Zweitstimmenkampagne Experten raten CDU zur Rettung der FDP

Das Dreikönigstreffen hat der FDP keine Ruhe gebracht, im Gegenteil. Für die Wahlkämpfer in Niedersachsen kommt das Hickhack zur Unzeit. Die Union könnte den Liberalen helfen - doch würde sie selbst einiges riskieren.

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Ungewisses Schicksal: Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Philipp Rösler (FDP). Quelle: dapd

Berlin In der FDP nehmen die Rufe nach einem Ende der Führungsdebatte zu. "Wir führen jetzt keine Personaldiskussionen mehr", versicherte FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle in der "Passauer Neuen Presse". Es komme darauf an, alle Kräfte darauf zu konzentrieren, dass die FDP bei der Landtagswahl in Niedersachsen am 20. Januar gut abschneide. "Dann haben wir die besten Chancen. Wir sollten sie nicht aufs Spiel setzen", mahnte Brüderle. Auch FDP-Generalsekretär Patrick Döring rief seine Partei erneut zur Geschlossenheit auf und widersprach zugleich dem Bild der Zerstrittenheit der Liberalen.
Sollte sich die FDP nun nicht zusammenraufen, könnte es eng werden in Niedersachsen. Die Lage ist ohnehin schwierig angesichts dauerhaft schlechter Umfragewerte. Am Ende könnten die Liberalen auf die Hilfe der CDU angewiesen sein.

Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister (CDU) hat allerdings schon deutlich gemacht, keine Schützenhilfe leisten zu wollen. "Die CDU wirbt um jede Erst- und Zweitstimme", sagte McAllister am Samstag in Wilhelmshaven. Auch wolle seine Partei möglichst viele Direktmandate gewinnen.

McAllister zeigte sich zudem "sehr sicher", dass die FDP dem nächsten Landtag wieder angehören und den Sprung ins Parlament aus eigener Kraft schaffen werde. Mehrere Parteienforscher halten die Position für falsch. Sie raten den Christdemokraten vielmehr, die schwächelnde FDP mit einer Zweitstimmenkampagne zu unterstützen, um ihr parlamentarisches Überleben zu sichern.

„Seit wir  (…) Lagerwahlkämpfe haben, in denen SPD und Grüne auftreten wie ein verlobtes Paar, muss sich auch die CDU der Logik des Lagerwahlkampfes fügen. Das heißt: Sie muss das Zweitstimmenpotential für CDU und FDP insgesamt im Auge haben und die Wähler dazu aufrufen, die FDP auf alle Fälle über die Fünf-Prozent-Hürde zu hieven“, sagte Werner Patzelt, Politikwissenschaftler an der TU Dresden, Handelsblatt Online.

Ob das am Ende für die Fortsetzung der Koalition reiche, stehe in den Sternen. „Doch ganz sicher ist der CDU die aufgezwungene Oppositionsrolle, sollte die FDP nicht wieder in den Landtag kommen.“ Zudem werde eine solche Kampagne auch bei der Bundestagswahl nötig sein. „Also wäre es eine Torheit, solche Unterstützung heute dem morgen nötigen Partner zu verweigern“, sagte Patzelt.

In Niedersachsen macht aus Sicht des Politikwissenschaftlers Gerd Langguth eine Zweitstimmen-Kampagne der CDU auch deshalb Sinn, „weil das die einzige Chance der Christdemokraten ist, weiterhin den Ministerpräsidenten zu stellen“. Die FDP liegt in Umfragen in Niedersachsen derzeit bei vier Prozent.

Natürlich könne die CDU nicht offiziell zur Wahl der FDP aufrufen, die Wortwahl des niedersächsischen Ministerpräsidenten David McAllister mache aber klar, dass er davon ausgeht, dass die FDP noch in letzter Minute die notwendigen Stimmen erhält, sagt Langguth. „Das kann man als indirekte Aufforderung ansehen, der FDP die notwendigen Stimmen zu geben“, sagte der Professor an der Universität Bonn Handelsblatt Online.

„In Niedersachsen wäre die Gefahr für die CDU auch gering, dass es zu einer Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP kommt, wenn die FDP die Fünf-Prozent-Hürde überspringt“, fügte Langguth hinzu. „Insofern wären die so genannten Leihstimmen keine verschenkten Stimmen.“

Nach Einschätzung des Potsdamer Politikwissenschaftlers Jürgen Dittberner ist die Wahl in Niedersachsen weder für die SPD noch für die CDU gelaufen. „Will die CDU dran bleiben, geht das am besten mit der FDP“, sagte Dittberner Handelsblatt Online. Der derzeitige Umfragewert der Liberalen von vier Prozentpunkten könne sich nach unten, aber auch nach oben entwickeln.

„Wenn es in Niedersachsen genügend viele Unionsanhänger gibt, die McAllister weiter im Amt sehen wollen, müssen diese mit der zweiten Stimme die FDP wählen“, unterstrich der Experte. „Das ist die Chance für die FDP, es in Niedersachsen also noch zu schaffen.“


FDP-Kampagne birgt auch Risiken

Der Berliner Parteienforscher Oskar Niedermayer warnte vor Nachteilen eine Stützungsmaßnahme der CDU für die FDP. Eine Zweistimmenkampagne könne zwar möglicherweise das Überleben der FDP im Landtag in Hannover sichern. „Da die zusätzlichen Stimmen für die FDP aber aus dem Wählerpotenzial der CDU kämen, würden CDU und FDP insgesamt nicht profitieren“, sagte der Professor an der Freien Universität zu Berlin Handelsblatt Online.

In den momentanen Umfragen lägen SPD und Grüne vor CDU und FDP. „Selbst wenn die FDP in den Landtag käme, würde es für die Fortsetzung der schwarz-gelben Regierung nicht reichen“, ist sich Niedermayer sicher. „Dies gelänge nur, wenn die eine Partei nicht auf Kosten der anderen zulegen würde.“

Ähnlich äußerte sich Everhard Holtmann von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Dass die FDP es nochmals knapp zurück in den niedersächsischen Landtag schafft, sei zwar nicht völlig auszuschließen, "denn Wählerinnen/Wähler mit einer Erstpräferenz für die CDU könnten individuell erwägen, mit einer Stimmabgabe für die FDP dieser über die Fünf-Prozent-Hürde zu verhelfen", sagte der Politikwissenschaftler Handelsblatt Online. "Aber selbst dann wäre ja, dem aktuellen Stand der Umfragen zufolge, eine Fortsetzung der schwarz-gelben Koalition fraglich. So oder so, es dürfte ein knappes Ergebnis werden am 20. Januar."

Auch Thorsten Faas, Professor für Politikwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, warnte vor falschen Erwartungen an eine Zweitstimmenkampagne. „Wir wissen aus der einschlägigen Forschung, dass viele Bürgerinnen und Bürger sich gar nicht sicher sind, welche Stimme eigentlich die wichtigere bei Wahlen ist“, sagte Faas Handelsblatt Online. „Insofern sind solche Erst- und Zweitstimmen-Kampagnen auch immer gefährlich, weil nicht klar ist, wie die Bürgerinnen und Bürger sie verstehen und damit umgehen.“ Zudem seien die Signale, die die CDU aussende, alles andere als eindeutig: Kanzlerin Angela Merkel etwa habe die FDP eher abblitzen lassen, und auch McAllister sende eher zwischen den Zeilen Signale.

Letztlich sei das Spiel „für die Union gefährlich“, sagte Faas weiter, „denn es könnte sehr gut sein, dass die FDP am Ende den Einzug in den Landtag verfehlt, obwohl einige Stimmen von der CDU an die FDP geliehen wurden“. In diesem Fall hätten beide Parteien verloren: Die CDU wegen der geliehenen Stimmen, die FDP wegen des gescheiterten Einzugs.

Faas‘ Ratschlag lautet daher: „Gerade in den aktuellen Zeiten, in denen Koalitionen nicht mehr planbar zu sein scheinen, muss letztlich jede Partei selbst schauen, dass sie erfolgreich hat.“

In diese Richtung denken wohl auch die Liberalen, obwohl ihr traditionelles Dreikönigstreffen, bei dem Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) harsche Kritik an der Parteiführung geäußert hatte, noch nicht gänzlich verdaut ist. Generalsekretär Döring will jetzt aber noch vorne schauen. Gerade im Hinblick auf die niedersächsische Landtagswahl sei es nun an der Zeit, "rauszugehen und Erfolge der FDP geschlossen zu vertreten", sagte Döring im ZDF-"Morgenmagazin".

Beim Dreikönigstreffen in Stuttgart am Sonntag hatte Niebel mit seiner Rede die Führungsdebatte in der Partei weiter angeheizt. Er forderte einen vorgezogenen Parteitag, um eine neue Mannschaftsaufstellung zu wählen. Die FDP dümpelt seit Monaten im Umfragetief.


Röslers Schicksal bleibt ungewiss

Bundesjustizministerin und FDP-Vize Sabine Leutheusser-Schnarrenberger kritisierte Niebel scharf. Im Bayerischen Rundfunk sagte sie, in der Politik zähle, was am besten für die Bürger sei, "und nicht, dass man seine Selbstbefindlichkeit darlegt". Eine solche Ausbreitung des Seelenlebens nach Außen beschädige die Partei. Auch Döring machte deutlich, die FDP sei keine Therapiegruppe.

Brüderle sagte, eine Entscheidung über einen vorgezogenen Parteitag der FDP stehe nicht an. Auch Döring will an dem geplanten Termin im Mai festhalten. Dieser sei vom Parteivorstand "nicht mit Dartpfeilen auf den Kalender geworfen" worden, sagte er.

Das politische Schicksal von Parteichef Philipp Rösler blieb trotz Unterstützungs-Bekundungen aus der Bundestagsfraktion ungewiss. Döring antwortete auf die Frage, ob der Bundeswirtschaftsminister Vorsitzender bleiben könne, wenn die FDP in Niedersachsen unter fünf Prozent oder knapp darüber bleibe, man müsse "sich auch hier unabhängig machen von den demoskopischen Vorhersagen".

Der Parlamentarische Geschäftsführer, Otto Fricke, nahm Rösler im Deutschlandfunk gegen Kritik in Schutz. Wenn das Ergebnis bei der Landtagswahl in Niedersachsen am 20. Januar stimme, "dann verstummt die Kritik". Er glaube, dass Rösler der richtige Mann an der FDP-Spitze sei. Demokratie sei kein Spiel einer einzelnen Führungsfigur, fügte Fricke hinzu. Vielmehr sei jetzt eine Teamleistung der gesamten Spitze notwendig, um die Niedersachsen-Wahl erfolgreich zu bestehen.

Der Vize-Vorsitzende der FDP, Martin Lindner, mahnte, seine Partei müsse sich "um ihre liberalen Inhalte kümmern und den politischen Gegner angreifen". Der Bundestagsabgeordnete sagte rbb-Inforadio, es gehe jetzt darum, den Parteifreuden in Niedersachsen zu helfen, in der Regierung zu bleiben. "Keinen Menschen interessiert es, wann ein Parteitag der FDP stattfindet. Es interessiert, was die FDP vertritt", betonte Lindner.

Sein Fraktionskollege Frank Schäffler, ein scharfer Kritiker der Parteispitze, lobte den Auftritt Röslers in Stuttgart. Der "Neuen Osnabrücker Zeitung" sagte der Bundestagsabgeordnete, Rösler habe "mit einer sehr guten Rede die Grundlage gelegt, auf der es wieder aufwärtsgehen kann".

Unterdessen riefen führende Politiker der Union die FDP auf, ihre parteiinternen Querelen zu beenden. CSU-Chef Horst Seehofer ermahnte die Liberalen, ihre "Selbstbeschäftigung" zu beenden. "Wenn man pausenlos über Strategien und Personal redet, kann sich der Erfolg nicht einstellen", sagte Seehofer der "Süddeutschen Zeitung". Der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach betonte in der "Mitteldeutschen Zeitung": "Es gilt auch für die FDP das alte Prinzip: Entweder muss man einen Parteivorsitzenden stützen. Oder man muss ihn stürzen."

Mit Material von dapd

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