Sozialer Aufstieg bleibt für den Großteil der ärmeren Bundesbürger ein unerfüllter Traum - das zeigt ein neuer Bericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Eine Übersicht:
Wie hat sich der Anteil der Armen entwickelt?
Er ist in den vergangenen Jahren gestiegen - von 11 Prozent 1993 über 13,1 Prozent 2003 bis auf 15,3 Prozent 2013. Gemessen werden die Personen mit weniger als 60 Prozent des durchschnittlichen mittleren Einkommens.
Wie groß sind die Aufstiegschancen der Armen?
Jeder Zweite, der 2009 arm war, war dies auch 2013. Rund 36 Prozent schafften es in die untere Mitte, 7 Prozent in die obere Mitte, 6 Prozent weiter nach oben. Rund 20 Jahre zuvor, im Vergleich von 1991 zu 1995, lag der Anteil der Aufsteiger in die untere Mitte mit 47 Prozent noch deutlich darüber, nur 42 Prozent waren damals arm geblieben.
Wie groß ist die soziale Mobilität der Mittelschicht?
Rund 57 Prozent der Angehörigen der oberen Mitte blieben zuletzt binnen fünf Jahren, wo sie bereits standen, 24 Prozent sackten ab, rund 20 Prozent gelang ein weiterer Aufstieg. Knapp 20 Jahre vorher blieb die Lage bei rund 54 Prozent konstant, für 31 Prozent ging es bergab, 15 Prozent konnten sich verbessern.
Wie ist die Lage in Ostdeutschland?
Die ostdeutsche Einkommensverteilung hat sich seit den ersten Jahren nach der Wiedervereinigung stark verfestigt. Damals ging es für viele Arme zunächst bergauf, für Reiche erst einmal bergab. Zuletzt blieben fast doppelt so viele Personen über fünf Jahre hinweg arm, nämlich 54 Prozent der Armen. Auch in der obersten Klasse hat sich der Anteil jener, die geblieben sind, annähernd verdoppelt - auf 52 Prozent. Abstiegsrisiken für Personen in der oberen Mitte sind zurückgegangen.
Wer bleibt arm, wer steigt auf?
Nur rund 30 Prozent der Menschen, die von 2009 bis 2013 aus Armut aufsteigen, sind Migranten. Bei denen, die arm bleiben, sind es fast 36 Prozent. Mehr als 63 Prozent der arm Bleibenden haben maximal einen Hauptschulabschluss. Bei denen, die aufsteigen, sind es nur 39 Prozent. Zudem überwiegen Rentner unter den Personen, die arm bleiben. Wer aufsteigt, ist im Vergleich zu denen, denen der Aufstieg nicht gelingt, häufiger Arbeiter und vor allem häufiger Angestellter.
Armutsgefährdung in Deutschland
Wer in Deutschland allein mit weniger als 979 Euro netto im Monat auskommen muss, gilt nach der EU-Statistik als armutsgefährdet. Bei einer vierköpfigen Familie liegt die Grenze bei 2056 Euro im Monat. Nach dieser Rechnung sind 13 Millionen Menschen in der Bundesrepublik von Armut bedroht. Der Anteil an der Bevölkerung von rund 16 Prozent ist seit Jahren relativ stabil. Armutsforscher Hans-Ulrich Huster warnt jedoch: „Etwa die Hälfte davon hat keine Chance mehr, da raus zu kommen.“ Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband ergänzt: „Wir haben immer mehr Erwerbstätige, aber trotzdem schützt dies nicht mehr vor Armut.“
Die Statistiker sprechen von „Armutsgefährdung“ oder einem „relativen Armutsrisiko“. Nach der Definition der EU-Statistik ist von Armut bedroht, wer von weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Bevölkerung seines Landes lebt. „Armut“ ist nach Ansicht des Armutsforschers Christian Arndt „ein Zeichen dafür, dass etwas Wesentliches zum Wohlergehen fehlt“. Dies betreffe aber nicht alle, die über ein Einkommen unterhalb der „Armutsrisikoschwelle“ verfügten. „So ist dies sicher nicht der Fall für einen Studierenden mit geringem Einkommen, kann aber sehr wohl für ein schwerwiegendes Problem für eine alleinstehende Rentnerin sein.“
Mit einer Armutsgefährdungsquote von 16,1 Prozent schneidet Deutschland 2013 um 0,6 Prozentpunkte besser ab als der Anteil aller EU-Länder zusammen. Allerdings fehlen für den exakten Mittelwert noch einige Zahlen, etwa die von Irland und Kroatien. Besonders hoch ist der Anteil der von Armut bedrohten Menschen in Griechenland (23,1 Prozent), Rumänien (22,4 Prozent) und Bulgarien (21,0 Prozent). Am niedrigsten ist das Armutsrisiko in der Tschechischen Republik (mit einem Anteil von 8,6 Prozent), Island (9,3 Prozent), den Niederlanden (10,4 Prozent) und Norwegen (10,9 Prozent).
„Armut ist immer noch weiblich“, sagt die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Ulrike Mascher. Frauen aller Altersgruppen sind stärker von Armut bedroht als Männer. Besonders betroffen sind Alleinerziehende und Frauen im Rentenalter. Und: Fast 70 Prozent der Arbeitslosen sind armutsgefährdet. Nach Einschätzung von Armutsforscher Hans-Ulrich Huster haben auch Menschen mit Migrationshintergrund und alleinlebende junge Leute unter 30 Jahren ein erhöhtes Risiko.
Das Armutsrisiko hat nach Darstellung des Volkswirts und Armutsforschers Christian Arndt zwischen 1999 und 2005 stark zugenommen. Seitdem aber nicht mehr. In der seit 2008 erhobenen EU-Statistik stieg die Quote für Deutschland von 15,2 Prozent auf 16,1 Prozent. „Hier könnte man einerseits von einer Manifestation des Armutsrisikos sprechen. Die Botschaft ist aber die, dass das Armutsrisiko im Gegensatz zu einigen anderen Ländern nicht weiter zugenommen hat.“ Armutsforscher Hans-Ulrich Huster stellt fest: „Die Reichen werden reicher. Das Einkommen der Armen sinkt relativ gesehen zu den Einkommen der mittleren und oberen Einkommensbezieher.“
Der für 2015 geplante Mindestlohn ist nach Einschätzung des Sozialverbands VdK und des Paritätischen Wohlfahrtsverband ein richtiger Schritt. „8,50 Euro ist aber hart auf Kante genäht, das ist genau für einen Alleinlebenden die Armutsschwelle“, sagt der Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands, Ulrich Schneider. Armutsforscher Hans-Ulrich Huster betont: „Nicht der Facharbeitermangel ist das Problem, sondern dass wir uns zu wenig darum kümmern, dass die Jugendlichen, die da sind, eine entsprechende Ausbildung bekommen.“
Wer steigt aus der Mitte ab, wer steigt auf?
Migranten sind unter jenen, die aus der Mitte in Armut absteigen, am stärksten vertreten. Und fast zwei von drei derer, die aus der Mitte zu den Reichen aufsteigen, haben Abitur, fast jeder Zweite von ihnen hat einen Universitäts- oder Fachhochschulabschluss. Mehr als jeder zweite Aufsteiger arbeitet als Angestellter - bei Absteigern sind es lediglich 16 Prozent. Erstere sind auch deutlich häufiger Selbständige oder Beamte.
Wie hat sich die soziale Mobilität entwickelt?
In den Wirtschaftswunderjahren nahm die soziale Mobilität in Deutschland ein vorher nie gekanntes Ausmaß an. Für die meisten ging es deutlich nach oben - Soziologen verglichen die Entwicklung mit einem Fahrstuhl. Vor allem im Vergleich zur vorangegangenen Generation ging es den meisten besser. Bereits für die Geburtenjahrgänge ab den 60er Jahren gilt anderes: Das Risiko, gegenüber dem eigenen Elternhaushalt sozial abzusteigen, ist gestiegen. Wie die neue Studie zeigt, bleibt bei vielen die Einkommenslage derzeit über Jahre gleich, mit wachsender Tendenz - der Fahrstuhl stockt.