Griechenland Alexis Tsipras' Fehler mit der Spieltheorie

Alexis Tsipras wollte spieltheoretisch gegen Europa antreten. Verzögerungen, kämpferische Äußerungen und Bluffs sollten Athens Verhandlungsposition verbessern. Doch Tsipras hat Grundregeln ignoriert - und Vertrauen verloren.

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"Drittes Programm ist mehr als großzügig"
Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Quelle: dpa
Donald Tusk Quelle: dpa
Bundeskanzlerin Angela Merkel Quelle: dpa
Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel Quelle: dpa
Griechenlands Premierminister Alexis Tsipras Quelle: dpa
Frankreichs Präsident François Hollande Quelle: REUTERS
Markus Kerber, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie Quelle: dpa

Am Mittwoch muss das griechische Parlament ein zweites Reformpaket durchbringen, um an weitere Hilfen zu kommen. Die Bedingungen sind nun viel härter, als sie es beim per Referendum abgelehnten Paket waren. Immer wieder wurde gemutmaßt, dass die griechische Regierung bei ihrer Verhandlung die Spieltheorie genutzt hat. Tatsächlich lassen sich in der Verhandlungsführung leicht eine Reihe klassischer spieltheoretischer Taktiken erkennen.

Einer der wichtigsten Kniffe bei Verhandlungen ist aus spieltheoretischer Sicht die Selbstbindung. Angenommen, Sie verhandeln um die Aufteilung von 100 Millionen Euro. Wenn Sie es schaffen, Ihr Gegenüber zu überzeugen, dass Sie weniger als 90 Millionen in jedem Fall ablehnen, werden Sie die 90 Millionen bekommen. Ihr Gegenüber wird in diesem Fall nämlich keinen Konflikt riskieren wollen, bei dem beide verlieren. Selbstbindungen sind daher eine entscheidende Komponente – jedenfalls soweit sie glaubwürdig sind.

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Selbstbindungen können verschiedene Formen annehmen. Im Laufe der vergangenen Monate hat die griechische Regierung immer wieder erst in letzter Minute Angebote gemacht. Ein Grund dafür könnte sein, dass dadurch die Möglichkeit von Nachforderungen erschwert wird. Den Gläubigern bleibt nur noch Zeit zuzustimmen, da sie ansonsten den Konflikt riskieren.

Dies ist übrigens auch einer der Gründe, warum sich solche Verhandlungen fast immer bis zu den Deadlines hinziehen. Aber kluge Verhandler lassen sich darauf nicht ein, und Deadlines lassen sich auch verschieben.

Ein zweiter Kniff ist die Delegation, in diesem Fall an das Volk. Das Ergebnis einer Volksabstimmung erzeugt zunächst einmal eine gewisse Selbstbindungskraft für die Politik. Auch eine schwache Regierung entscheidet ungern gegen einen Volksentscheid.

Axel Ockenfels Quelle: David Klammer für WirtschaftsWoche

Auch der Anschein, etwas verrückt zu sein, kann helfen. Einem Politiker mit markiger Sprache, theatralischem und aggressivem Auftreten und unkonventioneller Kleidung wird vielleicht eher abgenommen, seine Drohungen wahr zu machen.

Doch es scheint, als ob Teile der griechischen Regierung die Spieltheorie mit professioneller Verhandlungsführung verwechselt haben. Die Spieltheorie unterstellt zwar oft egoistische Motive, aber geht man einmal über die ersten paar einfachen Spiele hinaus, so zeigt sich, dass oft Kooperation die bessere Strategie ist. Die empirische Verhandlungsforschung zeigt darüber hinaus, dass der soziale Kontext und die vertrauensvolle Kommunikation entscheidend sind. Die spieltheoretische Analyse allein gibt dies nicht her.

Griechenland hat den letzten Trumpf verspielt

Die griechische Regierung hat sich zwar sehr bemüht, über taktische Verzögerungen, kämpferische Äußerungen und Bluffs ihre Verhandlungsposition zu verbessern. Darüber hat sie aber scheinbar alle Alltagserfahrung über die Bedeutung einer vertrauensvollen Kommunikation vergessen.

So passierte der griechischen Regierung das Schlimmste, was einem Verhandler passieren kann: der Verlust der Vertrauenswürdigkeit. Das relevante Verhandlungsspiel haben am Ende vermutlich die Gläubiger untereinander gespielt. Zudem hat die konfrontative Taktik offengelegt, dass die Märkte keine Gefahr für Ansteckungseffekte sehen. Damit hatte die griechische Regierung auch die letzte Trumpfkarte verspielt.

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Das Beispiel zeigt, dass enttäuscht wird, wer in der Spieltheorie nach einfachen Rezepten für kluges Verhalten sucht. Die Spieltheorie ist nützlich. Aber in Verhandlungen ist es stets die Kombination von strategischen und psychologischen Erwägungen, die zu einer guten Verhandlungsstrategie führt.

Möglicherweise war ein Teil der griechischen Verhandlungsführung innenpolitischen Scharmützeln geschuldet. Doch eine naive Anwendung der Spieltheorie findet man nicht selten. Nach Verhandlungssimulationen beschweren sich zuweilen Wirtschaftsstudenten bei mir, dass sie auf ganzer Linie erfolglos waren, obwohl sie sich doch sehr „rational“ verhalten hätten.

Ein kleines bisschen Expertise kann eben manchmal mehr schaden als nutzen. Es gibt aber eine überaus wichtige Einsicht der Spieltheorie für die Griechenland-Tragödie: Konflikte können von vornherein vermieden werden, wenn die Spielregeln stimmen.

Europa muss die Spielregeln für die Währungsunion überdenken und sich selbst glaubwürdig an seine eigenen Regeln binden. Sonst sind weitere Tragödien unvermeidlich. Die ungeheure Dynamik von Fehlanreizen wird allzu oft unterschätzt.

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