Übergriffe von Köln Die abgeschobene Verantwortung der Politik

Nach den Kölner Vorfällen gibt es Verdächtige, doch keinen überführten Täter. Deshalb können wir nicht über Abschiebung reden. Wohl aber über Politikversagen. Ein Kommentar.

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Nach den Vorfällen in Köln zeigt die Politik wieder einmal mit dem Finger auf andere. Quelle: dpa

Berlin In einem berühmten Popsong lautet der Refrain: I talk to the wind, but the wind doesn’t hear. Also: Ich rede in den Wind. Man hat das Gefühl, dass viele Politiker dieses Lied zutiefst verinnerlicht haben. Niemand, absolut niemand von Rang lässt es sich seit Köln entgehen, härtere, schnellere und konsequentere Abschiebungen zu fordern.

In einer simplen Welt ohne Gesetze, rechtsstaatliche Verfahrensgarantien, Gerichte, Genfer Konventionen und Anwälte wären solche Forderungen sinnvoll. Momentan aber sind sie nur Schaufensterforderungen aus Angst, der Kunde (Wähler) würde das Angebot vermissen und darauf pochen. Ok, sagen sich CDU, SPD, Grüne e tutti quanti: Das haben wir auch im Angebot. Doch das entspricht nicht der Realität.

Damit es klar ist: Es braucht keiner Erwähnung, dass straffällig gewordene Asylbewerber, Flüchtlinge oder auch Ausländer ohne Aufenthaltstitel abgeschoben werden sollten, wenn sie straffällig geworden sind – wenn ihnen das also nachgewiesen wurde und sie überführt wurden, dass Straftaten begangen zu haben. Genau so klar ist aber auch: Es gibt längst alle diese Gesetze und Vorschriften im Ausländerrecht, im Asylrecht und sogar in der Genfer Konventionen, die solche Strafmaßnahmen vorsehen, mitunter sogar fordern. Eine einzige zentrale Ausnahme ist aber der Fall, wenn dem Abgeschobenen in seinem Herkunftsland, das im allgemeinen nicht mehr mit Heimat identisch ist, der Tod droht. Für Staaten, in denen Folter droht, gilt zudem ein Abschiebeverbot nach Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Doch in welchem Stadium der Aufklärung der Kölner Vorfälle sind wir jetzt, um über Abschiebungen konkret reden zu können? Fest steht, dass arabisch oder afrikanische aussehende Menschen nach zahlreichen Zeugen- und Geschädigtenaussagen schwere und schwerste Straftaten begangen haben sollen. Nach weiteren Aussagen wurden einige von ihnen als notorische Diebe bekannte Täter wiedererkannt. Sie sollen in der Kölner Szene wiederholt als Bandenmitglieder aufgefallen sein. Man merke: Bis jetzt herrscht hier der Konjunktiv. Es gibt viele Verdächtige, noch keinen überführten Täter. Nicht einmal einen Verhafteten.


Das Zurückweichen und das Versagen der Staatsgewalt

Knüppelhart fest steht vor allem aber: Versäumnisse und falsche Darstellungen der Landespolizei, der Bundespolizei, der Polizeiführung, der Einsatzleitung und des Bundesinnenministers bilden zusammen mit falschen Einsatzplänen, personellen Defiziten ein Gemisch, das fast zwangsweise folgendes erzeugt hat: das Zurückweichen und das Versagen der Staatsgewalt. Persönliche Unfähigkeit und personalpolitische Fehler haben in Köln, Hamburg und anderswo zu einem rechtsstaatliche Vakuum geführt, in das prompt die Täter eingedrungen sind. Wer nicht Ursache und Wirkung verwechseln will, sieht aber bereits hier: Hier wurden von Polizei und Politik rechtsfreie Zonen geschaffen.

Doch damit nicht genug der Versäumnisse: Bereits festgenommene Täter wurden wieder laufen gelassen, weil entweder nicht genug Beamte oder Polizeiwannen in Köln zur Verfügung standen. Und das in einer Stadt, die fast an jedem zweiten Fußballwochenende, in fast jeder Karnevalssaison verlässlich, als routinemäßig für Sicherheit und Ordnung bei weitaus größeren Menschenmassen sorgen muss. Das ist alles nicht zu fassen.

Die Politik in Bund und Ländern, von SPD, Grün und CDU, bescheidet sich mit ihren Abschiebedrohungen aber wieder einmal damit, mit dem Finger auf andere zu zeigen, statt sich an die eigene Brust zu klopfen und zu sagen: Ja, verdammt: Wir haben es zu verantworten, dass so viele Polizisten in Bund und Ländern jahrzehntelang abgebaut wurden; ja: wir waren es doch, die die Warnungen und Mahnungen der Polizeiorganisationen- und Gewerkschaften, der Kommunen und der Bürgerorganisationen in den Wind geschrieben haben; ja doch: wir waren es, die die Polizei technisch seit Jahrzehnten am langen Arm haben verhungern lassen und ihre Notwendigkeiten der Modernisierung hintangestellt haben.

Aber nein doch: Lieber reden sie politisch und in den Wind und verlangen von einem überforderten System, das das ihre ist, entweder Unmögliches oder Selbstverständliches. Es ist allzu billig, was die Politik, was der Innenminister nun startet: die große Verantwortungsverschiebung auf Polizei, Gesetzgeber und Flüchtlinge. Das ist reine Ablenkung von einer windigen Sicherheits-Politik. Das ist die Abschiebung von Verantwortung.

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