Am Ende ging alles ganz schnell: Vor gerade einmal zwei Monaten beschlossen die EU-Finanzminister das letzte Hilfspaket für Griechenland. Heute läuft dieses Paket aus. Die Griechenlandkrise ist damit nach Jahren am Abgrund hochoffiziell beendet – und sowohl Athen als auch Brüssel sind spürbar erleichtert.
Für beide Seiten ist es ein Befreiungsschlag: Brüssel ist froh, Griechenland nach immer neuen Hilfsmilliarden zumindest offiziell los zu sein. Die wirtschaftspolitische Agenda dieser Tage ist auch so schon überbordend voll. Alexis Tsipras auf der anderen Seite kommt kaum noch auf Zustimmungswerte von mehr als zehn Prozent. Die Griechen haben es dem ehemaligen Hoffnungsträger nicht verziehen, dass er kam, um sie vom EU-Joch zu befreien, und dann doch nur eine Sparmaßnahme der Geldgeber nach der anderen durchgedrückt hat. Nun, so heißt es aus Athen, sei Griechenland endlich wieder frei.
Doch nur weil beide Seiten die Krise als beendet erklären, beendet das nicht die Krise. Tatsächlich steht Griechenland immer noch vor dem wirtschaftlichen Kollaps. Die Hilfsprogramme haben einige Zahlen geschönt, um das Ende der Programme möglich zu machen. Aber die wahren Probleme haben sie nicht behoben.
Als ein Zeichen der Stabilisierung Griechenlands gilt, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) endlich wieder wächst. Gut zwei Prozent soll dieses Wachstum dieses Jahr betragen, nachdem es bereits 2017 bei 1,35 Prozent gelegen hatte. Tatsächlich sind das im Vergleich zu den Höhepunkten der Griechenlandkrise positive Werte: 2011 schrumpfte das reale BIP noch um 9,13 Prozent. Zur Wahrheit gehört jedoch auch, dass das absolute BIP in Griechenland in den vergangenen Jahren dramatisch eingebrochen ist:
BIP 2008: 350 Milliarden US-Dollar
BIP 2017: 200 Milliarden US-Dollar
Das BIP pro Kopf wiederum betrug 2008 noch 32.200 US-Dollar. Voriges Jahr lag es bei etwa 18.600 US-Dollar und damit ungefähr auf dem Niveau von Oman oder Barbados.
Der Haushaltsüberschuss ist eine weitere Kennziffer, die gerne herangezogen wird, um die vermeintliche Genesung Griechenlands zu belegen. Voriges Jahr lag der Primärüberschuss offiziell bei sieben Milliarden Euro beziehungsweise vier Prozent des BIP. Das ist jedoch nicht zuletzt dem geringen BIP geschuldet – und kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass Griechenland nach wie vor die höchste Staatsverschuldung in Europa hat:
Staatsverschuldung in Prozent des BIP 2008: 109 Prozent
Staatsverschuldung in Prozent des BIP 2017: 180 Prozent
2019 soll diese Quote sogar auf 190 Prozent ansteigen. Damit wäre sie höher als jemals zuvor in der neueren Geschichte.
Eines der größten Probleme Griechenlands ist die Arbeitslosigkeit:
Arbeitslosigkeit 2008: 7,8 Prozent
Arbeitslosigkeit 2017: 21,5 Prozent
Besonders dramatisch ist die Lage bei Griechen unter 25 Jahren – und das, obwohl bereits 400.000 junge Griechen während der Krise ausgewandert sind, um ihr Glück im Ausland zu suchen.
Jugendarbeitslosigkeit 2008: 22 Prozent
Jugendarbeitslosigkeit 2017: 44 Prozent
Das Problem ist, dass es in Griechenland keine Perspektive gibt. Um die Wirtschaft anzukurbeln und Menschen in Jobs zu bringen, bräuchte es Wachstum, vor allem in der Privatwirtschaft. Das einzige, was die EU-verordneten Programme dem Land jedoch gebracht haben, sind Kürzungen. Tsipras hat da gespart, wo die Widerstände überschaubar waren: bei Renten, Löhnen, Sozialleistungen. Darin unterscheidet er sich trotz aller vorgegebenen Volksnähe nicht von seinen Vorgängern. Mindestens 1,5 Millionen Griechen leben heute nach Schätzungen in extremer Armut, also mit weniger als 176 Euro im Monat. Das sind mehr als zehn Prozent der Bevölkerung.
Die Griechenland-Hilfsprogramme und der deutsche Anteil
Seit 2010 hat Griechenland nach Angaben des Euro-Rettungsschirms ESM knapp 289 Milliarden Euro an Hilfen erhalten - überwiegend von den europäischen Partnern, aber auch vom Internationalen Währungsfonds (IWF). Deutschland hat Athen anfangs auch mit Krediten unterstützt und ist anteilig an der Absicherung der von den Euro-Rettungsschirmen EFSF und ESM verliehenen Milliarden-Hilfen beteiligt. Auch nach Auslaufen des dritten Rettungsprogramms profitiert Griechenland noch für Jahre von verlängerten Kreditlaufzeiten sowie Zins- und Tilgungsstundungen.
Der deutsche Steuerzahler müsste dann für Verluste einspringen, wenn Athen Hilfskredite nicht zurückzahlt. Die Rückzahlung an die Europäer beginnt erst in einigen Jahren und zieht sich über Jahrzehnte hin. Bisher ist Deutschland einer der größten Profiteure der Hilfen: Zinsgewinne von mindestens 2,9 Milliarden Euro schlagen zu Buche.
Die Euro-Partner stellten Athen anfangs bilaterale Kredite bereit. Deutschland steuerte über die staatliche KfW-Bankengruppe 15,2 Milliarden Euro bei. Insgesamt umfasste das erste Rettungspaket Zusagen in Höhe von 110 Milliarden Euro an bilateralen Krediten der Euro-Staaten sowie des IWF. Tatsächlich ausgezahlt wurden letztlich 73 Milliarden Euro.
Der vorübergehende Rettungsschirm EFSF stellte zusammen mit IWF-Hilfen laut ESM 153,8 Milliarden Euro bereit. Dafür hat sich der Fonds am Kapitalmarkt Geld beschafft. Private Anleger haben also in Anleihen des EFSF investiert, diese Papiere wurden von den Geberländern besichert. Für Verluste des EFSF haftet Deutschland mit einem Anteil von etwa 29 Prozent. Hinzu kommen Haftungsrisiken für Deutschland an Forderungen des Europäischen Zentralbanksystems sowie an IWF-Krediten.
Das kam vom dauerhaften Rettungsschirm, dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM). Aus dem dritten Programm wurden vom ESM 61,9 Milliarden Euro an Griechenland gezahlt, der IWF war finanziell nicht beteiligt. Für die vom ESM auf dem Kapitalmarkt aufgenommenen Mittel übernehmen die Euro-Länder keine Gewährleistungen. Deutschland muss 27 Prozent zum ESM-Stammkapital von 705 Milliarden Euro beisteuern. Das maximale Haftungsrisiko für Deutschland ist auf jeden Fall auf 190 Milliarden Euro beschränkt.
Im Rahmen zusätzlicher Schuldenerleichterungen wurden Athen eine Verlängerung von Krediten um zehn Jahre sowie die Stundung von Zinsen und Tilgungszahlungen gewährt. ESM-Kredite etwa müssen von 2034 an bis 2060 zurückgezahlt werden, auch EFSF-Darlehen gibt es mehr Zeit. Das Volumen der zusätzlichen Zinsstundung über zehn Jahre ist laut Finanzministerium abhängig von der Zinsentwicklung und werde derzeit auf eine Größenordnung von rund 34 Milliarden Euro geschätzt. Die Hilfen sind an Reform- und Sparauflagen in Griechenland geknüpft.
Die wahren strukturellen Probleme des Landes bleiben hingegen unangetastet. Superreiche Reeder, die keine Steuern zahlen müssen. Eine veraltete, extrem kostspielige Bürokratie, in der der kleinste Antrag Wochen braucht, wenn er nicht gar ganz verloren geht. Und nicht zuletzt ein derart komplexes Unternehmensrecht, dass kaum ein Grieche gründen will – von Investitionen ausländischer Unternehmen ganz zu schweigen.
Unternehmensneugründungen 2008: ca. 57.000
Unternehmensneugründungen 2017: 28.600
Von den wenigen Neugründungen, die es in Griechenland noch gibt, findet das Gros im Gastronomie- und Tourismusbereich sowie in sonstigen Dienstleistungen statt: Knapp neun von zehn der neuen Unternehmen verkaufen Souvlaki, Kaffee oder Steuertipps. Neue Unternehmen in den Bereichen Produktion, Infrastruktur oder Technologie hingegen gibt es kaum.
Konkret heißt das: Wo überhaupt neue Unternehmen geschaffen werden, entstehen fast keine Jobs für die vielen Arbeitswilligen. Zudem setzen die meisten Neugründer auf den Konsum innerhalb Griechenlands. Den Griechen selbst fehlt mit ihren schrumpfenden Einkommen jedoch das Geld für diesen Konsum. Und es kommen zwar wieder mehr Touristen nach Griechenland und geben dort Geld aus. Aber dass sie nun der einzige Motor sein sollen, um Griechenland endgültig aus der Krise zu holen, zeigt, wie verfahren die Situation ist.
Die Griechenlandkrise ist nicht vorbei. Athen und Brüssel haben es nur geschafft, sie vom Schaufenster ins Hinterzimmer zu verschieben, wo sie nicht so sehr stört.