Kein Job, kaum Geld, die Zukunftspläne gehen den Bach runter... Und wann es im Land wieder besser wird, weiß man nicht... "Was tue ich jetzt?" ist die Frage, die sich zahlreiche junge Griechen seit der Krise stellen müssen. Denn in einem Land wie ihrem, in dem mehr als jeder Vierte arbeitslos ist, gibt es wenig Hoffnung für die junge Generation. In keinem Land ist die Jugendarbeitslosigkeit so hoch wie dort: Über die Hälfte der unter 25-Jährigen haben keinen Job.
Die desaströse Stimmung im Land ist bei solchen Aussichten nicht überraschend: Die Griechen blicken sehr pessimistisch in die Zukunft, sagt Dr. George Tzogopoulos, Politikwissenschaftler und Mitarbeiter der Griechischen Stiftung für Europa- und Außenpolitik. "Sie glauben nicht mehr daran, dass die Sparauflagen Griechenland retten können. Sie sagen, okay, wir haben unter den Maßnahmen viel gelitten, und sie haben nicht geholfen. Bis hier hin in Ordnung. Aber jetzt sollen wir noch mehr leiden... aber warum? Es scheint ja nichts zu bringen!"
Junge Griechen wählen verschiedene Möglichkeiten, um ihren eigenen Weg aus der Krise zu finden. Manche verlassen ihre Heimatland, andere versuchen auszusitzen und hoffen weiterhin und wieder andere nehmen allen Mut zusammen und starten ihr eigenes wirtschaftliches Abenteuer: die Selbstständigkeit.
Auf nach Deutschland
Rund 958.000 Menschen zogen allein 2011 nach Deutschland, so das Statistische Bundesamt. 20 Prozent mehr als im Vorjahr. Aus Griechenland kamen 90 Prozent mehr Einwanderer: rund 23.800. Eine davon ist Christina Ntouni. Sie wuchs in einer Familie der oberen Mittelklasse auf. Dadurch erhielt sie schon zu Schulzeiten eine besonders gute Ausbildung, besuchte eine Privatschule. "Ich habe sowohl in meiner Kindheit als auch während meines Studiums ein wohlhabendes Leben geführt mit vielen Privilegien," sagt Ntouni.
Sie schrieb sich für "Internationale und Europäische Studien" an der Panteion Universität in Athen ein, besuchte zudem Kurse in Englisch, Französisch und Spanisch. Heute spricht sie alle drei Sprachen auf einem hohen Level und beendete ihr Studium erfolgreich. Aber auch ihre Zukunft ist genauso unsicher wie die vieler anderer junger Griechen.
Nach der Schule entschied sie sich aus ihrer Heimatstadt Patras zum Studieren nach Athen zu gehen. "Mein Plan war es meinen Universitätsabschluss zu bekommen und dann für ein europäisches Forschungsinstitut in Athen zu arbeiten."
Zukunftspläne aufgeben müssen
Von diesem Plan ist nicht allzu viel geblieben: "Fakt ist, dass mein jetziges Leben überhaupt nichts mit dem zu tun hat, was ich mir vor einigen Jahre gewünscht habe", sagt Ntouni. Mit dem Bachelor in der Tasche wollte sie sich eigentlich für einen Masterplatz bewerben, aber aufgrund der schwierigen finanziellen Situation entschied sie sich 2011 stattdessen eine Arbeit zu finden.
Mit ihren Fremdsprachenkenntnissen hoffte sie, eine entsprechende Anstellung finden zu können. Monatelang habe sie Bewerbungen geschrieben, aber die steigende Arbeitslosenrate machte die Chancen auf einen Job immer schwieriger. "Ich habe kein einziges Jobangebot bekommen", so ihr bitteres Fazit. Die Folge: Eine eigene Wohnung in Athen ohne jegliche Einnahmen war nicht zu finanzieren.
Eines Tages wieder zurück
Ntouni zog zurück in ihre Heimatstadt, in das Haus ihrer Eltern, womit die Jobchancen noch geringer wurden. Als Familienmensch genoss sie die Zeit mit ihren Liebsten, aber die Frage, wie es weitergehen sollte, bestimmte ihr Leben. Nach weiteren Versuchen einen passenden Job zu bekommen, machte sich die damals 23-Jährige Gedanken, ob es noch ganz andere Alternativen gebe. Daraufhin fiel Anfang 2012 die Entscheidung ins Ausland zu gehen. "Meine Eltern haben mich sogar dazu ermutigt ins Ausland zu gehen", so Ntouni. Sie glauben, dass die Talente und Qualifikationen ihrer Tochter im Ausland mehr geschätzt und erkannt werden, sie außerhalb Griechenlands erfolgreich sein könnte. Das Ziel: Deutschland. Hier im hessischen Darmstadt studiert ihr Bruder.
Die Entscheidung, Griechenland zu verlassen, fiel ihr damals nicht leicht: "In einem fremden Land zu leben ist nicht einfach, vor allem wenn man noch nicht einmal die Sprache spricht", beschreibt Ntouni die erste Zeit. "Aber mir war klar, dass ich meine Qualifikation optimieren muss – das Beste aus mir rausholen."
Eines Tages wieder zurück
"Junge Menschen, meist Absolventen die bereits weit Ihrer Heimatstadt studiert haben, haben meist keine Hemmnis ins Ausland zu gehen", sagt Athanassios Tsokos. Er führt mit seinem Bruder seit zwölf Jahren eine Personalvermittlung, die zwischen Deutschland und Griechenland vermittelt.
"Bei den meisten Mitarbeitern sind es entweder weltoffene Kosmopoliten ohne Integrationsängste oder diejenigen die schon einen Bezug nach Deutschland haben", so Tsokos. Diese haben entweder schon einmal in Deutschland gelebt, haben Familie, Freunde, Bekannte in der Bundesrepublik, oder haben dort schon einmal studiert.
Nach zehn Monaten intensivem Deutschkurs fühlt Ntouni sich jetzt sicher genug und ist derzeit auf der Suche nach einem Job. Am liebsten wäre ihr die Mitarbeit bei einer internationalen Organisation oder einem Institut für Sprachwissenschaften oder europäische Politik. Das würde ihren Wünschen entsprechen. „Irgendwas“ möchte sie trotz allem nicht machen. Dafür hätte sie nicht so eine vielfältige Ausbildung gebraucht – und die Hoffnung stirbt zuletzt: „Ich versuche positiv zu denken und ich hoffe, dass Deutschland ein Schritt nach vorne wird für mich.“ Ein Jahr ist es nun her, dass sie ihre Heimat verließ. Ihr ginge es „ganz gut“, sagt sie. Sie schreibe noch viel mit ihren Freunden in Griechenland, habe aber auch in Deutschland mittlerweile einige Freundschaften gefunden. Ein Job lässt aber noch immer auf sich warten. Es sei trotz allem nicht so leicht das Richtige zu finden. „Hier in Deutschland sind die Leute immer überrascht, wenn ich erzähle, dass ich fünf Sprachen fließend spreche. Ich erkläre dann immer, dass das in Griechenland gar nichts Ungewöhnliches sei, dass junge Leute viele Sprachen beherrschen und sehr gut ausgebildet sind. Diese Leute könnten auf dem europäischen Arbeitsmarkt total große Konkurrenz sein. Deshalb finde ich es auch einfach nur unfair, dass sie nicht genügend Chancen bekommen und so nicht mehr optimistisch sein können.“
Den Traum vom Masterstudium hat sie noch nicht aufgegeben. Ebenso wie die Hoffnung, dass ihre Heimat es aus der Krise schafft: "Ich hoffe, dass es wieder besser wird, Griechenland wieder mehr Möglichkeiten bietet und es mir eines Tage möglich ist, wieder zurückzugehen."
Auf der Suche: Stille Hoffnung
Eleftheria Vrakopoulou bleibt in Griechenland. Auch die 26-Jährige denkt immer wieder darüber nach, dass der Schritt ins Ausland auch ein Weg sein könnte, aber sie will es eigentlich in ihrer Heimat schaffen. Sollte das weiterhin nicht gelingen, wolle sie ernsthaft darüber nachdenken. Doch noch ist sie nicht so weit: Vrakopoulou arbeitete bisher in Griechenlands zweitgrößter Stadt Thessaloniki als Juristin für eine Kanzlei, in der sie schon als Trainee angestellt war. Jetzt - nach zehn Jahren Jurastudium und arbeiten - ist sie gezwungen in ihre Heimatstadt Serres zurückzukehren.
Viel Arbeit, kaum Geld zum Leben
Sie könnte zwar weiterhin für ihren bisherigen Chef arbeiten, aber die Arbeitsbedingungen sind so schlecht und die Bezahlung so mies, dass sie sich so ein Leben in Thessaloniki nicht mehr leisten kann. Deshalb geht es jetzt zurück in ihre Heimatstadt mit etwas über 76.000 Einwohnern nahe der bulgarischen Grenze. Hier lebt ihre Familie, hier steht ihr Elternhaus. Dort zieht sie jetzt wieder ein und versucht selbstständig mit kleinen Aufträgen weiterhin etwas zu verdienen und vor allem aber zu warten. Warten darauf, dass es bald wieder besser wird. Diesen Weg hatte sie nie für sich gesehen: „Vor der Finanzkrise wäre ich nie auf die Idee gekommen wieder in die Stadt zurückzukehren aus der ich komme“, so Vrakopoulou. Als sie ihr Studium beendete sah es noch ganz gut aus, sagt die Juristin. „Es gab verschiedene Möglichkeiten für Akademiker und auch die Löhne waren ordentlich.“ Heute sei das nicht mehr der Fall und deshalb keine Seltenheit, dass junge Berufstätige den Weg in die Heimatstädte wählen.
An Arbeit mangelt es der 26-Jährigen nicht. Normalerweise hat sie Zehn-Stunden-Tage. "Die meiste Zeit verbringe ich im Gericht oder vor meinem Computer", sagt Vrakopoulou. Trotzdem reicht das Geld nicht aus, um davon leben zu können. "Auf der einen Seite fühle ich mich glücklich, dass ich wirklich in dem Bereich arbeiten kann, den ich auch studiert habe, aber auf der anderen Seite muss ich mich mittlerweile fragen, ob ich in diesem Job noch genug Geld verdienen kann, um davon zu leben." In den vergangenen Jahren seien sowohl die Arbeitsmöglichkeiten als auch der Lohn weniger geworden - auch ihrer. Deshalb jetzt der Weg zurück ins Elternhaus.
Sie habe das Gefühl, dass der griechische Staat die jungen Menschen aufgegeben hat, da sie ihnen nicht genügen Möglichkeiten bieten Arbeit zu finden. "Wenn man sich die Situation in unserem Land bewusst macht, ist es meiner Meinung nach schwierig sich zu wichtigen Veränderungen durchzuringen", sagt Vrakopoulou über die griechische Politik. "Aber wenn ich etwas tun könnte, würde ich den jungen Menschen etwas zurückgeben. Uns etwas zurückgeben. All unsere Träume und Hoffnungen die wir in der Vergangenheit hatten als wir an die Uni kamen und die wir durch Frustration und Ablehnung für die Zukunft ersetzten."
Einen anderen Job machen? Nein, das komme für sie nicht in Frage sagt Vrakopoulou. "Ich weiß, dass es schwierig sein wird, aber ich glaube fest daran, dass ich mit harter Arbeit und Beharrlichkeit bald wieder auf eigenen Füßen stehen kann."
Der eigene Weg in die finanzielle Unabhängigkeit
Auf eigenen Füßen stehen – selbstständig sein. Diesen Schritt hat Fanis Koutouvelis gemacht. Zweieinhalb Jahre ist es jetzt her, dass er und seine beiden Mitgründer in Athen das Start-Up iKiosk gründeten. Jetzt sitzt er in seinem Büro in einer kleinen, aber hübschen Einkaufsstraße in Vrilissia, einem nördlichen Stadtteil Athens, und ist umgeben von modernen Ikea-Möbeln, kreativ aufgemalten Business-Plänen und iKiosk-Emblemen.
"Als wir vor dem Bankdirektor standen - drei junge Typen - und wir unser Firmenkonto eröffnen wollten, hat er uns vollkommen entsetzt angesehen. "Als ob wir einen Kredit über 1 Million wollen würden", sagt Koutouvelis Koutouvelis und lacht.
Ohne jegliche Fundings, also finanzielle Unterstützung von außen, starteten die Studenten mit einer Idee. Sie wollten die griechische Art, einen Kiosk oder einen Minimarkt zu führen, verbessern. Mit einem einfachen Kassensystem, das alle Eingänge und Verkäufe registriert und mit der passenden Software auch die Buchhaltung deutlich einfacher machen soll. Computerkenntnisse seien dafür nicht notwendig, wirbt iKiosk auf seiner Webseite.
Doch wie kommt man darauf, mitten in der größten finanziellen Krise in der Geschichte des Landes ein eigenes Unternehmen zu gründen? Koutouvelis brach sogar gemeinsam mit seinem Studienfreund das Studium ein Jahr vor dem Abschluss ab - sie hatten Computer-Ingenieurwissenschaften studiert. Ob er damit zum Beispiel im Ausland eine bessere Karriere hätte machen können, darüber habe er sich überhaupt keine Gedanken gemacht, sagt Koutouvelis. Der 26-Jährige wollte es mit seinem eigenen Projekt versuchen.
Der richtige Zeitpunkt
"Es ist eben der perfekte Moment für ein solches Abenteuer, weil du einfach nicht auf einen Job warten kannst", sagt Koutouvelis. Er lehnt sich auf seinem Stuhl gemütlich zurück und blickt durch die beschriftete Glasscheibe in den Nebenraum, in dem seine Mitarbeiter brainstormen. "Mein Projekt hat mir die Chance gegeben, mein ganz eigenes Ding zu machen. Und ich liebe das."
In Griechenland derzeit ein Start-Up zu gründen, ist für ihn kein Widerspruch - im Gegenteil. Er bezeichnet es als eine Art Beta-Test: "Wer eine gute Idee hat, kann sie in einem kleinen Netzwerk verwirklichen und ausprobieren, ob sie funktioniert." Und wer es dann in Griechenland schafft, schaffe es überall, so Koutouvelis.
Zuhause bekam der Computerexperte Rückhalt. Seine Eltern haben ihn voll unterstützt, als er ihnen seine Pläne erzählte: "Sie konnten mich zwar finanziell nicht unterstützen, aber sie haben mir Mut gemacht."
Lediglich mit eigenen Rücklagen - ein paar tausend Euro von den Sparbüchern der drei Studenten - wurde das Business im April 2010 offiziell angemeldet. Zu diesem Zeitpunkt war nicht nur die Software schon vollständig entwickelt und getestet, sondern die Webseite schon einige Monate online.
Das System nennt sich schlichtweg "Store Management Software". "Damit helfen wir den Ladenbesitzern effizienter zu werden", so Koutouvelis. Die Software hat dabei nicht nur Vorteile für griechische Ladenbesitzer, sondern auch für Marktforscher. Da alle Verkäufe genau verzeichnet werden und in die iKiosk-Datenbank einfließen, kann Koutouvelis mit seinem Team auch Verkaufsdatenanalysen erstellen. Damit bietet das Start-Up erstmals in Griechenland Daten dieser kleinen Märkte und Buden, die zwar in Griechenland sehr zahlreich sind, aber eben analytisch bisher nirgendwo erfasst werden.
Das griechische Kiosk-Chaos beseitigen
Große Firmen investierten dafür bislang viel Zeit: Sie schickten etwa 50 Mitarbeiter auf Reisen, um rund 1.000 Läden zu besuchen. Dort wurden dann die verkauften Waren gezählt und aus den Zahlen eine Hochrechnung gemacht. Das System von iKiosk funktioniert derweil über das Internet - und liefert ganz konkrete Ergebnisse.
"Unglaublich viele Minimärkte und Kiosks sind extrem unorganisiert", sagt Koutouvelis. Der Markt ist groß: In Griechenland gibt es mehr als 30.000 potentielle Kunden, die 5,5 Prozent des griechischen Bruttoinlandprodukts umsetzen. Und die Idee von iKiosk scheint zu funktionieren: Das kleine Softwareunternehmen, in dem die drei Gründer und drei Mitarbeiter beschäftigt sind, ist seit dem ersten Jahr profitabel.
Expansion als großes Ziel
Derzeit sind 150 Kassensysteme des iKiosks in ganz Griechenland im Einsatz. In Werbung investiert das Start-Up kaum – die Interessenten kommen bisher von ganz alleine. "Nur eine Hand voll haben wir angesprochen. Die meisten entdecken unsere Webseite und schreiben uns dann", so Koutouvelis.
Der allererste Kunde, der seinen Minimarkt in der Nähe von Athen hat, hatte auch über das Internet von iKiosk-Service erfahren und schon eine Bestellung aufgegeben, bevor die Firma überhaupt offiziell eingetragen war.
Expansion als großes Ziel
Derzeit ist iKiosk auf der Suche nach Investoren. Das nächste Reiseziel: Istanbul. Start-Up-Gründer Koutouvelis ist noch nie dort gewesen und reist jetzt als Geschäftsmann erstmals an die Stadt am Bosporus. Koutouvelis hofft auf Finanzhilfen von Seiten der EU, in Istanbul stellte er deshalb sein Projekt bei einer europaweiten Konferenz vor. Er kann sich aber auch einen privaten Investor vorstellen. Die Summe, die er am Ende haben muss, um seine nächsten Geschäftspläne umzusetzen, beträgt eine Million Euro.
Wenn die finanzielle Grundlage für einen Ausbau steht, sollen aus bislang 150 Kunden innerhalb von sechs Monaten 500 werden. Dann heißt das nächste Ziel: Expansion ins Ausland. Koutouvelis hat unter anderem Israel, Russland und Rumänien im Blick. Dort seien die Ladenstruktur ähnlich und die technischen Standards gegeben, um zum Beispiel auch ihre Smartphone-Software nutzen zu können.
"Es wird natürlich noch dauern, bis wir so weit sind", sagt Koutouvelis. Aber er freut sich auf die neue Herausforderung. Die Abenteuerlust auf mehr Business scheint bei dem 26-Jährigen noch nicht gestillt - trotz Krise.