Neuwahl in Kroatien Politische Krise geht wohl weiter

Die Wahl am Sonntag ist die zweite binnen weniger als einem Jahr im EU-Land Kroatien. Umfragen zufolge wird auch diese Abstimmung keinen klaren Sieger hervorbringen.

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Kroatien: Politische Krise geht wohl weiter Quelle: dpa

Kroatien sieht sich derzeit mit vielen Problemen konfrontiert. Doch geht es bei der vorgezogenen Neuwahl am (heutigen) Sonntag mehr um Spaltungen aus der Vergangenheit als um Herausforderungen der Zukunft. Die Abstimmung wird voraussichtlich wenig dazu beitragen, die schlimmste politische Krise in dem Land seit seinem EU-Beitritt 2013 zu beenden. Es gibt Sorgen, Instabilität könnte die Bemühungen behindern, zum Rest der Europäischen Union aufzuschließen.

Vor der Wahl - der zweiten binnen weniger als einem Jahr in Kroatien - hat es einen Anstieg rechtsgerichteter Sentiments und nationalistischer Rhetorik gegeben. Dies hat Spaltungen verstärkt, die bis zum Zweiten Weltkrieg und den Balkankriegen der 1990er Jahre zurückreichen. „Einige Themen sind in den Fokus geraten, von denen wir glaubten, dass sie vor langer Zeit beiseitegelegt worden seien“, sagt die ehemalige Ministerpräsidentin Jadranka Kosor. „Statt sich als (EU-)Mitglied vorwärts zu bewegen, hat sich unser politisches und öffentliches Leben zum Schlechteren gewendet.“

Die vorherige Mitte-Rechts-Regierung - durch interne Streitigkeiten gelähmt - war im Frühjahr nach nur sechs Monaten im Amt gestürzt. Sie war nach einer Wahl vom November gebildet worden, die keinen klaren Sieger hervorgebracht hatte. Damals wandelte sich eine wenig bekannte Reformgruppe, Most, zum Königsmacher.

Umfragen zufolge wird die Wahl am Sonntag ähnlich ausgehen. Es wird erwartet, dass weder die linksgerichteten Sozialdemokraten noch die rechtsgerichtete Kroatische Demokratische Union HDZ dazu in der Lage sein werden, alleine zu regieren. Damit dürfte die Bildung der nächsten Regierung einmal mehr von kleineren Gruppen wie Most abhängig sein. „Das Ergebnis dieser Wahl könnte gut eine Einleitung zu einer weiteren Wahl in baldiger Zukunft sein“, sagt Kosor. „Ich glaube, wir haben eine Phase instabiler Regierungen betreten.“

Eine verlängerte Instabilität könnte eine positive Entwicklung in dem Land mit seinen 4,2 Millionen Einwohnern weiter erschweren. Zwar gilt Kroatien als fortschrittlicher als andere Balkanstaaten. Doch hat es eine der schwächsten Wirtschaften innerhalb der EU. Nach dem Unabhängigkeitskrieg von 1991 bis 1995 befand sich das Land jahrelang in einer Krise. Nach sechsjähriger Rezession gibt es Anzeichen einer Erholung, doch liegt die Arbeitslosenquote bei etwa 14 Prozent - das ist eine der höchsten in der EU. Ein Großteil des Wachstums wird dem Tourismus entlang der kroatischen Adriaküste zugeschrieben.

Angesichts der Anzeichen einer wirtschaftlichen Besserung müsse der Staat seinen Beitrag leisten, indem er die Verschuldung des Landes reduziere, Steuern senke und Bürokratie abschaffe, die Unternehmen einschränke, erklärt Gordana Deranja vom Arbeitgeberverband Kroatiens. „Ein seriöser Job wartet auf eine seriöse Regierung, die bereit ist, Probleme zu bewältigen, die schon vor langer Zeit hätten angegangen werden sollen.“

Zwar haben sowohl die Sozialdemokraten als auch die HDZ die Wirtschaft zur Priorität erklärt. Doch „das Wort Reformen ist aus dem Wahlkampf verschwunden“, sagt Deranja. Stattdessen lag der Fokus vor der Wahl zum Teil auf Themen, die noch immer eine Quelle der Spaltung unter Kroaten sind. Dazu gehören die Nazi-Vergangenheit des Landes, die kommunistische Phase nach dem Zweiten Weltkrieg und die Beziehungen mit dem ehemaligen Balkankriegsfeind Serbien.

Rechtsgerichtete Anhänger in Kroatien bewundern das Pro-Nazi-Regime des Zweiten Weltkriegs dafür, ein unabhängiges Kroatien gegründet zu haben. Sie glauben, dass das multiethnische Jugoslawien der Nachkriegszeit eine von Serben dominierte antikroatische Union gewesen sei. Hingegen sind linksgerichtete Kroaten stolz auf den antifaschistischen Kampf des Landes während des Zweiten Weltkriegs. Die Spaltungen spiegeln sich in der Politik wider: Die HDZ wird als nationalistisch betrachtet, die Sozialdemokraten gelten als Nachfolger der kroatischen Kommunisten.

Der Fokus auf ideologischen Spaltungen statt konkreten Problemen habe zu weit verbreiteter Enttäuschung, Misstrauen und Verdrossenheit unter den 3,7 Millionen Wählern Kroatiens geführt, sagt die prominente kroatische Schriftstellerin Slavenka Drakulic. Die Wähler glaubten, dass sie niemanden hätten, an den sie sich wenden könnten. So sieht es auch der 61-jährige Alek Stepicic aus Zagreb. „Der beste Rat in dieser Situation wäre, einfach auf sich selbst aufzupassen und sich um seine eigenen Angelegenheiten zu kümmern“, sagt er.

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