionen Euro
Branntweinsteuer: 2100 Millionen Euro
Rennwett- und Lotteriesteuer: 1600 Millionen Euro
Kaffeesteuer: 1000 Millionen Euro
Biersteuer: 665 Millionen Euro
Vergnügungsteuer: 617 Millionen Euro
Schaumweinsteuer: 460 Millionen Euro
Hundesteuer: 288 Millionen Euro
Zweckgebundene Kommunalabgaben: 216 Millionen Euro
Spielbankenabgabe: 22 Millionen Euro
Zwischenerzeugnissteuer: 14 Millionen Euro
Jagd- und Fischereisteuer: 13 Millionen Euro
Fremdenverkehrsabgabe: 8 Millionen Euro
Alkopopsteuer: 1 Million Euro
Schankerlaubnissteuer*: 0,35 Millionen Euro
Getränkesteuer**: 0,016 Millionen Euro
* in Hessen und Rheinland-Pfalz
** in Hessen; alle Zahlen gerundet; jeweils aktuellster verfügbarer Wert; hinzu kommen noch diverse sonstige Steuern in einzelnen Kommunen wie etwa die „Hotelbettensteuer“ oder die „Rotlichtsteuer“;
Grundsteuer: 12.200 Millionen Euro
Grunderwerbsteuer: 8300 Millionen Euro
Feuerschutzsteuer: 382 Millionen Euro
Zweitwohnungsteuer: 108 Millionen Euro
Lohn- undEinkommensteuer: 213.400 Millionen Euro
Gewerbesteuer:43.200 Millionen Euro
Körperschaftsteuer:18.900 Millionen Euro
Solidaritätszuschlag:14.000 Millionen Euro
Kirchensteuer: 10.000Millionen Euro
Versicherungsteuer: 11.400 Millionen Euro
Abgeltungsteuer: 8400 Millionen Euro
Erbschaftsteuer: 4200 Millionen Euro
Beiträge Rentenversicherung: 192.000 Millionen Euro
Beiträge Krankenversicherung: 176.000 Millionen Euro
Beiträge Arbeitslosenversicherung: 26.600 Millionen Euro
Beiträge Pflegeversicherung: 23.000 Millionen Euro
Energiesteuer: 39.500 Millionen Euro
EEG-Umlage: 20.400 Millionen Euro
Kfz-Steuer: 8500 Millionen Euro
Stromsteuer: 7000 Millionen Euro
Konzessionsabgabe: 2200 Millionen Euro
Kernbrennstoffsteuer: 1400 Millionen Euro
Luftverkehrsteuer: 960 Millionen Euro
Offshore-Haftungsumlage: 850 Millionen Euro
Netzumlage (Strom): 810 Millionen Euro
Aufschlag Kraft-Wärme-Kopplung: 410 Millionen Euro
Beim Bäcker fällt der im Verkaufspreis versteckte Obolus noch nicht so ins Gewicht. Ein paar Brötchen und Croissants für 4,25 Euro enthalten nur 28 Cent Umsatzsteuer (ermäßigter Satz von sieben Prozent). Beim Kinderwagen für 429 Euro kassiert der Fiskus indes schon 68,49 Euro (19 Prozent), bei der 3080 Euro teuren Schrankwand fürs Wohnzimmer sind es 491,76 Euro. Dies bemerkt nur derjenige, der genau auf den Kassenbon schaut.
Besonders dreist langt Vater Staat beim Tanken zu. Wer einen Liter Super für 1,54 Euro tankt, unterstützt weniger den Tankwart, sondern vor allem den Fiskus – der nämlich kassiert über Mineralölsteuer, Mehrwertsteuer und „Erdölbevorratungsabgabe“ stolze 0,90 Euro des Literpreises.
Versteckte Lasten treffen auch die Unternehmer. Nicht die Beschäftigten müssen ihre Lohnsteuer, Kirchensteuer und Sozialversicherungsbeiträge ans Finanzamt beziehungsweise die Sozialversicherungsträger überweisen. Nein, das müssen ihre Arbeitgeber machen, die die Abgaben berechnen und ihren Mitarbeitern vom Lohn abziehen. Die Hilfsdienste kosten die Wirtschaft jährlich über sechs Milliarden Euro an Verwaltungsaufwand, schätzt das Institut der deutschen Wirtschaft. Erstattet bekommen die Unternehmen davon: nichts. Bemerkenswerterweise kassieren die Finanzbehörden der Länder ihrerseits für das Weiterleiten der Kirchensteuer an die Religionsgemeinschaften bis zu 4,5 Prozent als Bearbeitungsgebühr. Bei den Zolleinnahmen, die der EU zufließen, behält der Bund sogar 25 Prozent zur pauschalen Abgeltung seiner Erhebungskosten ein, immerhin eine Milliarde Euro.
Das zweifelhafte Vergnügen, ihre Einkommen- und Umsatzsteuern sowie Versicherungsbeiträge selbst überweisen zu müssen, haben allein Selbstständige. Und sollte sich jemand mit der monatlichen Umsatzsteuervorauszahlung vertun oder bummeln, droht umgehend ein Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung.
Schuften für den Fiskus
Elektromeister Bernd Ehinger, Präsident der Handwerkskammer Frankfurt-Rhein-Main, hat anhand der Daten von gut 200 größeren Betrieben berechnen lassen, wie viel für den Chef und Eigentümer von einer zusätzlichen Million Euro Umsatz übrig bleibt. Im arbeitsintensiven Handwerk mit 40 bis 50 Prozent Personalkosten am Umsatz sei das Ergebnis trostlos – insbesondere „wenn ich die Mitarbeiter für die Arbeit nach Feierabend mit Überstundenzuschlägen von 25 bis 50 Prozent motivieren muss“. Bei einer durchschnittlichen Rendite von drei Prozent verblieben von einer Million Euro Umsatz nur 30.000 Euro brutto für den Unternehmer, wovon der bei vollständiger Entnahme lediglich 22.088 Euro bekäme. Ehinger: „Wir sind an einem Punkt, da sagt der Handwerker: Es lohnt sich nicht!“ Profiteur ist dagegen Vater Staat. Auf „locker 300.000 Euro“ veranschlagt Ehinger die Steuern und Sozialabgaben, die nicht nur der Handwerksbetrieb abführen muss, sondern die über die gesamte Produktionskette (einschließlich Lieferanten und Vor-Dienstleister) verteilt anfallen. Aufs Jahr gerechnet, kommt der Handwerksmeister zu einem niederschmetternden Ergebnis: „Nach Abzug von Betriebsaufwendungen, Sozialkosten und Fiskus bleiben nur 26 Tage vom Jahr, an denen der Betrieb nur für sich arbeitet.“ Wenn SPD und Grüne an die Regierung kämen und ihre Steuerpläne umsetzten, wären es laut Ehinger nur noch 21 Tage.
In der Schweiz müssen Arbeitnehmer ihre Lohnsteuer selbst überweisen. Darauf weist Christoph Hild neidvoll hin, Steuerexperte beim Verband der Chemischen Industrie, dessen Mitglieder mit Unternehmen auf der anderen Seite des Bodensees in Wettbewerb stehen. Die Eidgenossen haben bis zum 31. März des Folgejahres eine Steuererklärung abzugeben und dann ihre Steuerlast zu begleichen. Die Arbeitgeber behalten nur Altersvorsorge- und Krankenversicherungsbeiträge ein.
Zur staatlichen Verschleierungstaktik zählt auch, die Kosten der Energiewende über staatliche Abgaben zu finanzieren. Die schwarz-gelbe Bundesregierung unter Helmut Kohl führte 1991 das Energieeinspeisegesetz ein, Rot-Grün baute es zum Erneuerbaren-Energien-Gesetz (EEG) aus. Die Umlagen für Bürger und Betriebe – EEG-Umlage, Konzessionsabgabe, Aufschlag für Kraft-Wärme-Kopplung, Netzumlage und Offshore-Haftungsumlage – summieren sich 2013 auf fast 25 Milliarden Euro. Der statistische Schönheitseffekt: Sie alle gehören in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung nicht zu den staatlichen Abgaben, weil der Geldfluss vom Kunden über den Netzbetreiber läuft, nicht durch öffentliche Kassen.
BdSt-Finanzexperte Volker Stern verzichtet deshalb darauf, die Energieumlagen in die Berechnung des Steuerzahlergedenktages einzubeziehen. Das ändert jedoch nichts am Charakter der Zwangsabgaben, für die Bürger und Betriebe gesamtwirtschaftlich gesehen mehr als vier Tage im Jahr arbeiten müssen. Folglich dürfen die Deutschen am 12. Juli ein weiteres Mal die Sektkorken knallen lassen.
Kalte Progression
Als nichtstaatliche Abgabe zählt auch die Rundfunkgebühr von 17,98 Euro im Monat. Damit sich niemand der Gebühr entziehen kann, müssen seit Jahresbeginn jeder Haushalt und Betrieb zahlen – egal, ob sie Radio- oder TV-Geräte besitzen oder nicht. Für einen Privathaushalt sind das 215,76 Euro im Jahr; insgesamt kassieren ARD und ZDF rund 7,5 Milliarden Euro. Kalendarisch gesehen: Einen guten Tag arbeiten wir nur für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Also noch ein Sekt gefällig? Der 13. Juli böte einen Anlass.
Zu den Tricks der Politik gehört auch, das Volk mit Euphemismen zu narkotisieren. Der Solidaritätszuschlag etwa hat nur noch wenig mit brüderlicher Aufbauhilfe für den Osten zu tun. Den 14 Milliarden Euro Soli-Aufkommen stehen in diesem Jahr nur schätzungsweise sechs Milliarden Euro an Ausgaben für den Aufbau Ost gegenüber. Bis 2019 summieren sich die Überschüsse aus der Sonderabgabe auf ungefähr 100 Milliarden Euro, die allein dem Bundeshaushalt zugute kommen. Ob der Soli danach wie ursprünglich vereinbart verschwindet? SPD, Grüne und die Linke fordern schon jetzt den dauerhaften Fortbestand des 5,5-prozentigen Zuschlags auf Einkommen-, Abgeltung- und Körperschaftsteuer. Das erinnert an die Sektsteuer, die im Kaiserreich zur Finanzierung der Kriegsflotte eingeführt wurde und unter den Nazis als Beitrag für den U-Boot-Bau galt. Zwei verlorene Kriege und 111 Jahre hat diese Steuer inzwischen überlebt.
Als „Ökosteuer“ adelte die rot-grüne Bundesregierung 1999 gar die Einführung der Stromsteuer und Aufschläge bei der Mineralölsteuer. Um die Akzeptanz zu erhöhen, versprach die Regierung, die Einnahmen zur Stabilisierung der Rentenversicherung zu verwenden. Ähnlich obskur war und ist der Umgang mit der Tabaksteuer. Diese wurde unter anderem erhöht, um zusätzliche Sicherheitsausgaben nach den New Yorker Anschlägen vom 11. September 2001 zu finanzieren. Kommentar des damaligen FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle: „Rauchen für die Sicherheit, Rasen für die Rente. Das ist keine Finanzpolitik, das ist Gaga.“
Dass Westerwelle später zu schwarz-gelben Koalitionszeiten auf eine Rücknahme dieser Steuern gedrängt habe, ist indes nicht überliefert. Einmal eingeführte Steuern fristen ein zähes Eigenleben, sobald sich das Volk an sie gewöhnt hat.
Heimliche Steuererhöhungen passen da ins Regier- und Kassiermuster. Am bekanntesten und effektivsten ist die sogenannte kalte Progression (siehe Tabelle). Beschäftigte rutschen dabei durch Lohnerhöhungen auf der progressiven Steuertarifkurve nach oben und müssen einen höheren Prozentsatz ihres Einkommens an den Fiskus abliefern. Bei einem Single mit einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 30.000 Euro beispielsweise bedeutet dies nach Berechnungen des Steuerzahlerbundes: Gehaltszuwächse um 13 Prozent bis 2017 führen zu 23 Prozent mehr Steuerlast. Im Extremfall kann das dazu führen, dass Arbeitnehmer nach einer Lohnerhöhung netto weniger im Portemonnaie haben.
Musterrechnung: Ärgernis kalte Progression | |||||
Wenn das Einkommen innerhalb von vier Jahren um 13,3 Prozent* steigt... | ...erhöht sich die Steuerlast der Arbeitnehmer überproportional... | ...und das zusätzlich verdiente Geld bleibt z einem großen Teil beim Staat | |||
2013 | 2017 | 2013 | 2017 | Veränderung Einkommen (netto) | Veränderung der Steuerlast |
20.000 | 22.600 | 2823 | 3596 | +10,6 Prozent | +27,4 Prozent |
30.000 | 33.990 | 5908 | 7274 | 10,9 | 23,1 |
40.000 | 45.320 | 9476 | 11.571 | 10,6 | 22,1 |
50.000 | 56.650 | 13.527 | 16.454 | 10,2 | 21,6 |
60.000 | 67.980 | 17.938 | 10,6 | 10,6 | 19,7 |
*Wert entspricht dem fortgeschriebenen Tarifabschluss im öffentlichen Dienst; Annahme: Alleinstehender, konstanter Steuertarif Quelle: Bund der Steuerzahler, eigene Berechnungen |
Drei Milliarden Euro pro anno kassiert der Fiskus durch die kalte Progression. Ende vorigen Jahres wollte die schwarz-gelbe Koalition endlich diesen leistungsfeindlichen Automatismus abschaffen, doch scheiterte sie am rot-grünen Widerstand im Bundesrat. Die Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen und SPD-Wortführerin Hannelore Kraft erklärte ihr Nein zum Abbau der kalten Progression mit den Worten: „Auch ich würde gerne Geschenke verteilen, aber Ländern und Kommunen fehlen dafür die notwendigen Finanzmittel.“
Krafts Worte sind bemerkenswert. Zum einen reichen die Rekordeinnahmen offenbar immer noch nicht aus, um die öffentlichen Haushalte in Ordnung zu bringen. Zum anderen illustriert die Formulierung der SPD-Politikerin – „Geschenke verteilen...“ –, wie sie das Verhältnis zwischen Staat und Bürgern sieht. Was der Staat seinen Bürgern nicht wegnimmt, versteht die Sozialdemokratin als „Geschenk“. Das wirkt wie roter Absolutismus.
Dazu passen trefflich die Wahlprogramme von SPD, Grünen und der Linken, die Einkommensteuer für Gutverdiener zu erhöhen und die Vermögensteuer wiederzubeleben. Allein die Grünen-Pläne würden das Steueraufkommen um 40 Milliarden Euro in die Höhe treiben, errechnete der Wirtschaftsverband Die Familienunternehmer. Statistisch gesehen müssten die Deutschen dann noch eine Woche länger für den Staat arbeiten – bis zum 20. Juli.
Gefährdete Unternehmen
Nach einer Musterrechnung von BdSt-Experte Volker Stern für die WirtschaftsWoche kommt eine vierköpfige Familie mit einem monatlichen Bruttoeinkommen von 4190 Euro auf eine Steuer- und Abgabenbelastung von insgesamt 47 Prozent – alle versteckten Belastungen eingerechnet. Ein Single mit monatlich 5760 Euro käme auf stolze 61,9 Prozent an Abzügen. Kalendarisch betrachtet muss die Familie bis zum 21. Juni für den Staat arbeiten, der (gut verdienende) Single hingegen bis zum 14. August.
Diese Spreizung ist den Oppositionsparteien im Bundestag allerdings nicht groß genug. Die Grünen wollen Einkommen über 60.000 Euro noch stärker besteuern, die SPD ab 65.000 Euro. Bei den Sozialdemokraten hätte der besagte Single noch Glück, nach den grünen Plänen müsste er laut Steuerzahlerbund rund 260 Euro mehr abdrücken – beziehungsweise anderthalb Tage länger für den Staat arbeiten.
„Starke Schultern können mehr tragen als schwache“, meinen die grünen Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin unisono. Stefan Bach, Steuerexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, sekundiert, dies treffe „maximal die reichsten fünf Prozent“ der Steuerpflichtigen. Doch Fakt ist: Die oberen zehn Prozent leisten bereits jetzt 54 Prozent des Einkommensteueraufkommen, das oberste Prozent überweist 20 Prozent des Aufkommens.
Während die Betroffenen an dieser Stelle noch ruhig bleiben, überschreiten SPD, Grüne und Linke mit ihren Plänen zur Wiedereinführung der Vermögensteuer eine rote Linie. „Diese Steuer nagt am Bestand des Eigenkapitals“, warnt Brun-Hagen Hennerkes von der Stiftung Familienunternehmen. Das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung kommt in einer Studie zu dem Ergebnis: Eine Vermögensteuer setzt Anreize zur Verlagerung von Betriebs- und Privatvermögen ins Ausland.
Betroffene Unternehmer melden sich warnend zu Wort. So auch Manfred Fuchs. Für sein Unternehmen, das im Schmierölgeschäft tätig ist, müsste die Eigentümerfamilie rund sieben Millionen Euro Vermögensteuer zahlen – Geld, das dem Unternehmen entzogen würde. Fuchs: „Diese Art von Umverteilung ist ein Schuss, der nach hinten losgehen wird.“ Wie die Reaktion der Unternehmen aussehen könnte? Maria Dietz, Mitgründerin des Stuttgarter IT-Unternehmens GFT Technologies, hat dies schon mal durchgerechnet: „Bei einer grünen Vermögensabgabe müssten wir uns von 18 Prozent unseres Aktienpakets trennen, um das zu bezahlen.“
Auch bei Worlée-Chemie langt Vater Staat kräftig zu: Von 100 Millionen Euro Umsatz bleiben laut Geschäftsführer Reinhold von Eben-Worlée den Eigentümern derzeit 2,7 Millionen Euro. Zuvor fließen 5,7 Millionen Euro an Steuern und Sozialabgaben ab. Eine Vermögensteuer würde weitere 600.000 Euro (SPD-Plan) beziehungsweise über 900.000 Euro (Grüne) von Privat zum Staat transferieren. Von Eben-Worlée: „Die Innovationskraft des Unternehmens würde nachhaltig geschwächt.“ Schon jetzt ist die Abgabenlast kalendarisch gesehen so hoch, dass sich der Staat die ersten 247 Tage an ihrer unternehmerischen Leistung gütlich tut. Erst ab dem 5. September dürfen die Eigentümer selbst profitieren.
17 Tage später haben dann die Wähler das Wort.