Rückkehr mit Chancen Wie Deutschland abgelehnten Asylbewerbern beim Neustart hilft

Nicht alle Asylbewerber können in Deutschland bleiben, immer mehr kehren in ihre Heimatländer zurück. Die meisten stammen aus Albanien und dem Kosovo. Deutschland unterstützt Balkan-Heimkehrer dabei, zu Hause wieder Fuß zu fassen – auch aus eigenem Interesse.

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Wie Deutschland Balkan-Heimkehrern hilft, zu Hause wieder Fuß zu fassen. Quelle: Thomas Imo

In ein paar Tagen muss Naim Basha mal wieder zum Flughafen von Pristina. Der 59-jährige Psychologe wird sich ans Gepäckband stellen und auf die Passagiere eines Charterflugs aus Deutschland warten. Sein besonderes Augenmerk gilt Fluggästen mit blauen Tragetaschen. Damit statten deutsche Behörden gern abgelehnte Asylbewerber aus, die – freiwillig oder unfreiwillig – zurück in ihre Heimat, den Kosovo, gebracht werden.

Diese Menschen wird Basha begrüßen, mit einer Infobroschüre versorgen – und zu einem Besuch in der Mark-Isaku-Straße 24 ermuntern.

In diesem leicht heruntergekommenen Seitenpfad im Zentrum der kosovarischen Hauptstadt hat das deutsche Rückkehrzentrum „Ura“ seine Büros. Ura heißt übersetzt „die Brücke“ und soll „dabei helfen, Rückkehrer aus Deutschland wirtschaftlich und sozial im Kosovo zu integrieren“, wie es Leiter Manuel Plate formuliert. Plate war früher Asylentscheider in Deutschland und Mitarbeiter der Botschaft in Pristina. Nun ist es sein Job, abgelehnten Asylbewerbern bei der Zukunftsplanung und Jobsuche zu helfen. Zum Team gehören neben Plate und Basha zwölf Mitarbeiter, vier weitere Stellen sollen bald hinzukommen. Verantwortlich für das Projekt ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das operative Geschäft hat 2016 die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) übernommen.

Asylanträge nach Bundesländern 2017

Der Etat von einer Million Euro, den sich neun Bundesländer teilen, ist zwar nicht übermäßig üppig, zumal sich die Zahl der Ratsuchenden in den vergangenen zwei Jahren gegenüber 2014 fast verzehnfacht hat. Gleichwohl ist das Projekt ein wichtiger Bestandteil der Westbalkan-Strategie der Bundesregierung.

Unerwünschte Armutszuwanderung eindämmen

Berlin geht es um einen migrationspolitischen Dreiklang:

Erstens sollen aus dieser ökonomischen Krisenregion keine neuen Asylbewerber mehr kommen.

Zweitens sollen abgelehnte Asylsuchende möglichst freiwillig nach Hause zurückkehren. Das ist für den deutschen Staat billiger als eine Abschiebung und für die Betroffenen weniger traumatisch, funktioniert aber nur, wenn es im Heimatland eine Perspektive gibt.

Drittens schließlich will die Bundesregierung künftig mehr – ausgewählten – Fachkräften vom Balkan ein reguläres Arbeitsvisum erteilen und auch dadurch unerwünschte Armutszuwanderung über die Asylschiene eindämmen.

Dass sich die deutsche Migrationspolitik verstärkt dem westlichen Balkan zuwendet, hat seinen Grund: „Deutschland wirkt auf die Menschen in dieser Region wie ein Magnet“, sagt Hans-Jürgen Cassens, GIZ-Landesdirektor in Albanien. Gleichzeitig stammen aber auch die meisten Flüchtlinge, die Deutschland wieder den Rücken kehren, aus Albanien und dem Kosovo. 2015 und 2016 reisten insgesamt 42.000 Albaner und Kosovaren freiwillig zurück. Auch die meisten unfreiwilligen Rückkehrer stammen von dort: Allein 2016 wurden 11.000 Flüchtlinge aus Deutschland nach Albanien und den Kosovo abgeschoben; beide Staaten hat der Bundestag im Herbst 2015 als sicheres Herkunftsland deklariert.

Wie das BAMF die Identität von Flüchtlingen klärt

Nach dem politischen Chaos des Jahres 2015 gibt es nun so etwas wie ein Rückkehrmanagement. Wer Deutschland vor Abschluss seines Asylverfahrens verlässt, erhält seit Februar einen Bonus von 1200 Euro. 800 Euro gibt es bei freiwilliger Rückreise nach einem ablehnendem Bescheid und dem Verzicht auf Rechtsmittel – die Hälfte des Betrages wird erst nach sechs Monaten im Herkunftsland ausgezahlt.

Mit Geld allein ist es indes nicht getan. Parallel zum Ura-Projekt hat die GIZ in Pristina und der albanischen Hauptstadt Tirana ein „Deutsches Informationszentrum für Migration, Ausbildung und Karriere“ (Dimak) eingerichtet, das als Blaupause für ähnliche Projekte in Nordafrika dienen soll.

Albanien und der Kosovo sind die Armenhäuser Europas

Was aber kann man den Menschen anbieten? Albanien und der Kosovo sind die Armenhäuser Europas, der durchschnittliche Monatslohn liegt bei 250 bis 300 Euro. Seit Ende des Kosovo-Krieges 1999, als Nato-Luftangriffe den serbischen Autokraten Slobodan Milosevic in die Knie zwangen, flossen allein in den Mini-Staat Kosovo mit seinen 1,8 Millionen Einwohnern rund vier Milliarden Euro an internationalen Hilfsgeldern.

Doch noch immer sind Bildungs- und Gesundheitssystem marode, die Arbeitslosenquote liegt offiziell bei 28 Prozent, bei jungen Leuten sogar bei 50 Prozent.

Die Wirtschaft wächst zwar mittlerweile jährlich um beachtliche vier Prozent. Allerdings ist das Ausgangsniveau extrem niedrig; schon als Teil Jugoslawiens war die Region kaum industrialisiert.

Der Kosovo, das Armenhaus des Balkans

Und dann die Energieversorgung: Der Strom fließt leidlich stabil – doch wenn der Wind schlecht steht, sorgt das prähistorische Kohlekraftwerk vor den Toren Pristinas für eine Dunst- und Rußglocke, die selbst Peking als Luftkurort erscheinen lässt. Politisch ist die Lage ohnehin fragil. Der Kosovo hat sich 2008 für unabhängig erklärt – doch noch immer müssen Nato-Truppen im Rahmen der KFOR-Mission den brüchigen Frieden zwischen Kosovo-Albanern und der serbischen Minderheit sichern.

Deutsch lernen mit Donald Duck

Es sind daher Geschichten wie die von Ramadan Kurti und Jehona Shala, die zumindest ein wenig Hoffnung machen. Kurti, 27, kommt aus der Stadt Mitrovica im Norden des Landes. Während des Krieges war das Gelände rund um sein Elternhaus mit Tretminen verseucht; die Eltern verboten dem Jungen, draußen zu spielen. Kurti vertrieb sich die Zeit daraufhin am Fernsehen, genauer: mit deutschen Zeichentrickserien auf Super RTL. Auf diese etwas unorthodoxe Weise lernte der Junge Deutsch. Später studierte er die Sprache anderthalb Jahre an der Universität, jobbte in den Semesterferien in einem Münchner Hotel und fand schließlich einen Job in einem Callcenter in Pristina.

Nach Schulungen durch das Dimak und ausgerüstet mit einem väterlichen Kredit machte er sich vor Kurzem selbstständig. Kurti führt nun zusammen mit einem Partner sein eigenes Callcenter in Mitrovica, Auftraggeber ist unter anderem ein deutscher Hundefutterhersteller. Das junge Unternehmen hat fünf Mitarbeiter eingestellt und die, so Kurti, „sind allesamt Rückkehrer aus Deutschland“. Dass er im Kosovo bleibt, steht für den jungen Mann außer Frage.

Ramadan Kurti führt nun zusammen mit einem Partner sein eigenes Callcenter in Mitrovica. Quelle: Thomas Imo

Bei Jehona Shala, 30, war das nicht immer so klar. „Ich war ohne Job und ohne Perspektive, ich habe überlegt zu gehen“, sagt sie. Es kam anders – auch Shala hat jetzt ihre eigene kleine Firma. QRAP Foods ging im Februar an den Start, nach dem sich Shala bei einem Start-up-Wettbewerb für Frauen durchgesetzt hatte. Die GIZ half beim Business Plan und organisierte im Rahmen eines Patenprogramms professionelle Beratung; der kosovarische Staat zahlte eine Starthilfe von 3000 Euro.

Deutsche Unternehmen strecken ihre Fühler aus

Jetzt arbeitet Shala zwar „von sieben Uhr bis sieben Uhr“, doch sie sprüht vor Energie. Ihre Geschäftsidee: Das im Kosovo beliebte Maismehl, das auf den Märkten unter hygienisch fragwürdigen Umständen aus offenen Säcken verkauft wird, stellt sie selber her und verpackt es in handliche Portionen, das Päckchen kostet 80 Cent. In ihrem Heimatort in der Nähe von Mitrovica „verkaufen mittlerweile 90 Prozent der Lebensmittelgeschäfte mein Produkt“, sagt sie stolz. Kürzlich hat sie ihren ersten Mitarbeiter eingestellt.

Sicher: Kurti und Shala sind Einzelfälle. Fakt ist aber, dass sich trotz aller ökonomischen und sozialen Probleme im Kosovo nicht alles schlecht entwickelt. Die Inflation ist mit zwei Prozent niedrig. Auslandskosovaren betätigen sich zunehmend als Investor in ihrer Heimat und haben bereits über 8000 Jobs geschaffen. Weil viele Kosovaren Deutsch sprechen – während des Krieges lebte gut ein Viertel der Bevölkerung vorübergehend als Flüchtling in Deutschland – strecken auch andere deutsche Unternehmen vorsichtig ihre Fühler aus, etwa aus der Textilindustrie.

Die Autobahn, die von der albanischen Grenze nach Prizren und Pristina führt, ist in besserem Zustand als Teile der deutschen A8. Überall entlang der Strecke wachsen kleine Häuser aus rotem Stein aus dem Boden, so genannte Bruderhäuser, die Väter nach alter Tradition ihren Söhnen bauen. Auch in der Hauptstadt Pristina wird an vielen Ecken gehämmert und gebaut. Die Stadt ist ein Hort sozialistischer Betonarchitektur und schnell hochgezogener Zweckbauten; sie wuchert an ihren Rändern immer weiter die umliegenden Hügel hinauf. Aber es kommen langsam auch trendige Cafés, Restaurants, und moderne Büro- und Firmengebäude hinzu.

"Im Kosovo lebt die jüngste Gesellschaft Europas"

„Der Kosovo ist ein Staat in der Pubertät: Es läuft noch manches schief, aber insgesamt geht es wirtschaftlich langsam bergauf“, sagt der deutsche Politikberater Michael Sauer. Der Mann muss es wissen, er sitzt sozusagen an der Quelle: Sauer hat ein 16-Quadratmeter Büro im Arbeitsministerium des Kosovo und soll dort unter anderem Kooperationsprojekte mit der deutschen Wirtschaft anschieben. Ganz frisch ist ein Deal mit der bayrischen Bauinnung, deren Betriebe im kommenden Herbst rund 20 Azubis aus dem Kosovo einstellen wollen. Die Kosten für die vorgeschalteten Sprachkurse teilen sich Innung, GIZ und das kosovarische Arbeitsministerium.

Für Sauer hat der überwiegend muslimische Kosovo einen zentralen Vorteil: „Hier lebt die jüngste Gesellschaft Europas“. Nirgendwo sonst auf dem Kontinent ist die Geburtenrate so hoch, 44 Prozent der Einwohner sind jünger als 25 Jahre. Wer in Pristina auf dem Mutter-Theresa-Boulevard zur Nationalbibliothek schlendert, sieht überwiegend junge Menschen. Dass ständig neue Absolventen auf den Arbeitsmarkt drängen, belastet zwar den heimischen Arbeitsmarkt und macht die Re-Integration zurückkehrender Flüchtlinge nicht leichter.

Allerdings entkräftet es auch die Kritik, das reiche Deutschland schicke mittellose Flüchtlinge zurück und sauge im Gegenzug begehrte Fachkräfte ab. „Das Brain-Drain-Problem gibt es hier kaum“, glaubt Sauer. Insgesamt reisten 2016 bereits 5000 Kosovaren mit einem offiziellen Arbeitsvisum nach Deutschland ein.

Wer in Pristina auf dem Mutter-Theresa-Boulevard zur Nationalbibliothek schlendert, sieht überwiegend junge Menschen. Quelle: Thomas Imo

Politisch vermint ist die Migrationsfrage dennoch. Der Ausreisewelle nach Deutschland 2015 sah die Regierung des Kosovo lange tatenlos zu – auch aus ökonomischem Kalkül. Die Diaspora ist für das Land ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Im Kosovo gehen rund 16 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf Heimatüberweisungen der Auslandskosovaren zurück, für deren Belange die Regierung in Pristina ein eigenes „Diaspora-Ministerium“ eingerichtet hat. Gut ein Drittel der Haushalte halten sich nur durch Geld aus dem Ausland über Wasser, ohne die Überweisungen von Freunden und Verwandten würden sie unter die Armutsgrenze rutschen.

"Wir warten hier nicht auf die Polizei“

Wer ins Ausland geht und Geld nach Hause schickt, nimmt für die Politik somit gehörig Druck aus dem Kessel. Erst als die deutsche Seite klar machte, die Ausreisewelle sei für die vom Kosovo herbeigesehnte Visafreiheit nicht hilfreich, ging die Regierung in Pristina gegen Schlepper und Busunternehmen vor, die sich mit Flüchtlingstransporten die Taschen füllten.

Flucht – davon kann auch Endri Hametaj viel erzählen. Der 17-jährige Albaner sitzt mit 20 Schülern in einem frisch renovierten Klassenraum vor einem Monitor, auf dem Lehrplan steht IT und das Jahr 2015 ist weit weg. Damals verließen seine Eltern mit ihm das Land und beantragten in Deutschland politisches Asyl. Sechs Monate lebte die Familien in Sangerhausen in Sachsen-Anhalt. „Als unser Asylantrag abgelehnt wurde, hat mein Vater sofort gesagt: Wir gehen zurück. Wir warten hier nicht auf die Polizei“, erinnert sich Endri.

Von Flucht kann auch Endri Hametaj viel erzählen. Jetzt besucht er die Berufsschule in Kamza, einem heruntergekommenen Vorort von Tirana.

Jetzt besucht der Junge die Berufsschule in Kamza, einem heruntergekommenen Vorort von Tirana. In der 150.000-Einwohner-Stadt stranden viele Menschen aus dem armen Norden des Landes, in den vergangenen Jahren war die Stadt für viele auch Durchgangsstation für den Weg in den Westen. Wohl nicht ohne Kalkül ist hier mit deutscher Unterstützung die größte Berufsschule Albaniens entstanden. 1600 Schüler werden in IT, Landwirtschaft, Pflege, Gastronomie und Automechanik ausgebildet. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat die Kooperation gerade bis 2019 verlängert und stellt sechs Millionen Euro bereit.

Größte Berufsschule Albaniens: 1600 Schüler werden in IT, Landwirtschaft, Pflege, Gastronomie und Automechanik ausgebildet. Quelle: Thomas Imo

Endri will Programmierer werden. Über Deutschland weiß er nichts Schlechtes zu sagen, er ist nur traurig, dass seine ehemaligen Mitschüler nicht mehr auf seine WhatsApp-Botschaften reagieren. Wenn möglich, will der Jugendliche nach seinem Abschluss 2019 wieder raus aus Albanien, zurück nach Deutschland.

Und zwar nicht als Asylbewerber, nicht als Bittsteller, nicht als billige Hilfskraft in einer Restaurantküche. Sondern als Informatikstudent an einer Universität.

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