Zukunftsplan für Großstädte Höher, enger, lauter

Die Bundesregierung will das Bauen in Stadtzentren erleichtern. Das Kabinett beschloss am Mittwoch einen entsprechenden Gesetzentwurf von Bauministerin Hendricks. Löst die Reform die Wohnungsnot?

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Mit höheren Gebäuden und geringeren Anforderungen an den Lärmschutz will Bau- und Umweltministerin Barbara Hendricks die Platznot in Großstädten mildern. Quelle: dpa

Berlin Das Vorbild ist die Kreuzberger Mischung: ein Nebeneinander von Wohnen, Arbeiten und Leben, mit kurzen Wegen dazwischen. Das Leben, wie es in dem Berliner Kiez seit Jahrzehnten üblich ist, diente Bauministerin Barbara Hendricks (SPD) als Blaupause für einen neuen Baugebietstypus – das urbane Gebiet. Am Mittwoch beschloss das Bundeskabinett einen entsprechenden Gesetzentwurf für eine Reform des Baurechts, das, wie Hendricks sagt, die Städte „fit für die Zukunft“ machen soll.

Immer mehr Menschen, so die Ministerin, ziehe es in die Städte. Diese bräuchten daher dringend Wachstumsperspektiven und mehr bezahlbaren Wohnraum. Mit der Baurechtsnovelle würden den Stadtplanern neue Instrumente gegeben, um sich auf den Zuzug einzustellen.

In urbanen Gebieten darf nun dichter und höher gebaut werden als in herkömmlichen Mischgebieten. Um unterschiedlichen Nutzungsansprüchen von Gewerbe und Wohnen gerecht zu werden, sind für das urbane Gebiet auch höhere Lärmimmissionswerte durch gewerblichen Lärm zugelassen. Parallel zur Änderung des Bauplanungsrechts wurde darum auch eine Änderung der so genannten Technischen Anleitung Lärm, kurz TA Lärm, beschlossen. „Das neue urbane Gebiet soll das Miteinander von Wohnen und Arbeiten in den Innenstädten erleichtern und neue Möglichkeiten für den Wohnungsbau schaffen“, sagte Hendricks.

Die Wohnungswirtschaft begrüßt die Reform. „Im Spannungsfeld zwischen Neuversiegelung und Neubaubedarf ist dichteres Bauland hier ein probates Mittel“, konstatierte Andreas Ibel, Präsident des Bundesverbandes Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW). Axel Gedaschko, Präsident des Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen GdW, bewertete es positiv, dass im Gegensatz zu ersten Überlegungen in den Baugebieten der neuen Kategorie nun auch ein überwiegender Wohnanteil möglich sei und nicht auf strenge Parität geachtet werden müsse. „Hier hebt sich das neue urbane Gebiet vom klassischen Mischgebiet ab.“

Gedaschko sieht aber weiterhin Regelungsbedarf beim passiven Lärmschutz. Es komme darauf an, die Lärmbelästigung in der Wohnung selbst gering zu halten. Das sei in dem vorliegenden Entwurf nicht berücksichtigt worden. Die vorgelegten Pläne seien darum nur ein „erster Schritt“ für mehr Wohnungsbau in Deutschland.

Auch BFW-Präsident Ibel warnte vor übertriebenen Erwartungen: Erfolg und Praxistauglichkeit des urbanen Gebiets hänge von der Gestaltung des Lärmschutzes ab, sagte er. Hier müsse noch einmal nachgebessert und passive Schallschutzmaßnahmen und neue Technologien der Gebäudetechnik zur Lärmreduktion berücksichtigt werden. Zudem dürfte der Gewerbelärm nicht strengeren Maßstäben unterliegen als der Verkehrslärm.


Hendricks: „Wir brauchen Sportplätze in der Stadt“

Bislang gelten bei Gewerbelärm strengere Grenzwerte als bei Verkehrslärm, was der Zentrale Immobilien Ausschuss (ZIA) für überholt hält und deshalb für eine Angleichung auf dem Niveau von Verkehrslärm plädiert. Umweltschützer warnen allerdings davor, bewährte Lärmstandards in Deutschland ohne Not aufzugeben – vor allem, weil Verkehrslärm als schlimmste Lärmquelle überhaupt gilt.

Positiv in der Wohnungswirtschaft kommt an, dass nach dem Kabinettsentwurf künftig Bauvorhaben beschleunigt werden können, die über vorhandene Ortsrandlagen hinausgehen. Dieses beschleunigte Verfahren ist vorerst bis Ende 2019 befristet und gilt für Wohnbebauungspläne mit einer Grundfläche von bis zu 10.000 Quadratmetern. Auch Nutzungsänderungen zu Wohnzwecken sollen erleichtert werden.

Der GdW appellierte an die Koalition, im weiteren Verfahren die nach wie vor vorhandenen bürokratischen Anforderungen und streitanfälligen Regelungen im Baurecht auf ein Minimum zu beschränken. Das gelte vor allem für die geplante Verlängerung der Auslegungsfristen zur Beteiligung der Öffentlichkeit und die überhöhten Anforderungen an den Umweltbericht und die zu prüfenden Umweltfaktoren, die auch von der EU nicht vorgesehen seien.

Zusammen mit der Baurechtsnovelle hat das Kabinett auch eine Änderung der Sportanlagenlärmschutzverordnung beschlossen. Damit werden die Immisionsrichtwerte für die abendliche Ruhezeit sowie die nachmittägliche Ruhezeit an Sonn- und Feiertagen erhöht. „Die dichter werdende Stadt soll nicht auf Kosten des Sports wachsen“, sagte Hendricks. „Wir brauchen Sportplätze in der Stadt – für die Gesundheit, aber auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und für die Kinder, die nicht mal eben an den Stadtrand fahren können.“

Ein weiterer Aspekt der Baurechtsnovelle betrifft Ferienwohnungen. Hier gab es zuletzt Rechtsunsicherheit bei der Frage, ob in Wohngebieten Ferienwohnungen gebaut werden dürfen. Der Gesetzentwurf stellt klar, dass das grundsätzlich erlaubt ist. Zugleich werden aber die Steuerungsmöglichkeiten der Gemeinden ausgeweitet. Diese können vor Ort entscheiden, ob im Bebauungsplan Gründe gegen eine Ansiedlung von Ferienwohnungen sprechen.

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