Schon die Regierung Sarkozy war nicht unbedingt mit ökonomischer Kompetenz gesegnet. Was aber die Regierung Hollande aufführt, ist Dilettantismus pur. Wer die öffentliche Diskussion in Frankreich um die so genannte Reichensteuer und die angedrohte Verstaatlichung von Werken des Stahlkonzerns ArcelorMittal verfolgt hat, musste den Eindruck bekommen, es ginge um weit reichende Entscheidungen, die die Zukunft des Landes betreffen. Doch bei genauerer Betrachtung entpuppt sich das Spektakel aber eher als Sturm im Wasserglas.
ArcelorMittal beschäftigt in Frankreich 20 000 Mitarbeiter. Von einer Schließung der beiden unrentablen Stahlöfen in Lothringen wären 630 Mitarbeiter betroffen. Wegen dieser 630 Arbeitsplätze hat Arnaud Montebourg, Frankreichs Minister für Reindustrialisierung, den Stahlunternehmer Lakshmi Mittal der Lüge bezichtigt, zur unerwünschten Person in Frankreich erklärt und ihm mit der Verstaatlichung seines Unternehmens gedroht. Verhältnismäßigkeit sieht anders aus. In Frankreich lässt sich so schnell kein ausländischer Investor mehr blicken. ArcelorMittal wird 2012 nach Abschreibungen in Höhe von 4,3 Milliarden Euro auf die Firmenwerte seiner europäischen Aktivitäten tiefrote Zahlen schreiben.
Fakten zu François Hollande
Studierte Recht, Wirtschaft und Politik an Pariser Eliteuniversitäten.
Holte sich Wahlkampftipps von Beratern des US-Präsidenten Barack Obama.
Will im Amt sich und seinen Ministern das Gehalt um ein Drittel kürzen.
Plant einen Wachstumspakt zur Ergänzung des EU-Fiskalpakts.
Will Jahreseinkommen über eine Million Euro mit 75 Prozent besteuern.
Von der Reichensteuer hat sich die Regierung Hollande Mehreinnahmen von rund 300 Millionen Euro oder etwas mehr als ein Prozent der Einkommenssteuer versprochen. Für diese bescheidene Summe riskieren die französischen Sozialisten die Auswanderung auch weniger reicher Franzosen und eine weltweit verfolgte Debatte um Steuergerechtigkeit und die Werte der Fünften Französischen Republik. Dabei hat Frankreich ganz andere Sorgen. Zum Beispiel eine Arbeitslosenquote von bald elf Prozent und eine Armutsrate bei jungen Erwachsenen von 22,5 Prozent. Mindestens ebenso schlimm. Die Reichensteuer wurde handwerklich so ungeschickt vorbereitet, dass der Verfassungsrat diese jetzt aus Gerechtigkeitsgründen gestoppt hat. Eine handfeste Regierungskrise ist wohl nur noch eine Frage der Zeit.
Die Regierung Hollande entwickelt sich aber auch immer mehr zu einer tickenden Zeitbombe für Deutschland und Europa. Das ist umso bedrohlicher, weil sich die Machtverhältnisse in der Europäischen Union in den vergangenen Jahren immer mehr zu Gunsten Frankreichs verschoben haben.
Die EZB funktioniert wie die Banque de France
Das laut „Spiegel“ für die Zeit nach der Bundestagswahl angekündigte Sparprogramm von Finanzminister Wolfgang Schäuble wird wohl der letzte Reflex der alten Bundesrepublik sein. Wer inzwischen das Sagen in Berlin hat, zeigt die umgehende Reaktion des Internationalen Währungsfonds (IWF) und seiner geschäftsführenden Direktorin Christine Lagarde, die das Sparprogramm sogleich heftig kritisierte. Maastrichter Vertrag und der neue Fiskalpakt bekommen in Berlin einen Staatsakt erster Klasse. Lagarde folgt dem französischen Denkmodell, wonach Ausgaben notfalls über die Notenpresse zu finanzieren sind. Das Modell wird bereits im Euro-Raum praktiziert. Die Europäische Zentralbank (EZB) funktioniert wie die Banque de France vor der Einführung des Euro: Manchmal ein bisschen widerspenstig, aber im Zweifel immer zu Diensten der Politik.
Der Deutschen Bundesbank und ihrem Präsidenten Jens Weidmann ist in diesem System die Rolle des Papstes zugedacht. Man darf von Zeit zu Zeit an die Geschichte von Sodom und Gomorra und die Folgen unzüchtigen geldpolitischen Verhaltens erinnern. Dem immer kleiner werdenden Kreis der Gläubigen jagt dann ein wohliger Angstschauer über den Rücken, während die monetäre Orgie unverdrossen weitergeht.
Bundeskanzlerin Angela Merkel sollte Hollande jetzt freundlich aber bestimmt an seine Verantwortung für das Große und Ganze erinnern und daran, dass Frankreich via einer gemeinsamen Währung und der noch vorhandenen deutschen Bonität den strategischen Schutz Deutschlands genießt. Berlin hat dafür erhebliche finanzielle Risiken auf sich genommen. Die Zeit für Nonchalance ist vorbei.