
Im Gedächtnis der Menschen auf Zypern sitzt der Schock immer noch tief. Vor rund drei Jahren - im März 2013 - kam die Hiobsbotschaft der Europartner: Wenn Ihr Geld haben wollt, damit eure Banken nicht zusammenbrechen, dann müsst ihr nicht nur den Gürtel enger schnallen. „Bail in“ hieß der neue Begriff; und die Zyprer haben schnell gelernt, was das bedeutet. Die Kunden der Banken mussten für einen Teil der Rettung ihrer Geldinstitute zahlen: Wer mehr als 100 000 Euro auf seinem Konto hatte, musste sich von 47,5 Prozent seiner Geldeinlagen über diesem Betrag verabschieden. Das war damals eine Premiere in der Rettungspolitik der Eurozone, in der seit dem Beginn des griechischen Schuldendramas 2010 zeitweise fünf Krisenländer mit Hilfsmilliarden gestützt werden mussten.
Drei Jahre später zeigen sich die Finanzminister der Euro-Staaten zufrieden über das Ende März auslaufende Hilfsprogramm für Zypern. Das Land habe einen sehr guten Job gemacht und könne sich wieder selbst finanzieren, sagte Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem unlängst in Brüssel.
Die EZB vorm Bundesverfassungsgericht
Im Kern geht es um das historische Versprechen von EZB-Präsident Draghi aus dem Sommer 2012. Als die Eurozone vor der Zerreißprobe stand, erklärte der Italiener: „Die EZB ist bereit, im Rahmen ihres Mandats alles zu tun, was nötig ist, um den Euro zu retten.“ Wenig später beschloss die Notenbank, unter bestimmten Bedingungen notfalls unbegrenzt Staatsanleihen von Euro-Krisenstaaten zu kaufen. Dieses Kaufprogramm mit dem Namen „Outright Monetary Transactions“ (OMT) beschäftigt die Juristen bis heute.
Nein. Kritiker werfen der Notenbank dennoch vor, sie habe mit dem OMT-Beschluss ihre Kompetenzen überschritten. Über Anleihenkäufe finanziere die EZB letztlich Staatsschulden mit der Notenpresse. Das mache die Notenbank abhängig von den jeweiligen Staaten und gefährde ihre Unabhängigkeit. Zudem lähme es die Reformbereitschaft, wenn sich Regierungen darauf verließen, dass es notfalls die EZB richten werde.
Das höchste deutsche Gericht kam Anfang 2014 zu dem Schluss, die EZB habe mit dem OMT-Beschluss ihre Kompetenzen überschritten. Laut EU-Vertrag dürfe sie keine eigenständige Wirtschaftspolitik betreiben. Zudem verstoße der OMT-Beschluss gegen das Verbot der Mitfinanzierung von Staatshaushalten. Zur Klärung von EU-Recht gab Karlsruhe das Thema aber an den Europäischen Gerichtshof (EuGH).
Der EuGH entschied: Grundsätzlich darf die EZB zur Euro-Rettung Staatsanleihen kaufen. Das OMT-Programm aus dem Sommer 2012 sei rechtmäßig: „Das Programm überschreitet nicht die währungspolitischen Befugnisse der EZB und verstößt nicht gegen das Verbot der monetären Finanzierung von Mitgliedstaaten.“ Die Schritte der Notenbank müssten jedoch verhältnismäßig und gut begründet sein und dürften keine wirtschaftspolitische Maßnahme sein. Insgesamt wurde der Gerichtshof seinem Ruf gerecht, eher großzügig zu sein, wenn es um Kompetenzen von EU-Institutionen geht. Bisher hatten die Luxemburger Richter keine Einwände gegen Rettungsbemühungen in der Euro-Schuldenkrise.
Nein, denn der EuGH entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Auf Basis des EuGH-Urteils haben die deutschen Richter nun zu bewerten, ob die Anleihenkäufe verfassungsgemäß sind. 2014 hatten sie mitgeteilt, ob der OMT-Beschluss der EZB mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar sei, könne letztlich erst geklärt werden, wenn der EuGH die vorgelegten Fragen beantwortet habe. Ein Urteil wird frühestens in einigen Monaten erwartet.
Volkswirte fordern, das Bundesverfassungsgericht solle sein Urteil zumindest dazu nutzen, deutsche Vorbehalte festzuschreiben. „Wir sind dafür, dass das Bundesverfassungsgericht ein Signal nach Luxemburg und Frankfurt sendet, dass man nicht einfach machen kann, was man will“, betont der Wirtschaftsweise Lars Feld. Durch eine Begründung, die von der Pro-EZB-Entscheidung des EuGH abweicht, könnte sich Deutschlands höchstes Gericht auf nationaler Ebene die Kontrolle über künftige EZB-Maßnahmen zur Euro-Rettung vorbehalten. Beobachter halten eine solche Kompromiss-Linie für durchaus wahrscheinlich. Dass Karlsruhe das EuGH-Urteil komplett verwirft, wird nicht erwartet.
Direkt nichts. Denn es geht nicht um die Anleihenkäufe, die seit dem 9. März 2015 laufen („Quantitative Lockerung“ oder englisch „Quantitative Easing/QE“). Doch weil auch gegen dieses aktuelle Programm bereits eine Verfassungsbeschwerde vorliegt, wird die Karlsruher Entscheidung mit Spannung erwartet. Beim QE-Programm investiert die EZB monatlich 60 Milliarden Euro in Staatsanleihen und andere Wertpapiere - und das bis mindestens März 2017. Wichtiger Unterschied zum OMT-Programm: Das Geld fließt nicht nur in Papiere von Krisenstaaten, sondern in Anleihen aus dem gesamten Euroraum. Das frische Zentralbankgeld soll über Geschäftsbanken als Kredit bei Unternehmen und Verbrauchern ankommen. Das könnte Investitionen und Konsum anschieben und soll so auch die Inflation anheizen.
Der Start in das Hilfsprogramm war 2013 indes alles andere als einfach: Zunächst leistete die Regierung unter Präsident Nikos Anastasiades Widerstand. Das kleine Zypern musste aber schnell umdenken: Die Geldgeber blieben hart, die Europäische Zentralbank (EZB) drehte den Geldhahn zu, die zyprischen Banken wurden geschlossen. Die Menschen konnten nur noch geringe Beträge abheben. Transaktionen wurden auf Eis gelegt. Bald konnten die Unternehmen ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen. „Es war wie ein langsames Ertrinken“, beschreibt einer der Hoteliers im Zentrum Nikosias die damalige Lage. Dann setzten sich Politiker, Parteien, Unternehmer und Banker in Nikosia zusammen. Das Ergebnis war die Erkenntnis, dass man sich beugen muss. „Augen zu und durch“, lautete der Tenor damals in der zyprischen Presse.
Zwar gab es jede Menge innenpolitischer Streitigkeiten, wer wohl verantwortlich für die verfahrene Lage sei. Am Ende aber einigten sich die Zyprer. Der Preis: Die Kunden des größten Geldinstituts, der Bank of Cyprus (BOC), wurden mit 47,5 Prozent ihrer Guthaben von mehr als 100 000 Euro zur Sanierung herangezogen. Die zweitgrößte Bank des Landes, die Laiki Bank, wurde zerschlagen. Als Gegenleistung griffen die Europartner und der IWF Zypern mit Finanzhilfen von insgesamt zehn Milliarden Euro unter die Arme. Die Zyprer selbst mussten 13 Milliarden Euro beisteuern.
Als Erfolgsrezept gilt heute, dass sich die Zyprer - anders als die Griechen - auf die Umsetzung der Sparmaßnahmen konzentriert und keine Entscheidungen aufgeschoben haben. Im Frühjahr 2013 waren strenge Kapitalkontrollen eingeführt worden. Während der ersten Monate durften Reisende höchstens tausend Euro pro Auslandsreise mit sich führen. Der Staatsapparat wurde verkleinert, es kam zu Privatisierungen. Gut zwei Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise am 6. April 2015 kam der erste Erfolg. Alle Einschränkungen im Geldverkehr des Landes wurden aufgehoben.
„Wir haben voll und ganz ohne Abweichungen das Memorandum eingehalten“, sagt der zyprische Finanzminister Charis Georgiades immer wieder. Sowohl er als auch Staatspräsident Anastasiades warnen aber auch. „Das Schlimmste haben wir überwunden. Doch die Sparmaßnahmen werden andauern, damit wir nicht wieder das erleben, was uns vor drei Jahren zugestoßen ist“, sagt Anastasiades immer wieder.
Viele der umgesetzten Reformen führten Zypern zurück auf einen Weg nachhaltigen Wachstums, lobte Dijsselbloem. Nikosia habe lediglich 6,5 Milliarden Euro an Hilfen in Anspruch genommen, die Aussichten des Landes seien nun deutlich besser. Nach Portugal, Spanien und Irland gilt Zypern damit als das vierte erfolgreiche Euro-Hilfsprogramm.