Vor dem Parteitag AfD steckt in der Höcke-Falle

Wenn die Beteiligung an Regierungen eine realistische Option für die AfD werden soll, muss sie sich entradikalisieren. Der Bundesparteitag an diesem Wochenende wird aber ein anderes Signal aussenden. Eine Analyse.

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Björn Höcke: Der Thüringer AfD-Chef drängt darauf, die künftige politische Strategie der Partei festzulegen. Quelle: AP

Berlin Die AfD steckt in einem doppelten Dilemma: Für die politische Konkurrenz im Bundestag kommt eine Kooperation mit den Rechtspopulisten nicht infrage. Mit rechten Provokateuren möchte man nichts zu tun haben, lautet die einhellige Begründung. Möglicherweise wäre die Reaktion eine andere, wenn die AfD bei ihrem Delegiertentreffen einen gemäßigten Kurs einschlagen würde. Doch das ist nicht zu erwarten.

Denn, und das ist das zweite Dilemma der Partei: Führende Funktionäre wie die Landeschefs Björn Höcke (Thüringen) und André Poggenburg (Sachsen-Anhalt), denken gar nicht daran, am Erscheinungsbild der AfD etwas zu ändern. Warum auch? Wo doch selbst der Schutzpatron der Rechten in der Partei, der Bundestagsfraktionschef Alexander Gauland, keinerlei Handlungsbedarf sieht. „Ich weiß gar nicht, was völkische und nationalistische Tendenzen sind“, antwortete er jüngst im Interview mit dem „Tagesspiegel“ auf die Frage, ob sich die AfD stärker gegen völkische und nationalistische Tendenzen in der Partei abgrenzen müsse.

Gauland bringt damit auf den Punkt, womit in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist: Mit einer „Entradikalisierung“ der AfD, um vielleicht irgendwann koalitionsfähig zu werden. Der Parteivize erwägt sogar, eingefädelt von Höcke und Poggenburg, auf dem Parteitag für den Vorstand zu kandieren.

Dahinter steht das Bestreben, den Gemäßigten in der Partei den Weg in wichtige Positionen zu verbauen. Eine Kampfkandidatur um den Parteivorsitz und ein Streit um die künftige Ausrichtung der Partei scheinen damit programmiert. Spannend dürfte damit auch werden, wie die AfD die Macht zwischen Partei und Bundestagsfraktion austariert. Setzt sich Gauland oder ein von ihm gestützter Rechtsausleger durch, dann dürfte der künftige Weg der AfD vorgezeichnet sein.

Regelrecht bizarr wirkt vor diesem Hintergrund die Ansage von Gauland, die AfD werde auch politische Verantwortung übernehmen, sobald sie eine „bestimmte Stärke“ erreicht habe. Die Bundesebene dürfte er dabei kaum im Blick haben, wohl eher die Länder, in denen die AfD besonders stark ist. Das Wählerverhalten sei volatil, sagte Gauland dem „Tagesspiegel“. „In Sachsen ist die AfD inzwischen stärkste Partei. Da kann es schnell passieren, dass jemand von der AfD Ministerpräsident wird.“

Es kann aber auch passieren, dass die AfD in der Wählergunst wieder verliert. Dieses Risikos sind sich zumindest diejenigen bewusst, die die AfD als politikgestaltende Partei etablieren wollen. Mit dem Berliner Landeschef Georg Pazderski steht denn auch bereits ein Vertreter des gemäßigten Parteiflügels in den Startlöchern, um die Partei beim Delegiertentreffen in Hannover von rechts abzugrenzen. Auch deshalb kandidiert Pazderski für den Parteivorsitz. In Berlin hat er seine Vorstellungen kürzlich als Strategiepapier vorlegt. Darin verlangt er von der Partei mehr konstruktive Sacharbeit, inhaltliche Kompetenz und eine „klare Abgrenzung nach Rechtsaußen“.

Der Dresdner Politikwissenschaftler Werner Patzelt sieht damit bestätigt, was die Partei schon länger umtreibt. „Ein Teil der AfD will seit jeher nicht in steriler Systemopposition verharren, sondern strebt Mitgestalten durch Mitregieren an. Das ist auch genau die von den Spielregeln unseres Regierungssystems verlangte Verhaltensweise“, sagte Patzelt dem Handelsblatt. „Realistisch ist dieser Versuch für die AfD aber nur dann, wenn es ihr gelingt, jene rechtsdemagogischen Lautsprecher abzustellen, die im letzten Jahr das öffentliche Erscheinungsbild dieser Partei so sehr geprägt haben.“  

Das „Kernproblem“, so Patzelt, scheint für die AfD derzeit darin zu liegen, dass gerade ihre in der Öffentlichkeit als „viel zu rechts geltenden Spitzenleute“ Höcke und Poggenburg für einen „querfrontartigen Kurs“ werben. „Das führt nämlich zu Glaubwürdigkeitsproblemen und legt manchen sogar die ganz herabsetzend gemeinte Rede von einem erneuerten Nationalsozialismus nahe“, sagte der Politikwissenschaftler. Also werde mit Interesse zu beobachten sein, wie Gauland, aber auch die Co-Bundestagsfraktionschefin Alice Weidel mit dieser „Führungsherausforderung“ zurechtkommen.

Das ist insofern von Belang, weil Höcke bislang ausdrücklich offen ließ, ob er vielleicht nicht doch für die Parteispitze kandiert. Gaulands Segen hätte er. Immerhin hatte der sich bereits für einen Parteivorsitzenden aus den neuen Ländern ausgesprochen hat. Namen nannte er keine, wohl auch, um damit der Partei zu signalisieren: Ihr müsst mit allem rechnen – mit Höcke, Poggenburg oder auch mit ihm, wenn der Parteivorsitz neu gewählt wird. Worauf es dabei ankommt, erklärt Höcke in der „Welt“. „Es gilt, gut und reiflich zu überlegen, was der AfD und unserem Politikansatz frommt.“ Zu bedenken sei die Ämterhäufung.


„Wir wollen nicht aus Machtverliebtheit mitspielen“

Interessant dürfte sein, wie viele AfD-Rechte künftig als Parteivize oder einfache Vorstandsmitglieder (sogenannte Beisitzer) fungieren werden. Und ob die Partei künftig nur von einer Person angeführt wird. Der rechtsnationale Parteiflügel möchte in Hannover die Abschaffung der Doppelspitze durchsetzen. In einem entsprechenden Antrag von Poggenburg wird zudem dafür plädiert, die Zahl der Stellvertreter von drei auf vier aufzustocken. Poggenburg selbst will sich für einen Vize-Posten bewerben.

Um eine Einerspitze zu etablieren, müssten mindestens zwei Drittel der Delegierten für den Antrag stimmen. Das Vorhaben ist nicht ohne Risiko. 2015 eskalierte der Streit um die Abschaffung der Doppelspitze auf dem Essener Parteitag. Der damalige AfD-Chef Bernd Lucke unterlag Frauke Petry im erbitterten Machtkampf. Die Doppelspitze blieb, Parteigründer Lucke ging.

Bei einer Parteispitze würde sich im Übrigen die Frage stellen, was dann aus dem bisherigen AfD-Chef Jörg Meuthen wird. Seit dem Austritt seiner einstigen Co-Vorsitzenden Petry amtiert der Wirtschaftsprofessor als alleiniger Bundesvorsitzender. Das will er auch bleiben. Insofern ist eine Kampfabstimmung mit Pazderski wahrscheinlich.

Bei den einfachen Vorstandsposten könnten rechte AfDler ebenfalls zum Zug kommen, zumal mehrere bisherige Mitglieder nicht mehr kandidieren. Dirk Driesang, bislang Beisitzer und einer der führenden Köpfe der moderaten Alternativen Mitte, erklärte, er wolle sich aus der politischen Arbeit zurückziehen. Alice Weidel sagte, sie habe keine Ambitionen, dem nächsten Bundesvorstand anzugehören. Weidel, derzeit dort Beisitzerin, will sich nach eigener Aussage darauf konzentrieren, die Fraktion im Bundestag aufzubauen und die AfD bis 2021 regierungsfähig zu machen.

Als sehr wahrscheinlich gilt, dass sich der Vorsitzende der AfD-Landtagsfraktion in Brandenburg, Andreas Kalbitz, für einen Beisitzerposten im Vorstand bewirbt. Poggenburg nannte ihn einen „geeigneten Kandidaten“, den er sich gut im Vorstand vorstellen könne.

Höcke, Poggenburg und Kalbitz gehören alle drei zu den Unterzeichnern der sogenannten Erfurter Resolution von 2015, die in der AfD eine „Widerstandsbewegung gegen die weitere Aushöhlung der Souveränität und der Identität Deutschlands“ sieht. Die Resolution gilt als „Gründungsurkunde“ des ultrarechten „Flügels“ – eine parteiinterne Gruppierung, die Poggenburg im März 2015 zusammen mit Höcke ins Leben gerufen hat.

Der „Flügel“ entstand als Reaktion auf die Versuche von AfD-Gründer Lucke, die Partei klar nach rechts abzugrenzen. Die Unterzeichner der Resolution plädieren stattdessen dafür, dass die AfD eine „grundsätzliche, patriotische und demokratische Alternative zu den etablierten Parteien“ und eine „Bewegung unseres Volkes“ gegen „Gesellschaftsexperimente“ wie Gender Mainstreaming und Multikulturalismus sein müsse. Der Berliner Politikwissenschaftler Hajo Funke spricht im Zusammenhang mit dem „Flügel“ von einem „völkischen Nationalismus“.

Gewinnt die „Flügel“-Bewegung um Höcke am Wochenende die Oberhand, könnten die Radikalen in der Partei schalten und walten, wie sie wollen. Dann aber dürfte es höchst unwahrscheinlich sein, dass die AfD zu einem politischen Player wird, an dem kein Weg mehr vorbeiführt. Eine zukünftige Regierungsbeteiligung, sagt der Berliner Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer, sei nur möglich bei einer „klaren Abgrenzung zum Rechtsextremismus“. Dafür habe der „Flügel“ aber zu viel Einfluss.

Und den will Höcke nutzen, um eine Entscheidung über die künftige politische Strategie der Partei herbeizuführen. „Der neue Bundesvorstand“, gibt er die Marschrichtung vor, „muss den Mut zu einer Grundsatzdebatte über die Frage haben, was die AfD will.“

Was Höcke nicht will, ist, ein anderes Verhältnis der AfD zu den anderen Parteien. „Wir müssen uns nicht verändern, sondern die Opposition halten, solange die Altparteien eine Politik gegen die Interessen des deutschen Bürgers machen“, skizziert er die künftige Strategie. Deshalb gelte Distanz zu allen in der Partei zu halten, „die schnell mitspielen wollen“. Er und seine Mitstreiter wollten sich „nicht anheischig machen“, betont er. „Wir wollen nicht aus Machtverliebtheit mitspielen. Wir wollen die Politik bestimmen.“

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