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Die Euro-Zone operiert ab sofort auf unbestimmte Zeit im Südeuropa-Modus. Quelle: imago images

Der Nullzins sprengt die Gesellschaft

Beat Balzli
Beat Balzli Ehem. Chefredakteur WirtschaftsWoche Zur Kolumnen-Übersicht: Balzli direkt

Der alte Kontinent operiert nun auf unbestimmte Zeit im Südeuropa-Modus. Doch das ewig billige Geld führt zu Verwerfungen, die offenbar alle verdrängen.

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La galaxie, c’est moi. Emmanuel Macron ist die Erde nicht mehr genug. Der französische Präsident will innerhalb der Luftwaffe ein militärisches Weltraumkommando gründen. Die extraterrestrische Extravaganz passt zu einem Mann, der im europäischen Machtpoker als Master of the Universe gilt. Zwei der wichtigsten Jobs besetzen nun Frauen, die ganz auf seiner Linie liegen. Mit EZB-Chefin Christine Lagarde und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat der Franzose Schwestern im Geiste. Die Euro-Zone operiert ab sofort auf unbestimmte Zeit im Südeuropa-Modus. Eine gemeinsame Einlagensicherung wird wahrscheinlicher, der ewige Nullzins sowieso. Beides zementiert die Schuldenexzesse. Die Austeritätspolitik der Deutschen wirkt wie ein Auslaufmodell.

Die langfristigen Folgen scheinen keinen so recht zu interessieren. Dabei sollte ausgerechnet Macron wissen, was es bedeutet, wenn Dinge aus den Fugen geraten. Die Anhebung der Benzinpreise bescherte ihm mit der Gelbwesten-Bewegung den Vorgeschmack auf eine Revolution 2.0. Der ewige Nullzins provoziert vielleicht bald Schlimmeres als nur einen Vorgeschmack.

Die Politik des billigen Geldes führt zu tektonischen Verschiebungen in Wirtschaft und Gesellschaft, wie sie viele noch nicht erahnen – oder schlicht verdrängen. Denn bislang gingen alle davon aus, dass die Zinsen in Europa irgendwann wieder steigen und sich die Verhältnisse normalisieren. Inzwischen rechnet damit in den nächsten Jahren keiner mehr. „Zinswende ade“, bringt es etwa Marija Kolak, Präsidentin der Genossenschaftsbanken, auf den Punkt.

von Karin Finkenzeller, Malte Fischer, Julian Heißler, Stefan Reccius, Christof Schürmann, Silke Wettach

Die Steuerungsfunktion des Zinses fällt weg, was falsche Investitionsentscheide und Zombiefirmen fördert. Viel brisanter sind jedoch die Folgen für die Ungleichheit. Mit dem Nullzins wird ein ungeschriebener Gesellschaftsvertrag aufgekündigt. Während sich das Sparen früher für alle lohnte, gilt das heute nur noch für die Oberschicht. Sie spart über Aktien und Immobilien und macht dank der Inflation der Vermögenspreise permanent Profit. Die Mittelschicht geht mit Lebensversicherungen und Sparkonten leer aus. Allein in Deutschland liegen derzeit 2,5 Billionen Euro unverzinst rum. Das kann nicht lange gut gehen. Der Ruf nach Enteignungen von Wohnungen ist ein erstes Symptom für den Unmut. Weitere werden folgen.

Vielleicht ahnt es Macron ja und sorgt mit seinen Plänen vor – um sich notfalls in den Orbit retten zu können.

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