Bundeskanzlerin Angela Merkels Verhältnis zum scheidenden britischen Premier David Cameron sei so gewesen, wie das einer strengen Tante zu ihrem aufmüpfigen Neffen, hieß es gelegentlich. Mit Theresa May, die am morgigen Mittwochabend als neue Premierministerin Großbritanniens in die 10 Downing Street einzieht wird das ganz anders – aber deshalb nicht unbedingt einfacher.
Denn wenn sich Merkel und May demnächst als Regierungschefinnen begegnen, wird es vor allem um ein Thema gehen: den Ausstieg der Briten aus der EU. Obwohl May selbst offiziell für einen Verbleib in der EU geworben hatte, überwog in ihren Äußerungen über die EU in der Vergangenheit doch oft die Skepsis. Und sie hat versprochen, das Ergebnis des Referendums ohne Wenn und Aber umzusetzen. „Brexit bedeutet Brexit und ich werde daraus einen Erfolg machen“, betonte May am Montag kurz nachdem ihre einzige Rivalin Andrea Leadsom aus dem Rennen um das höchste Regierungsamt ausgeschieden war.
Erst in den nächsten Wochen, ja vielleicht Monaten, wird Mays Verhandlungsstrategie deutlicher werden. Doch sie wird mit harten Bandagen kämpfen, denn wie Tory-Veteran Kenneth Clarke neulich in einem scheinbar unbeobachteten Moment bemerkte: „Theresa ist eine verdammt schwierige Frau. Aber wir haben ja schließlich auch mit (Margaret) Thatcher zusammengearbeitet“.
Theresa May wird neue Premierministerin
Gegen May war zum Schluss nur noch eine einzige Konkurrentin bei den Konservativen im Rennen: Energie-Staatssekretärin Andrea Leadsom. Die zog sich aber am Montag plötzlich aus dem Rennen um die Nachfolge Camerons zurück. Ihre Begründung: Das Land brauche rasch eine neue Führung und keinen langen Wahlkampf vor einer Urwahl der Parteibasis. Noch am späten Nachmittag wurde May offiziell zur Chefin der Konservativen Partei ernannt.
Die Referenzen der 59-Jährigen sind ausgezeichnet: Die seit 2010 amtierende Innenministerin in zwei Cameron-Kabinetten verantwortet schwierige Themen wie Einwanderung und Terrorabwehr. Mitarbeiter beschreiben sie als kompetent, freundlich und sehr ehrgeizig. Damit stehen die Zeichen für eine Einigung der zerstrittenen Tories gut. May will die Rolle der Versöhnerin übernehmen.
Nein. May möchte als Premierministerin sicherstellen, dass Großbritannien die EU verlässt. Es soll keine Versuche geben, „durch die Hintertür“ doch in der Union zu bleiben. „Brexit bedeutet Brexit - und wir werden einen Erfolg daraus machen“, betonte sie. May plädierte während des Brexit-Wahlkampfs für den Verbleib in der EU - aber das tat sie derart diplomatisch geschickt, dass es kaum auffiel.
Viel schneller als gedacht - an diesem Mittwoch. Cameron hatte nach seiner Niederlage beim Brexit-Referendum seinen Rücktritt erst für September in Aussicht gestellt. Am Montagnachmittag kündigte er nun an, dass seine letzte Kabinettssitzung schon an diesem Dienstag sein werde - und er am Mittwoch Königin Elizabeth II. seinen Rücktritt anbieten wolle. Die Queen ist derzeit nicht in London und kommt erst Mittwoch wieder. Nur sie kann Cameron entlassen - eine reine Formsache.
Hier zeichnet sich ein Hauen und Stechen ab. Parteichef Jeremy Corbyn weigert sich zu gehen. Doch jetzt hat sich die Abgeordnete Angela Eagle bereit erklärt, den 67-Jährigen in einer Urwahl der Parteibasis herauszufordern. Doch das ist ein Risiko, Corbyn wurde erst im September 2015 von der Basis an die Macht gewählt, mit rund 60 Prozent der Stimmen. Der Altlinke Corbyn kann nach wie vor auf breite Unterstützung der Basis hoffen.
Merkel und May verbindet allerdings eine kühle von Rationalität geleitete Herangehensweise an politische Probleme, die Vorliebe für eine analytische und möglichst emotionslose Strategie. Beide haben auch eine soziale Ader, als Pfarrerstöchter wurde ihr weltanschauliches Fundament von christlichem Gedankengut geprägt. „Wir brauchen eine positive Vision für die Zukunft unseres Landes, die allen zugutekommen soll, nicht nur den wenigen Privilegierten,“ erklärte May am Montag. Es müsse um die Gemeinschaft gehen, nicht nur um Finanzmärkte und Individuen. May sprach sich dafür aus, den Aktionären verbindliche Rechte bei der Festlegung von Managergehältern einzuräumen um Gehaltsexzesse zu vermeiden und sie plädierte für mehr Diversifikation bei der Zusammensetzung von Aufsichtsräten. Und dann borgte sie sich auch noch eine Idee aus Deutschland: künftig sollten die Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten von Großunternehmen repräsentiert sein. Die Britin, die im Gegensatz zu Merkel die Homo-Ehe befürwortet hatte sich schon früh dafür eingesetzt, die Tory-Partei zu modernisieren: "Wir leben im 21. Jahrhundert und dürfen nicht den Fünfzigerjahren nachweinen."
May war nicht immer in der Politik tätig
Wie Merkel hat auch May früher einen Beruf außerhalb der Politik ausgeübt: die studierte Geographin hatte einst bei der Bank of England gearbeitet und sie ist eine unnahbare, ehrgeizige Politikerin, die Intrigen hasst, diszipliniert arbeitet und nur wenige Menschen an sich heranlässt. Wie Joachim Sauer ist Philip May ein zurückhaltender Politikergatte, den die Öffentlichkeit bis vor Kurzem nie zu Gesicht bekam. Das änderte sich mit einem Schlag, nachdem May, sich entschlossen hatte, um das Amt des Regierungschefs zu kämpfen. Die nüchterne Politikerin, mit 59 Jahren zehn Jahre älter als der bisherige Amtsinhaber Cameron, hatte ihre Privatsphäre bis dato streng abgeschirmt. Doch am ersten Juli-Wochenende lud sie „Daily Mail“, das Leib- und Magenblatt der britischen Mittelschicht, zur Homestory ein. Und siehe da, es menschelte: plötzlich war Philip May, ein freundlich lächelnder Banker im Bild, gemeinsam mit Theresa saß er auf einem bieder wirkenden Sofa mit groß geblümelten Kissen, im Hintergrund ein Klavier. Theresa erzählte von ihrer umfangreichen Kochbuchsammlung und wie sie in Oxford bei einer Tanzveranstaltung der Konservativen Partei durch die Vermittlung der späteren pakistanischen Premierministerin Benazir Bhutto den Studenten Philip May kennenlernte, mit dem sie inzwischen seit 35 Jahren verheiratet ist. Doch nun wird das Ehepaar das malerische Dorf Sonning-on-Thames, wo auch der Schauspieler George Clooney und seine Frau Amal leben, in Kürze verlassen.
May betont, sie werde den Artikel 50 des Lissabon-Vertrages, der die Austrittsverhandlungen aktiviert, als Premierministerin frühestens Ende des Jahres aktivieren, denn im Vorfeld wolle sie sich Klarheit über die eigene britische Position verschaffen.
Ob dies so bleiben wird, nachdem sie nun viel früher als Regierungschefin antritt als zunächst erwartet ist bisher noch unklar – so wie die meisten anderen Dinge auch. Doch steht zu erwarten, dass Großbritannien nach dem Prinzip „teile und herrsche“ versuchen wird in bilateralen Gesprächen einen Keil zwischen die EU-Länder zu treiben. May selbst sprach schon davon, sie werde auf jeden Fall darauf dringen, die besten Konditionen für Großbritannien herauszuschlagen.
Auf deutscher Seite pocht man allerdings darauf, auf derartige Spielchen lasse man sich keinesfalls ein. So oder so wird es schwierig werden, denn May weigert sich bereits, den EU-Ausländern, die heute in Großbritannien leben, automatische Aufenthaltsrechte einzuräumen. Die Freizügigkeit in der EU ist ihr ein Dorn im Auge, für die Eindämmung des Sozialtourismus kämpft sie schon lange. Doch gleichzeitig will sie erreichen, dass Großbritannien den Zugang zum Binnenmarkt behält, und sie macht sich auch für den Finanzplatz London stark. Deshalb müsse bei den Austrittverhandlungen sichergestellt werden, dass die City ihre Passporting-Rechte nicht verliere, fordert sie.
Probleme beim Drücken der Nettoeinwanderungszahlen
Seit 1997 ist May Abgeordnete und hatte danach mehrere Positionen im Tory-Schattenkabinett inne, 2010 hat sie Cameron dann zur Innenministerin ernannt, bislang ein Posten, der im Vereinigten Königreich als absoluter Karrierekiller galt. Doch May hat die meisten Herausforderungen mit Bravour gemeistert.
Ihrer Hartnäckigkeit ist es etwa zu verdanken, dass der palästinensische Hassprediger Abu Qatada nach jahrelangem juristischem Streit ausgewiesen wurde. Den letzten großen Terroranschlag in Großbritannien gab es 2005. Die Olympischen Spiele 2012 waren vorbildlich organisiert. Doch in einem Punkt versagte sie: anders als von Cameron versprochen, schaffte sie es nicht, die Nettoeinwanderungszahlen unter 100.000 zu drücken. 2015 waren sie sogar drei Mal so hoch, eine Tatsache die die United Kingdom Independence Party (UKIP) gnadenlos ausschlachtete und mit zum Sieg der Leave-Kampagne beigetragen hat.
Was die Innenpolitik angeht ist sie ein absoluter Hardliner, May wird von den Rechten wegen ihrer Law-and-Order-Politik geschätzt und von den Linken gehasst. Sie verteidigt die umstrittenen Abhörpraktiken des britischen Geheimdienstes GCHQ, der eng mit der NSA kooperiert. Sie setzt sich für die Kündigung der Europäischen Menschenrechtskonvention ein. Auf ihre Initiative hin verabschiedete sich Großbritannien 2013 aus dem EU-Abkommen im Bereich Justiz und Strafverfolgung.
Im Sommer 2014 machte die Ministerin dann ausnahmsweise aus privaten Gründen Schlagzeilen: Sie gab bekannt, dass sie an Diabetes leidet. Sie werde sich bis ans Lebensende mehrmals täglich Insulin spritzen müssen, das aber werde ihre Schaffenskraft nicht beeinträchtigen. Die Botschaft sollte sein: Auch mit einer chronischen Krankheit kann man Premierministerin werden. Zumal wenn man wie May durch Disziplin und Härte besticht. Es ist aber längst nicht gesagt, dass nach ihrem Amtsantritt wieder Ruhe in der britischen Politik eintritt. May wird die in der Europafrage tief gespaltene Tory-Partei wieder einen müssen, gleichzeitig dürften Labour und die Liberaldemokraten auf baldige Neuwahlen drängen. Denn sie betrachten die Ernennung der ehemaligen Innenministerin zur Regierungschefin als schlicht undemokratisch.