Die Bankenunion spielte eine Schlüsselrolle bei der Entschärfung der Eurokrise. Sie schützt Steuerzahler und Bankkunden heute besser vor den Folgen einer Bankenpleite. Umstritten ist, wie es weiter gehen soll: Ohne eine gemeinsame Einlagensicherung sei die Finanzstabilität Europas immer noch anfällig, meinen die einen. Zuerst müssen die Banken in den Krisenländern ihre Risiken abbauen, sagen die anderen.
Zur Serie
In einer vierteiligen Serie von Gastbeiträgen stellen wir an jedem Samstag bis zu den Bundestagswahlen zentrale europapolitische Probleme vor, die auf die künftige Bundesregierung zukommen werden. Sie basieren auf Veröffentlichungen der Publikationsreihe „Europa Briefing“, welche gemeinsam von der Bertelsmann Stiftung und dem Jacques Delors Institut – Berlin herausgegeben wird.
Diese und weitere Veröffentlichungen der Reihe sowie Informationen zum Kooperationsprojekt finden sie unter www.strengthentheeuro.eu.
Auch deutsche Parteien sind geteilter Meinung. Die große Koalition hat eine europäische Einlagensicherung 2016 abgelehnt. Finanzminister Schäuble warnt vor falschen Anreizen für Krisenländer und beharrt auf Risikoreduzierung vor Risikoteilung. Dagegen sprach sich Martin Schulz als Präsident des EU-Parlaments einst für die Vergemeinschaftung aus. Die Grünen und die Linke wollen ebenso Steuerzahler überall in Europa gleichermaßen vor Bankenpleiten schützen. Die FDP befürchtet indes eine „Quersubventionierung“ zu Lasten deutscher Sparer.
Angesichts dieser Differenzen ist der Ausgang der Bundestagswahlen richtungsweisend für die Zukunft der Bankenunion. Doch warum wurde sie eigentlich geschaffen? Ist das Bankensystem seitdem sicherer geworden? Und welche Zukunftsszenarien sind denkbar?
Warum sind nationale Bankenkrisen ein europäisches Problem?
Durch die Einführung des Euro wurde die Integration des Bankensektors innerhalb der Eurozone vorangetrieben. Banken aus Ländern mit hohem Wachstum wie Spanien und Irland liehen sich viel Geld bei deutschen und französischen Banken. Das war gut für die Wirtschaft, führte aber auch zu einer Abhängigkeit von ausländischer Finanzierung. Als die Finanzkrise einsetzte, endeten die Kreditflüsse aus dem Ausland, da unklar war, ob die Regierungen in den Krisenländern ihre Bankensektoren würden stützen können. Der Vertrauensverlust zwischen den Banken schadete der Wirtschaft europaweit.
Die Wechselwirkung zwischen Banken und Staatsfinanzen trugen zur Zuspitzung der Eurokrise bei. Dieser sogenannte Staaten-Banken-Nexus wirkte in zwei Richtungen:
Einerseits versuchten Regierungen während der Krise, den Zusammenbruch des Finanzsystems zu verhindern und unterstützten ihren Bankensektor mit Krediten oder Bürgschaften. Diese sogenannten Bail-outs fielen im Euroraum zwischen 2008 und 2014 mit etwa fünf Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung ins Gewicht. Manche Regierungen, darunter Irland, waren mit der finanziellen Last der Rettung überfordert. Die Bankenkrise wurde zu einer Staatsschuldenkrise. Andererseits litten Banken unter schwachen Staatsfinanzen, denn sie halten traditionell viele Staatsanleihen der eigenen Regierung. Bei italienischen Banken sind es derzeit zehn Prozent all ihrer Vermögenswerte. Wird deren Rückzahlung unsicher, nimmt das Vertrauen in die Stabilität der Banken ab.
Dem Euroraum fehlten zunächst die Instrumente, um Bankenkrisen grenzübergreifend einzudämmen. Für Bail-outs musste jede Regierung selbst aufkommen, was zu großen Verwerfungen in der Risikobewertung von Staaten und Banken führte.
Hat Europa seine Banken sicherer gemacht?
Anfang 2012 erreichte die Eurokrise ihren vorläufigen Höhepunkt. Zinsen auf griechische Staatsanleihen stiegen von fünf Prozent in 2009 auf 49 Prozent im Januar 2012, portugiesische auf 17 Prozent. Die Krise drohte sogar auf Italien überzugreifen.
Wendepunkt war das Treffen des Europäischen Rats im Juni 2012. Die Staats- und Regierungschefs gaben grünes Licht für zwei Pfeiler der Bankenunion: einen einheitlichen Abwicklungsmechanismus für Banken und eine europäische Bankenaufsicht unter dem Dach der Europäischen Zentralbank (EZB). Ein gemeinsamer Einlagensicherungsfondswurde diskutiert, vorerst aber nicht beschlossen.
Umgesetzt wurde dies aber nicht über Nacht. Die neue Aufsicht nahm 2014 mit dem ersten Stresstest, einer Krisensimulation für Bankbilanzen, ihre Arbeit auf. Der Test brachte Kapitallücken in 13 der 130 größten europäischen Banken ans Licht. Im Durchschnitt konnten die Banken seitdem ihre Bilanzen stärken, in einigen Ländern leiden Banken aber immer noch unter ausfallgefährdeten Krediten.
Seit 2016 gelten auch einheitliche Regeln und Mechanismen für den Fall einer Bankenpleite. Zunächst entscheidet ein unabhängiger Ausschuss darüber, ob und wie einer notleidenden Bank geholfen werden kann. Um bei einer Sanierung Hilfen aus dem von Banken finanzierten Abwicklungsfonds nutzen zu können, müssen die Gläubiger einen Teil der Verluste selbst tragen (Bail-in). So sollen Steuerzahler vor unkalkulierbaren Kosten einer Bankenkrise geschützt und einheitliche Wettbewerbsbedingungen für Banken geschaffen werden.
Szenario 1: Gemeinsam umfassend aufräumen
Derzeit gibt es in sechs Euroländern noch eine bedrohlich hohe Zahl an notleidenden Krediten. Von diesen Krediten müssen sich die Banken schnellstmöglich befreien, um wieder profitabel zu werden und, um neue Kredite an Unternehmen vergeben zu können. Besonders betroffen sind Banken in Zypern, Griechenland, Italien und Portugal.
Um ihre Banken schnell auf solide Füße zu stellen, könnten Regierungen und europäische Institutionen gemeinsam einen staatlich gestützten Fonds einrichten, der den Banken ihre notleidenden Kredite zu einem angemessenen Preis abkauft. Die dabei entstehenden Verluste müssten nach den neuen Regeln der Bankenunion zunächst die Eigner und Gläubigertragen. Für einige Banken könnte das eine Sanierung notwendig machen oder sogar zur Insolvenz führen.
Wenn sich der europäische Bankensektor umfassend von seinen Altlasten befreit hat, dürfte den Euroländern auch die Vollendung der Bankenunion leichter fallen. Dafür müssten einerseits Risiken weiter reduziert werden, indem Banken nur noch in begrenztem Maße Staatsanleihen ihres Landes halten dürfen. Andererseits müssten verbleibende Risiken zunehmend geteilt werden, zum Beispiel über einen europäischen Einlagensicherungsfonds, der gemeinsam die Spareinlagen der Bürger garantiert.
Gleiche Regeln für alle?
Szenario 2: Streit um Abwicklungsregeln
Eine schnelle und umfassende Aufräumaktion ist für Banken jedoch nicht unbedingt attraktiv, da eine Anerkennung der Verluste durch notleidende Kredite für manche Institute die Insolvenz bedeuten könnte. Einige Regierungen wollen deshalb ihrem heimischen Bankensektor durch einen staatlichen Bail-out helfen, was aber mit Inkrafttreten des Abwicklungsmechanismus verboten wurde. Ein Verstoß gegen das Verbot könnte zum offenen Streit zwischen Regierungen und europäischer Aufsicht führen.
Wenn bei einigen Akteuren der Eindruck entsteht, einzelne Länder hielten sich nicht an das Prinzip „gleiche Regeln für alle“, kostet das wertvolles Vertrauen. Es würde dann auch nicht zu einem langfristigen Kompromiss aus Risikoteilung und Risikoreduzierung kommen – die Bankenunion bliebe unvollendet.
Ein Scheitern der Bemühungen, die Bankenunion weiter voranzutreiben, ist aus zwei Gründen gefährlich: Erstens würde ein Kräftemessen zwischen Regierungen und europäischen Institutionen den Abbau von notleidenden Krediten zusätzlich bremsen und ein schwacher Bankensektor die Wirtschaft weiterhin belasten. Zweitens stellt sich ohne den Ausbau der Bankenunion bei der nächsten Krise in einigen Ländern wieder die Frage nach der Schuldentragfähigkeit.
Szenario 3: Ausnahmen unter Auflagen
Die obligatorische Beteiligung der Gläubiger und Eigner schützt zwar den Steuerzahler, birgt aber auch Risiken: Da sich Banken gegenseitig Geld leihen, kann die Insolvenz einer Bank Verluste bei der nächsten Bank verursachen. Auch das neue Regelwerk schließt diese Ansteckungsgefahr nicht aus.
Die fünf großen Baustellen der EU
Die Folgen des globalen Finanzbebens 2008 spalten Europa bis heute - wirtschaftlich und politisch. Während europäische Statistiker für Deutschland zuletzt auf 4,2 Prozent Arbeitslosigkeit kamen, waren es für Griechenland 23,5 Prozent. Das überschuldete Land will finanzielle Freiräume, um die Wirtschaft anzukurbeln. Bei einem Südgipfel holte sich Athen jetzt Rückendeckung von Italien und Frankreich. Nicht nur deutsche EU-Politiker fordern strikte Sparsamkeit und reagieren gereizt. Aber auch Österreichs Bundeskanzler Christian Kern meint, der Sparkurs sei die eigentliche Ursache für die zunehmend antieuropäische Stimmung.
Der Zustrom von Hunderttausenden reibt die Gemeinschaft politisch auf. Hier verlaufen die Risse nicht nur zwischen Nord und Süd, sondern auch zwischen Ost und West. Beschlossen ist eine Verteilung von bis zu 160.000 Asylsuchenden aus den Anlandestaaten Italien und Griechenland in der EU. Erledigt waren aber bis Juli gerade einmal gut 3000 Fälle - 2213 Schutzsuchende aus Griechenland und 843 weitere aus Italien.
Die EU-Kommission drängelt, doch vor allem die Visegrad-Staaten Ungarn, Slowakei, Tschechien und Polen weigern sich. Stattdessen verlangen sie schärferen Grenzschutz. Das trieb nun offenbar Asselborn zu seiner Breitseite gegen die Regierung in Budapest. „Wer wie Ungarn Zäune gegen Kriegsflüchtlinge baut oder wer die Pressefreiheit und die Unabhängigkeit der Justiz verletzt, der sollte vorübergehend oder notfalls für immer aus der EU ausgeschlossen werden“, sagte Asselborn der „Welt“ (Dienstag). Die Grenzzäune würden immer höher. „Ungarn ist nicht mehr weit weg vom Schießbefehl gegen Flüchtlinge.“
Die islamistischen Anschläge in Frankreich, Belgien und zuletzt auch in Deutschland haben Lücken bei Absprachen und Austausch offenbart. Die Verunsicherung ist groß, die Forderung nach einer engeren Zusammenarbeit laut. Und es gibt Querverbindungen zum Flüchtlingsstreit: Vor allem nach den Anschlägen eines mutmaßlichen Afghanen in Würzburg und eines Syrers in Ansbach im Juli sehen sich die Gegner eines großzügigen Asyls bestätigt. EU-Ratspräsident Donald Tusk fordert jetzt eine lückenlose Erfassung aller, die in die EU einreisen.
Die vielfältigen Krisen schwelen seit langem, doch es war das Votum der Briten für ein Ausscheiden aus der EU vom 23. Juni, das daraus eine Existenzkrise für die Union machte. Wird der Ausstieg tatsächlich vollzogen, verliert die Gemeinschaft ihre drittgrößte Wirtschaftskraft, den zweitgrößte Nettozahler und ein diplomatisches Schwergewicht im UN-Sicherheitsrat. Sie wird also kleiner und schwächer. Vor allem aber macht der Schritt EU-Gegnern allerorten Mut, auch in den Gründerstaaten Niederlande, Frankreich und Italien. Denn bei allen Sollbruchstellen scheint die EU fast gespenstisch geeint in populistischer Feindseligkeit gegen Brüssel.
Die simple These, die Eurokraten seien verantwortlich für alles Übel auf dem Kontinent, überdeckt einen Machtkampf der Institutionen: Was darf die EU-Kommission bestimmen? Wie viel Einfluss hat das Parlament? Und worüber entscheiden allein die Einzelstaaten? Über möglichst viel, meinen die Osteuropäer. Die Kommission solle sich zurückhalten, denn die „wirkliche Legitimität“ liege bei den Mitgliedsländern und Parlamenten, sagt Tschechiens Regierungschef Bohuslav Sobotka. Wie nervös die EU-Exekutive ist, zeigt der Streit um die Abschaffung der Roaming-Gebühren: Nach Murren aus Parlament und Mitgliedstaaten kassierte Kommissionspräsident Juncker flugs den Plan, die Streichung der Zusatzgebühren für Handytelefonate im EU-Ausland auf 90 Tage zu befristen.
Einzelnen Mitgliedstaaten wäre es daher gestattet, ihre Banken auf eigene Kosten und unter strengen Auflagen zu sanieren, um mit den Altlasten der Krise abzuschließen. Eigner und Gläubiger würden an den Verlusten in diesem Fall nur in geringem Maße beteiligt. Banken in Krisenländern könnten dadurch die Wirtschaft wieder mit ausreichend Krediten versorgen. Der Preis dafür wäre wiederum eine höhere Staatsverschuldung.
Ob es nach solchen Ausnahmen zum Ausbau der Bankenunion kommt, hängt davon ab, inwieweit die Mitgliedstaaten darauf vertrauen, dass nach dem Abbau der Altlasten dann wirklich gleiche Regeln für alle gelten. Die europäische Aufsicht und die Kommission sind dabei in einer schwierigen Mittlerrolle: Den Krisenländern müssen sie Wege aufzeigen, die eine großangelegte Säuberung der Bankbilanzen auch im neuen Regelwerk ermöglichen. Wirtschaftlich starke Länder fordern dagegen, dass die Abwicklungsregeln auch gegen politische Widerstände durchgesetzt werden. Die Kritik an der Erlaubnis der Kommission, mehrere italienische Banken mit Steuergeldern abzuwickeln und in einem Fall sogar zu retten, zeigt, dass bisher wenig Einigkeit darüber herrscht, wie die weiterhin anfälligen Bankensysteme in Europa stabilisiert werden sollen.