Woche der beruflichen Bildung First Lady und Bildungsministerin Karliczek werben für Berufsausbildung

Hohe Abbrecherquoten, unbesetzte Ausbildungsplätze: Die Berufsausbildung ist in der Krise. Unterstützung gibt es von prominenter Seite.

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„Faire Arbeitsbedingungen, das betrifft auch die Ausbildungsvergütung, sind nicht zuletzt eine Frage der Wertschätzung.“ Quelle: dpa

Berlin Eine Ministerin, die für das Bafög ebenso zuständig ist wie für die Bioökonomie oder den Kernfusionsreaktor Iter, kann nach wenigen Tagen im Amt unmöglich überall sattelfest sein. Doch auf einem Feld kennt sich Anja Karliczek, die neue Chefin im Bildungs- und Forschungsressort, gut aus: Die berufliche Ausbildung in der Gastronomie hat die CDU-Politikerin schließlich selbst durchlebt.

In den 1990er-Jahren ließ sie sich zur Hotelfachfrau ausbilden, hat dann lange im familieneigenen Hotelbetrieb im Tecklenburger Land gearbeitet, bis sie 2013 in den Bundestag einzog. Karliczek weiß also, wie es den jungen Köchen, Restaurantfachleuten und Hotelkauffrauen geht, die an diesem Montagabend in einem Berliner Hotel als Sieger der Berliner Jugendmeisterschaft ausgezeichnet werden.

Und was sie erwartet. Arbeiten, wenn die Freunde feiern – oft bis spät in die Nacht oder am Wochenende. Und das zu Löhnen, die ziemlich weit unten liegen im Spektrum des Möglichen.

Auch deshalb löst von den angehenden Köchen oder Restaurantfachleuten rund jeder zweite seinen Ausbildungsvertrag vorzeitig. Aber auch in anderen Berufen halten längst nicht alle Jugendlichen durch. Im Berufsbildungsbericht, den Karliczek am Mittwoch dem Kabinett präsentieren wird, steht es Schwarz auf Weiß: Jeder vierte Lehrling schmeißt die Ausbildung – oder sein Betrieb trennt sich von ihm.

Das ist schlecht für viele Betriebe, die händeringend Berufsnachwuchs suchen. Die Abbrecherquoten sind nicht das einzige Problem. Gut 53.000 Auszubildende zählte das Gastgewerbe im vergangenen Jahr noch. Zehn Jahre zuvor waren es rund doppelt so viele.

Auch in anderen Berufen hat die duale Ausbildung an Reiz verloren. Die Schulabgänger zieht es an die Universitäten, die Zahl der Studienanfänger ist seit Jahren ähnlich hoch wie die der neuen Lehrlinge. Dabei richtet sich das Gros der aktuell 1,2 Millionen offenen Stellen in Deutschland nicht an Akademiker, sondern an beruflich Gebildete.

Zeit also, wieder stärker für die duale Ausbildung zu werben. Deshalb sind zum Auftakt der Woche der beruflichen Bildung auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender zur Preisverleihung der Berliner Jugendmeisterschaft gekommen. Beide haben die Schirmherrschaft über die Aktionswoche übernommen, die von den Wirtschaftsverbänden BDA, DIHK und ZDH, dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) und der Kultusministerkonferenz organisiert wird.

Büdenbender, selbst gelernte Industriekauffrau, lobt in ihrer Rede die enge Verzahnung von Theorie in der Berufsschule und Praxis in den Betrieben. Das sei eine Stärke, um die uns viele Länder in der Welt beneideten. „Wir können stolz auf sie sein und wir müssen sie pflegen“, sagt die First Lady.

720.000 junge Menschen hätten sich im vergangenen Jahr für eine berufliche Ausbildung entschieden, rund 500.000 kombiniert in Betrieb und Berufsschule, der Rest nur in einer Schule. Eine Berufsausbildung biete in der Regel eine gute Aussicht auf einen sicheren Arbeitsplatz und Entwicklungsmöglichkeiten. So würden über alle Berufe hinweg sieben von zehn Auszubildenden direkt übernommen.

Und doch können die Unternehmen längst nicht mehr alle Ausbildungsplätze besetzen, allein im Handwerk blieben im vergangenen Jahr 15.000 Plätze unbesetzt, das entspricht jeder zehnten angebotenen Lehrstelle. Und das, obwohl die Zahl neu abgeschlossener Lehrverträge zum dritten Mal in Folge gestiegen ist.

Es gehe gar nicht darum, das Studium und die berufliche Bildung gegeneinander auszuspielen, sagt Büdenbender. Aber nicht für jeden sei die Hochschule die richtige Wahl. Die verschiedenen Bildungswege müssten durchlässiger werden. Und die Berufsorientierung dürfe nicht erst mit oder kurz vor dem Schulabschluss beginnen.

Sie könne Schülern nur raten, möglichst frühzeitig Praktika zu absolvieren, um sich ein Bild von ihrem Wunschberuf zu machen. Die Frage sei auch: „Wie können mehr junge Frauen für die technischen und mehr junge Männer für die sozialen Berufe gewonnen werden?“ Und: Die Berufsschulen müssten dringend modernisiert werden, damit es wieder Spaß mache, dort zu lernen oder zu unterrichten.

Ganz will die Präsidenten-Gattin die Arbeitgeber aus dem Gastgewerbe an diesem Abend dann aber auch nicht aus der Verantwortung entlassen. Die hohen Abbrecherquoten in der Branche hätten sicher auch mit den harten Bedingungen und unattraktiven Arbeitszeiten zu tun. Lange Schichten, spät nach Hause, früh wieder raus. Dazu körperlich schwere Arbeit und viel Stehen.

„Teilweise gehört das zur Berufsbeschreibung. Aber die Betriebe müssen aufpassen, dass gewisse Grenzen nicht überschritten werden.“ Sonst schnüre sich bald kein Jugendlicher mehr die Schürze um oder setze sich die Kochmütze auf.

Wertschätzung für den Berufsnachwuchs drücke sich aber auch in einer vernünftigen Bezahlung aus, da sind sich Büdenbender und Karliczek einig: „Dienstleistung hat ihren Preis, und das muss auch in der Gastronomie so sein“, sagt die Bildungsministerin. Im Koalitionsvertrag haben Union und SPD deshalb verabredet, eine Mindestausbildungsvergütung im Berufsbildungsgesetz zu verankern.

Vieles muss stimmen, damit Auszubildende bei der Stange bleiben – gerade in den anstrengenden Gastronomieberufen. Nicht zuletzt auch das Verhältnis zum Chef und Ausbilder im Betrieb: „Der Ton macht die Musik und Disziplin geht natürlich auch, ohne dass man sich im Ton vergreift“, mahnt Büdenbender.

Das weiß auch Karliczek. Wenn es im Hotel hoch hergehe, wenn alle Gäste gucken und jeder zuerst bedienst werden wolle, dann könne es schon mal etwas lauter werden. „Das ist ganz menschlich, dass man, wenn man unter Druck gerät, das Wort nicht mehr auf die Goldwaage legt“, sagt die Bildungsministerin.

Hier helfe nur ein gutes Gemeinschaftsgefühl und dass man sich nach Feierabend bei einem Getränk nochmal kurz ausspreche. Denn der Lehrling, der den Frust abends mit nach Hause nimmt, gehört mit hoher Wahrscheinlichkeit zu jenen, die irgendwann die Ausbildung schmeißen.

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