Halbwegs gesund und ausgeglichen essen, für nur fünf Euro pro Tag, für vier Personen und drei bis vier Mahlzeiten. Dieser Herausforderung unterzogen sich die beiden spanischen Blogger Jorge Guitian und Anna Mayer im Juni zehn Tage lang – und hatten sicher nicht mit einem so großen Echo gerechnet. Mehr als 3600 Spaniern gefällt die Seite „5eurosaldia“ bisher auf Facebook, mehr als 900.000 Einträge bekamen die sparsamen Köche bei Twitter, und es werden jeden Tag mehr.
Das Experiment von Jorge und Anna ist nur ein Beispiel dafür, wie Spanien sich in der Krise wandelt – teils zum Guten, teils zum Schlechten. Das Land, seine Wirtschaft, seine Gesellschaft befinden sich in einer erzwungenen Schrumpfkur. Der Staat kürzt Ausgaben, auch und gerade in so sensiblen Bereichen wie dem Gesundheits- oder Bildungssektor.
Firmen verkaufen Aktiva, kürzen Gehälter und entlassen Mitarbeiter, um sich zu entschulden. Haushalte sehen ihre Einnahmen im Zuge der Rekordarbeitslosigkeit von 27 Prozent sowie sinkenden Gehältern schrumpfen. Viele fürchten zudem täglich, die Nachricht von der bevorstehenden Entlassung im Briefkasten vorzufinden.
Nicht wenige Familien sind am Ende ihrer Kräfte angelangt. Mittlerweile ist fast jedes dritte Kind in Spanien laut Unicef arm. Spanische Lehrer berichten von Kindern, die in der Schule den Mülleimer nach Essbarem durchsuchen, oder in der Klasse zusammenbrechen weil sie lange nichts gessen haben. Solche längst überwunden geglaubten Probleme führen gleichzeitig zu einem neuen Bewußtsein.
„Es ist Zeit unsere Ressourcen wieder besser einzusetzen, effizienter einzukaufen und die Nahrungsmittel klug zu verwalten“, schreibt Jorge Guitian in seinem Blog. Auf seinem Menü standen zehn Tage lang viele Hülsenfrüchte und Früchte der Saison, Gazpacho, Tortilla, etwas Fisch und Fleisch, auch die Tasse Kaffee morgens zum Toast mit Olivenöl fehlte nicht. So will er den vielen Familien, die derzeit mit sehr wenig Geld auskommen müssen, einen Leitfaden für eine gesunde und billige Ernährung geben.
Sichtbar wird die Schrumpfpolitik auch im Gesundheitssystem. So haben illegale Immigranten, die während des Booms aus Lateinamerika oder Afrika nach Spanien strömten und teilweise seit vielen Jahren ohne Papiere im Land leben, oftmals schwarz als Hausangestellte oder Handwerker arbeiten, keinen Anspruch auf Gesundheitsversorgung mehr.
Bildungsreform wird endlich umgesetzt
In Madrid und Katalonien müssen Patienten viele Monate, sogar Jahre auf kompliziertere Untersuchungen oder Operationen warten. Eine Gruppe von Autoren warnte unlängst im British Medical Journal, dass die Kürzungsmaßnahmen wie in Griechenland zu einer Zunahme von Aids und Tuberkolose führen könnten, das Risiko von Resistenzen gegenüber Medikamenten erhöhen.
Dabei waren Spaniens Gesundheitsausgaben vor der Krise nicht hoch. 2010 verschlang das Gesundheitssystem sieben Prozent an öffentlichen Mitteln, damit liegt Spanien unterhalb des europäischen Durchschnitts von 7,6 Prozent.
Stark spürbar ist der krisenbedingte staatliche Geiz auch für Studenten. In der Region Madrid könnten 4500 Studenten an den sechs öffentlichen Universitäten ihren Studienplatz verlieren. Sie haben bisher die Studiengebühren nicht bezahlt, welche die Regionalregierung letztes Jahr um nicht weniger als 38 Prozent erhöhte.
„Wir haben drastische Fälle, von Studenten die kommen und uns erzählen dass ihr Vater arbeitslos ist und dass sie die Gebühren nicht bezahlen können“, berichtet José Luis García Grinda, Vizerektor an der Politechnischen Universität von Madrid. Die Universitäten versuchen jetzt, mit Hilfe von Mäzenen Hilfsfonds für bedürftige Studenten einzurichten.
Gleichzeitig ist die spanische Regierung immerhin dabei, längst überfällige Reformen im Bildungssystem einzuleiten. Eine Reformgesetz, über das derzeit noch im spanischen Parlament gestritten wird, soll erstmals eine Art Realschulabschluss einführen.
Derzeit haben nur 65 Prozent der Spanier zwischen 25 und 34 einen sekundären Schulabschluss geschafft. Der OECD-Durchschnitt liegt bei 82 Prozent.
Die Berufsausbildung, die bisher sehr theorielastig und schlecht angesehen ist, wurde letztes Jahr um einen dualen Zweig nach deutschem Modell erweitert und soll generell stark ausgebaut werden. So will die Regierung mittelfristig dafür sorgen, dass weniger junge Leute an die Universitäten streben. Derzeit gibt es in Spanien nur rund 270000 Berufsschüler, aber 1,5 Millionen Studenten, die es zunehmend schwer haben nach dem Studium einen Job zu finden.