




+++ 16.30 Uhr +++
Der dunkle Anzug mit Krawatte ist an einem Samstag in Berlin ohnehin nicht ganz die ideale Bekleidung. Und ganz gewiss nicht bei mehr als 30 Grad, mitten im Juni, auf einer Wiese am Tegeler See. Aber für Außenminister gelten nun mal andere Regeln. Die Zeiten sind ernst, nach dem Brexit-Referendum der Briten erst recht. Da muss auch die Kleiderordnung stimmen.
Und deshalb ist Frank-Walter Steinmeier mit seinen Kollegen aus den fünf anderen Gründerstaaten der Europäischen Union im grundseriösen diplomatischen Einheitsdress unterwegs. Drama und Freizeitlook: geht nicht. Statt dessen spazieren die Minister sinnierend übers Grundstück der Villa Borsig, im Hintergrund der See. Die Szene macht sich gut.





Die Bilder passen aber auch tatsächlich zur Stimmung. Nach dem Abschiedsbeschluss der Briten befindet sich die EU immer noch einigermaßen im Schockzustand. Für die Gründerstaaten (Frankreich, Deutschland, Italien und die Benelux-Länder), die 1957 den EU-Vorläufer EWG aus der Taufe hoben, gilt das noch mehr als für andere. Allzu lange darf dieser Zustand aber nicht dauern.
Deshalb hat Steinmeier die Kollegen in die Villa Borsig eingeladen, das Gästehaus des Auswärtigen Amtes. Das Treffen hätte auch stattgefunden, wenn die Briten fürs Drinbleiben votiert hätten. Aber jetzt natürlich erst recht. Grundlage ist ein deutsch-französisches Zehn-Seiten-Papier, das die Außenministerien beider Länder in den vergangenen Wochen für den Fall der Fälle vorbereitet hatten.
Das sagen Ökonomen zum Brexit-Entscheid
„Wir müssen einen sanften Übergang in eine neue wirtschaftliche Beziehung sicherstellen. Der IWF unterstützt die Bank von England und die Europäische Zentralbank darin, für die nötige Liquidität des Bankensystems zu sorgen und Schwankungen nach der Abstimmung zu begrenzen.“
„Der Brexit ist für die deutsche Wirtschaft ein Schlag ins Kontor.“
„Die Briten werden die Ersten sein, die unter den wirtschaftlichen Folgen leiden werden.“
„Wir erwarten in den kommenden Monaten einen deutlichen Rückgang des Geschäfts mit den Briten. Neue deutsche Direktinvestitionen auf der Insel sind kaum zu erwarten.“
„Nach einem EU-Austritt sollte niemand Interesse daran haben, mit Zollschranken zwischen Großbritannien und dem Festland den internationalen Warenverkehr zu verteuern.“
„Es wird nicht lange dauern, bis unsere Maschinenexporte nach Großbritannien spürbar zurückgehen werden.“
„Weniger Wirtschaftswachstum in den EU-Staaten und ein schwächeres Exportgeschäft werden die Konsequenzen sein.“
„Die EU-Staats- und Regierungschefs müssen schnell die dringend erforderlichen Reformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit und Fairness im EU-Binnenmarkt in Angriff nehmen.“
"Es kommt jetzt darauf an, ob wir eine saubere oder eine schmutzige Scheidung bekommen. Es geht vor allem darum, ob Großbritannien nach einem Verlassen der EU den Zugang zum EU-Binnenmarkt behält. Wichtig ist, dass die EU jetzt nicht die beleidigte Leberwurst spielt. Sie sollte ein starkes Interesse daran haben, mit den Briten in den kommenden zwei Jahren eine saubere Trennung zu vereinbaren. Das Land ist zweitwichtigster Handelspartner der EU, nach den USA und vor China. Die EU hat ein großes wirtschaftliches Interesse daran, Zölle im Warenhandel zu vermeiden und das Land im Binnenmarkt zu behalten.
Der Brexit stellt auch ein politischen Risiko für die EU dar. Denn das wird den Anti-EU-Parteien in vielen EU-Ländern Rückenwind geben. Die Regierungen werden noch weniger als bisher mehr Europa wagen, so dass die Probleme der Währungsunion weitgehend ungelöst bleiben. Was die EZB mehr denn je zwingt, die Probleme durch eine lockere Geldpolitik zu übertünchen.
Der Brexit schafft Unsicherheit und ist insofern schlecht für die deutsche Wirtschaft. Aber wir erwarten nicht, dass der Euro-Raum in die Rezession zurückfällt. Das gilt auch für Großbritannien und erst recht für den Fall, dass sich allmählich eine saubere Scheidung abzeichnet."
"Jetzt kommt eine große Phase der absoluten Unsicherheit. Denn etwas Vergleichbares hatten wir noch nicht. Unsicherheit ist schlecht für die Wirtschaft." Der Aufschwung in Großbritannien dürfte nun weitgehend zu Ende sein, in der Euro-Zone werde er sich abschwächen. Hersteller von Investitionsgütern wie Maschinen und Autos dürften die Folgen stärker spüren. "Deutschland ist also stärker betroffen als beispielsweise Spanien", sagte Schmieding.
"Die Entscheidung der britischen Wähler für den Brexit ist eine Niederlage der Vernunft", sagte er. "Die Politik muss jetzt alles tun, um den wirtschaftlichen Schaden zu begrenzen. Dazu gehört es, sicherzustellen, dass Großbritannien so weit wie möglich in den Binnenmarkt integriert bleibt." Es sei wichtig, die Verhandlungen darüber möglichst schnell zum Abschluss zu bringen, damit die Phase der Unsicherheit über die künftigen Wirtschaftsbeziehungen möglichst kurz bleibe.
"Die Finanzmärkte werden einige Tage brauchen, um den Schock zu verarbeiten. Die Politik muss jetzt versuchen, das Beste aus einer Entscheidung zu machen, die die EU schwächt. Das wird lange brauchen. Und so lange wird Unsicherheit das Geschehen prägen, zumal die Fliehkräfte in anderen EU-Ländern stärker zutage treten werden. Das Ergebnis kann auch die Nicht-Mainstream-Parteien in Spanien stärken, wo am Sonntag gewählt wird. Bis gestern hatte Europa ein Problem, jetzt ist erst mal Panik."
"Das Ergebnis des Referendums ist kein gutes Signal für Europa. Aber es ist vor allem kein gutes Signal für Großbritannien. Die politischen Strukturen der EU sind stark. Und anders als bei einem 'Grexit', also dem Ausscheiden eines Landes aus der Währungsunion, für das es keine rechtliche Grundlage gibt, ist die Prozedur für das Ausscheiden eines Landes aus der EU rechtlich klar geregelt. Die Folgen für den europäischen Integrationsprozess werden weniger gravierend sein, als jetzt oft vorschnell beschrieben. Auch wenn es schwierig wird: Die EU kann einen Austritt Großbritanniens verkraften.
Innerhalb Europas sollte der Fokus der nächsten Monate auf der Vertiefung des Euro-Raums liegen. Die Euro-Krise ist immer noch nicht ausgestanden. Die EZB hat die Grenze ihres Mandats erreicht. Nun müssen sich die Euro-Länder so schnell wie möglich auf einen Stabilisierungsplan einigen, der sowohl mehr Risikoteilung (vor allem schwierig für Deutschland) als auch mehr Souveränitätsteilung (vor allem schwierig für Frankreich) umfasst. Allerdings ist für einen solchen Plan kaum Zeit."
"Jetzt wird es turbulent an den Finanzmärkten. Das Pfund ist bereits auf einem 30-Jahres-Tief gegenüber dem Dollar. In absehbarerer Zeit sollten wir aber wieder eine Erholung sehen. Die Finanzmärkte fragen sich jetzt: Wie sieht das neue Verhältnis zwischen EU und Großbritannien aus? Die Briten könnten künftig Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) werden, wie Norwegen. Ich gehe nicht davon aus, dass das Verhältnis EU-Großbritannien damit beendet ist. Die EU wird das Land nicht am langen Arm verhungern lassen.
Mit dem heutigen Tag ändert sich erst einmal gar nichts. Es wird jetzt Verhandlungen mit der EU geben. So lange bleibt GB Vollmitglied der EU, also die nächsten zwei Jahre. Ich gehe nicht davon aus, dass sich die wirtschaftliche Lage dramatisch verändern wird. Die Briten dürften es aber merken: Die dortigen Unternehmen dürften jetzt Investitionen überdenken. Aber ich denke nicht, dass das Land nun in eine Rezession fällt."
„Wir dürfen jetzt nicht so tun, als seien alle Antworten schon bereit“, meint Steinmeier. „Wir dürfen aber auch nicht in Depression und Untätigkeit verfallen.“ Ziel ist jetzt, die restlichen 27 Mitglieder der EU zusammenzuhalten, auf jeden Fall den Status quo zu retten. Und zu verhindern, dass sich ein Schauspiel wie in Großbritannien wiederholt. Zentrale Botschaft: „Wir wollen uns dieses Europa nicht nehmen lassen.“
Ohne Änderungen im Binnengefüge der EU, das ist allen klar, wird das aber nicht gelingen. Steinmeier und sein französischer Kollege Jean-Marc Ayrault schlagen deshalb vor, die Union „flexibler“ zu machen. Für Länder, die weitere Integrationsschritte nicht mitgehen wollen oder noch nicht können, soll es einen größeren Spielraum geben. Das ist vor allem in Richtung der neueren Mitglieder gedacht
+++ 15.30 Uhr +++
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat von der britischen Regierung nach dem Brexit-Votum Auskunft über das weitere Vorgehen im nun anstehenden konkreten Scheidungsprozess mit der EU verlangt. Großbritannien müsse jetzt sagen, wie es sich die Beziehungen zur Europäischen Union weiter vorstelle, sagte Merkel am Samstag zum Abschluss eines Spitzentreffens von CDU und CSU in Potsdam. Die EU müsse sich dann auch vor dem Hintergrund der eigenen Interessen mit den Konsequenzen aus dem EU-Austritt der Briten befassen.
Sie gehe davon aus, dass die britische Regierung das Ergebnis des Referendums auch umsetzen wolle, sagte Merkel vor dem Hintergrund von Befürchtungen in der EU, London könne nun auf Zeit spielen. „Ehrlich gesagt, soll es nicht ewig dauern (...), aber ich würde mich jetzt auch nicht wegen einer kurzen Zeit verkämpfen.“ Solange die britische Regierung den Antrag auf einen Austritt aus der EU nicht gestellt habe und das entsprechende Abkommen nicht fertig sei, sei das Land mit allen Rechten und Pflichten weiterhin EU-Mitglied.
Bei den konkreten Austrittsverhandlungen gehe es nicht darum, andere EU-Mitglieder vor möglichen ähnlichen Referenden abzuschrecken, sagte Merkel. Die Verhandlungen müssten sachlich geführt werden, da die EU mit Großbritannien etwa in der Nato und in zahlreichen anderen internationalen Gremien auch künftig zusammenarbeiten werde.
+++ 14.30 Uhr +++
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich für sachliche Verhandlungen über das Ausscheiden Großbritanniens aus der Europäischen Union ausgesprochen. Ein gereizter Ton sei nicht nötig und Abschreckung nicht die oberste Priorität, sagte Merkel am Samstag in Potsdam. Der britische Antrag auf Trennung sollte nicht zu lange dauern, sagte sie. Doch will sich Merkel auch nicht für ein sehr schnelles Tempo verkämpfen.
+++ 14.09 Uhr +++
Der britische EU-Kommissar Jonathan Hill tritt nach dem Brexit-Referendum zurück. Das teilte Hill am Samstag in Brüssel mit.
Lord Hill war bisher in der Kommission von Präsident Jean-Claude Juncker für Finanzmärkte und Finanzdienstleistungen zuständig. Er sei sehr enttäuscht über den Ausgang der Volksabstimmung in Großbritannien, schrieb der konservative Hill. Hill sagte, er solle einen geordneten Übergang geben - er wolle dazu gemeinsam mit Juncker in den kommenden Wochen arbeiten. Nach den Regeln des EU-Vertrags muss London nun einen neuen Vertreter für das Brüsseler Spitzengremium benennen.
+++ 13.04 Uhr +++
Die schottische Regionalregierung trifft Vorbereitungen für ein zweites Referendum über die Unabhängigkeit des nördlichen Landesteils von Großbritannien. Die notwendigen rechtlichen Schritte würden jetzt vorbereitet und eigene Gespräche mit der EU aufgenommen, sagte Regierungschefin Nicola Sturgeon am Samstag in Edinburgh nach einem Treffen des Kabinetts. „Das Kabinett hat zugestimmt, dass wir umgehend Gespräche mit EU-Institutionen und anderen EU-Mitgliedstaaten aufnehmen, um alle Möglichkeiten auszuloten, Schottlands Platz in der EU zu schützen.“2014 hatten 55 Prozent Schotten in einem Referendum gegen die Unabhängigkeit Schottlands gestimmt. In der Volksabstimmung über den Brexit stimmte eine deutliche Mehrheit der Schotten für den Verbleib in der EU, insgesamt waren aber 52 Prozent der Briten für den Austritt. Bereits vor der Abstimmung hatte Schottlands Nationalpartei SNP, die mit absoluter Mehrheit regiert, ein zweites Unabhängigkeitsreferendum für den Brexit-Fall ins Gespräch gebracht.
+++ 13.00 Uhr +++
Deutschland und die anderen fünf „Gründerstaaten“ der Europäischen Union haben ihren Druck auf Großbritannien erhöht, nach dem Brexit rasch die konkreten Verhandlungen über einen Austritt aus der EU zu starten. „Dieser Prozess sollte so bald wie möglich losgehen, dass wir nicht in eine lange Hängepartie geraten“, sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) am Samstag nach einem Treffen der Außenminister der sechs EU-Staaten in Berlin.