Sie haben eine Möglichkeit vergessen: Die Schulden könnten per Inflation gedrückt werden.
Ich habe 2008 in einem Gastkommentar vorgeschlagen, die Inflation anzuheizen, um die Schuldenlast zu senken. Eine Inflationsrate von vier oder fünf Prozent wäre für die Euro-Zone ideal gewesen und hätte den Ländern mehr Spielraum gegeben. Diese Theorie ist ja auch keine neue Erfindung. Es ist eine Legende, dass die USA und Großbritannien etwa ihre Schulden aus dem Zweiten Weltkrieg durch Wachstum finanziert haben. Das ist nicht wahr. Wachstum spielte eine Rolle, aber nicht nur. Vielmehr haben die Notenbanken die Geldmenge erhöht und Banken und Pensionsfonds wurden gezwungen, Zinsen unterhalb der Inflationsmarke anzubieten. Aber zurück zu Europa: Ich glaube, eine höhere Inflation hätte der Euro-Zone vieles erspart.
In Deutschland sieht man das traditionell anders. Hier gibt es – allein schon aufgrund der Geschichte – eine spürbare Angst vor der Geldentwertung.
Die Deutschen sollten sich viel mehr Sorgen über Deflation machen. Die Risiken einer Deflation – erste Anzeichen für dauerhaft fallende Preise in Südeuropa sollte man Ernst nehmen – sind viel größer und würden deutlich mehr Schaden anrichten, als steigende Preise. Es wird in der Euro-Zone keine große Inflation geben. Ich glaube, dass viele Menschen nicht wissen, dass die deutsche Hyperinflation von 1923 untypisch ist. Hyperinflation entsteht nicht wie damals innerhalb von wenigen Monaten, sondern langsam, über einen Zeitraum von vielen Jahren. Es gibt also viel Zeit, zu reagieren, wenn es inflationäre Tendenzen geben sollte. Aber noch mal: Die wird es auf absehbare Zeit nicht geben. Es gibt in diesem Punkt keinerlei Risiko.
Die Folgen der EZB-Niedrigzinspolitik
Werden die Zinsen künstlich abgesenkt, so verringert sich der Reformdruck auf Regierungen und Banken, ihre Haushalte beziehungsweise Bilanzen zu verbessern.
Ein künstlich tief gehaltener Zins verhindert, dass unprofitable Investitionsprojekte also Fehlinvestitionen aufrecht und befördert werden.
Künstlich tiefe Zinsen lösen (inflationäre) Spekulationswellen aus, führen zu „Boom-and-Bust“-Zyklen: überhitzte Situationen, in denen, wenn niemand mehr bereit ist, Kredite zu finanzieren, alles in sich zusammenbricht.
Künstlich niedrig gehaltene Zinsen befördern die Schuldenwirtschaft, insbesondere die der Staaten und der Bankenindustrie.
EZB-Präsident Mario Draghi soll in einem Interview von einer „perversen Angst“ der Deutschen vor Inflation gesprochen habe. Stimmen Sie dem zu?
Die Erfahrungen mit der Geldentwertung haben die deutsche Mentalität geprägt. Die Sorgen muss man Ernst nehmen und wir müssen versuchen, die Ängste mit guten Argumenten auszuräumen. Pervers ist diese Haltung sicher nicht.
Also sollte die EZB stärker denn je ihre Gelddruckmaschine anwerfen?
Die Inflation sollte höher sein, ja, das würde helfen. Aber anders als 2008 wird es nicht reichen, die Schulden wegzuinflationieren. Dazu sind die Defizite der Staaten zu sprunghaft gestiegen. Die Option von 2008 ist größtenteils erloschen. Um die Lage heute zu verbessern, braucht es einen Mix aus Maßnahmen, etwa ein bisschen höhere Inflation, ein Umstrukturierung der Schulden und Wachstumsprogramme.
Gehört dazu auch eine Strafsteuer für Sparer, die Sie in Ihrer Studie mit Carmen Reinhart für den Internationalen Währungsfonds erwähnt haben?
Nein, das wurde falsch interpretiert. Zunächst mal sind die erwähnten Maßnahmen in der Studie eine Auflistung von Möglichkeiten, die zur Verfügung stehen, keine Forderungen. Zweitens haben Carmen Reinhart und ich nicht von einer grenzüberschreitenden Steuer für Sparer gesprochen. Es geht nicht darum, deutsche Kleinsparer für die Rettung Griechenlands zur Kasse zu bitten. Wir haben vielmehr den Vorschlag des IWF aufgegriffen, eine nationale Reichensteuer in den Krisenländern einzuführen.