Plötzlich war die Eins vor dem Komma verschwunden. Ein Liter Super kostete an der Aral-Tankstelle, an der ich 2002 auf dem Weg von der Silvesterparty nach Hause vorbeilief, 0,72 Cent. Ich bleib stehen, blickte auf die blau-weiße Leuchttafel und murmelte grinsend: „Willkommen, lieber Euro.“
Vor genau zehn Jahren wurde die neue Gemeinschaftswährung eingeführt. Die ersten Münzen trug ich zu diesem Zeitpunkt schon seit zwei Wochen im Portemonnaie mit mir herum. Schließlich konnten bereits am 17. Dezember 2001, die ersten „Starterkits“ in Deutschland erworben werden.
Natürlich wollte auch ich dich, lieber Euro, ab dem ersten Moment in den Händen halten. Ich erinnere mich noch genau, wie ich gemeinsam mit meinen Eltern, ich war damals 17 Jahre alt, zur örtlichen Sparkasse gefahren bin. Wir haben 20 D-Mark eingetauscht – gegen eine Plastiktüte mit 20 Münzen im Wert von 10,23 Euro.
Schon bald folgte der Kater
Drei „Starterkits“ haben wir erstanden. Zwei Tüten ließen wir verschlossen, sie liegen noch heute originalverpackt im Wohnzimmerschrank meiner Eltern in Wilhelmshaven. Die dritte Tüte rissen wir noch im Auto auf. Wir haben jede einzelne Münze durch unsere Hände gleiten lassen. Wir diskutierten über den ungewöhnlichen, geschwungenen Rand der 20-Cent-Münze und fieberten den Moment entgegen, an dem wir erstmals mit unserer neuen Währung zahlen konnten. Ja, lieber Euro, die ersten Momente mit dir waren schön.
Doch nach der rauschenden Silvesternacht und der umjubelten Euro-Einführung dauerte es nicht lange, bis der Kater einsetze. Nur einen Monat später, im "Palazzo", wich die Freude. Jeden Freitagabend gingen meine Freunde und ich damals in die schmuddelige Diskothek, in der laute Rockmusik den Boden beben ließ und ein kleines gezapftes Bier nur 1,00 D-Mark kostete. Nach der Einführung der Gemeinschaftswährung verlangte das „Palazzo“ plötzlich 1,00 Euro. Der Preis hatte sich mit dem Jahreswechsel damit quasi verdoppelt, mein Taschengeld leider nicht. Auch beim Friseur, im Café und im Kino wurde die Währungsumstellung genutzt, um die Preise drastisch anzuheben.
Vom Euro zum "Teuro"
Auch wenn andere Güter wie Miete, Strom und Wasser im Preis stabil blieben und die Inflation zur Zeit der D-Mark im Durchschnitt über der Teuerungsrate des Euro lag (durchschnittliche Inflation zwischen 1989 und 1990: 2,4 Prozent; durchschnittliche Inflation zwischen 2000 und 2010: 1,5 Prozent), war die Wahrnehmung eine andere: bei mir, bei meinen Freunden, bei meinen Eltern. Nur drei Monate nach der Euro-Einführung, im Frühjahr 2002, hörte ich meine Mutter zum ersten Mal sagen: „Mit der D-Mark war es besser.“ Im Dezember wurde „Teuro“ zum „Wort des Jahres“ gekürt.
Zwei Jahre später zog ich nach Bremen, als Student hatte ich wenig Geld: ob Euro oder D-Mark spielte da nur eine untergeordnete Rolle. Wichtig wurde das Thema für mich erst wieder 2006, als ich für fünf Monate zum Studieren nach Kanada ging. Der Euro hatte seinen Tiefstwert gegenüber dem Dollar zwar schon am 26. Oktober 2000 mit 0,8252 US-Dollar pro Euro erreicht. Doch noch fünfeinhalb Jahre später, unmittelbar vor meinem Abflug nach Vancouver, stagnierte der Wert des Euro gegenüber dem Greenback bei 1,18 US-Dollar pro Euro – jenem Wert, den die Gemeinschaftswährung am 4. Januar 1999, dem ersten Tag des Börsenhandels in Euro an der Frankfurter Börse, hatte. Die Hoffnungen, der Euro könnte den Dollar als Weltwährung das Wasser abgraben, den Benzinpreis in Deutschland drücken und das Reisen und Einkaufen im Ausland dauerhaft verbilligen, erfüllten sich nicht.
Deutlich unterm D-Mark-Bestwert
Im Gegenteil: Flug, Studiengebühren und Lehrbücher verschlangen mein Kanada-Budget im Rekordtempo. An schneereichen Tagen stiefelte ich in Snowboardboots über den Campus, da ich mich entscheiden musste: Kaufe ich mir Winterstiefel oder gehe ich am Wochenende in den Bergen snowboarden.
Ich dachte an meine Mutter und ihren Satz, dass mit der D-Mark alles besser gewesen sei, und recherchierte am Computer. Ich fand heraus, dass die D-Mark im April 1995 ihren Höchstwert erreichte, als 1 US-Dollar 1,3455 D-Mark kostete – das entspricht umgerechnet 1,45361 USD je Euro. Einem Wert, den der Euro auch aktuell wieder deutlich unterschreitet.
Deine Anziehungskraft, lieber Euro, auf süd- und osteuropäische Länder hat in den ersten zehn Jahren deines Bestehens trotz aller Negativ-Erfahrungen nicht gelitten. Auch Griechenland (2001), Slowenien (2007), Zypern (2008), die Slowakei (2009) und Estland (2011) führten den Euro als neue Währung ein. Das Gemeinschaftsprojekt war fortan Zahlungsmittel in 17 europäischen Staaten: in kleinen wie großen Nationen, in Staaten mit boomender Wirtschaft wie in strukturschwachen Ländern.
Marode Staatsfinanzen
„Eine Währung für so unterschiedliche Länder? Ich bin irgendwie froh, dass wir da nicht mitmachen“, schrieb mir Nike, eine Freundin aus der Schweiz, nach dem Slowakei-Beitritt über Facebook. „Ihr macht ja auch nirgendwo mit“, dachte ich mir und schüttelte den Kopf. Ich verwies auf Ökonomen und Politiker, die alle Zweifel wegwischten. Durch den Euro würde Europa wirtschaftlich zusammenwachsen, so die weit verbreitete Meinung. Eine gemeinsame Geldpolitik sorge für Stabilität und Wohlstand in allen Ländern.
Die Schere zwischen den starken und schwachen Staaten Europas geht auseinander
Heute weiß ich: Statt wirtschaftlich zusammenwachsen, haben sich die Euro-Länder immer weiter voneinander entfernt. Zwar gingen die Zinsen in den Peripherieländern zunächst auf Talfahrt, statt 7,5 Prozent musste Spanien 1999 nur noch drei Prozent Zinsen für neue Kredite zahlen. In Italien gaben die kurzfristigen Zinsen von 8,8 auf 3,0 Prozent nach, auch Irland und Griechen konnten sich plötzlich günstig Geld leihen.
Das entfachte einen kreditfinanzierten Investitions-, Bau- und Konsumboom, der die Leistungsbilanzen ins Defizit rutschen ließ. Die Finanzkrise ab 2007 sowie die europäische Schuldenkrise seit 2010 zwangen die Südländer zur Korrektur. Sie müssen noch immer Löhne und Preise senken, was in der Folge die Konjunktur abwürgt und die Konsolidierung der ohnehin maroden Staatsfinanzen weiter erschwert. Die deutsche Wirtschaft hingegen wächst zum Teil kräftig, die Schere zwischen den starken und den schwachen Staaten Europas geht immer weiter auseinander.
Was die Euro-Krise Deutschland im Ernstfall kostet
Das Rettungspaket des Internationalen Währungsfond (IWF) hat einen Gesamtumfang von 250 Milliarden Euro.
Daran wäre Deutschland im Fall eines Ausfalls von Griechenland, Italien, Portugal und Spanien mit 15 Milliarden Euro beteiligt.
Insgesamt 80 Milliarden Euro in bar haben die beteiligten Staaten zum Euro-Rettungsschirm ESM beigesteuert.
Deutschland trägt im Fall eines Ausfalls von Griechenland, Italien, Portugal und Spanien mit 22 Milliarden Euro fast ein Drittel.
Zu den Bareinzahlungen haben die Euro-Länder Garantien in Höhe von insgesamt 620 Milliarden Euro übernommen.
Im Ernstfall müsste Deutschland die Kosten bis zu 168 Milliarden Euro mittragen.
Für die Rettung Griechenlands hat der IWF 30 Milliarden Euro bereit gestellt.
Zwei Milliarden Euro davon kommen aus Berlin.
Die Europäische Union hat für die Griechenland-Rettung ein Paket von 80 Milliarden Euro geschnürt.
Die Bundesregierung ist mit 27 Milliarden Euro beteiligt.
Die Europäische Zentralbank hat für rund 96 Milliarden Euro Staatsanleihen gefährdeter Euro-Länder erworben.
Mit 32 Milliarden Euro trägt Deutschland davon ein Drittel.
Die Target-Verbindlichkeiten Griechenlands, Portugals, Irlands und Spaniens machen mit 340 Milliarden Euro einen Großteil der Gesamtsumme aus.
Deutschlands Anteil: 113 Milliarden Euro.
Insgesamt umfassen sämtliche Rettungspakete ein Volumen von 1496 Milliarden Euro.
Im denkbar schlechtesten Fall müsste Deutschland also mit 379 Milliarden Euro tief in die Tasche greifen.
Ein weiteres Problem: Über Jahre wurden die Stabilitätskriterien missachtet, Griechenland schaffte es gar nur mit geschönten Zahlen in den Euro. Die Mitgliedsstaaten der Eurozone haben sich in eine Schuldenkrise manövriert, die den Euro in seiner Existenz gefährdet. Nur mit milliardenschweren Rettungspaketen konnten Irland, Griechenland und Portugal gerettet werden, im Falle Griechenlands nicht einmal das. Das Land braucht einen Schuldenschnitt. Der europäische Steuerzahler wird zur Kasse gebeten.
Eines Tages müssen wir für die Schulden aufkommen
Noch sind die Folgen in seiner Gänze, zumindest in Deutschland, nicht spürbar. Die Arbeitslosigkeit nimmt trotz Schuldenkrise und Rezessionssorgen nicht spürbar zu, der Geldwert ist (noch) stabil. Doch eines Tages müssen wir für die Staatsschulden aufkommen. Sei es per Notenpresse oder durch strikte Sparmaßnahmen.
Das gute Gefühl, lieber Euro, mit dem ich dich vor zehn Jahren begrüßte, ist verflogen. Grund zu feiern, gibt es an deinem Geburtstag kaum.