Für die Väter des Euro war es ein simples Konzept: Eine Währung, ein Markt. So lancierten sie parallel zur Einführung des Euros 1999 einen Aktionsplan für Finanzdienstleistungen, der zu einem einheitlichen europäischen Finanzmarkt führen sollte. Hindernisse, die Banken und andere Finanzmarktakteure zuvor hinderten, im EU-Ausland aktiv zu werden, wurden aus dem Weg geräumt. Die Integration zeigte Wirkung: So näherten sich etwa die Zinssätze stark an, zu denen Unternehmen und Privatpersonen in der Eurozone Kredite erhielten. Doch die Finanz- und die Schuldenkrise haben die bisher erzielten Fortschritte beinahe ausradiert.
An diesem Mittwoch sitzen die Finanzminister der EU in Brüssel beisammen, um gemeinsame Kapitalvorgaben für die europäischen Banken zu beraten. Finanzminister Wolfgang Schäuble machte schon vor Sitzungsbeginn alle Hoffnungen zunichte, dass sich die 27 Minister heute auf gemeinsame Regeln verständigen werden. Zu tief sind die Meinungsunterschiede bei dem für die Reform der Finanzmärkte grundlegenden Thema.
Der Streit um die Kapitalvorgaben, bekannt als Basel III oder CRD IV, der sehr vehement geführt wird, unterstreicht, wie sehr Europas Finanzmarkt gerade wieder in nationale Einheiten auseinander driftet. Mehrere Länder verlangen Spielraum, um ihren Instituten deutlich strengere Vorgaben zu machen – was der Idee von gemeinsamen Regeln widerspricht.
Ein gemeinsamer europäischer Finanzmarkt? Das war einmal. Vergangene Woche hatten die Europäische Zentralbank (EZB) und die EU-Kommission in zwei gleichzeitig veröffentlichen Analysen bereits laut gewarnt, wie deutlich der europäische Finanzmarkt vor der Spaltung steht. Die EZB spricht von einer „ausgeprägten Verschlechterung der Integration der europäischen Finanzmärkte“ und von einer „wachsenden Marktfragmentierung“. Die EU-Kommission beurteilt die Lage ganz ähnlich und beobachtet mit Sorge, wie sich Banken auf ihre Heimatmärkte zurückziehen.
Die fatalen Folgen der EZB-Geldspritze
Als Auslöser für den Besorgnis erregenden Trend werden die Finanz- und Schuldenkrise genannt. Seit 2008 verlangen die Banken systematisch höhere Zinsen, wenn sie ausländischen Instituten Geld leihen als bei inländischen Instituten. Gleichzeitig haben Finanzinstitutionen massiv Anleihen aus dem EU-Ausland abgestoßen, sind aus Staatsanleihen von Peripherie-Staaten ausgestiegen. Auch bei Unternehmensanleihen gibt es Anzeichen für eine Renationalisierung der Bestände.
Besonders beunruhigend ist allerdings: Das Gegenmittel, die Geldspritze der EZB, die die Folgen der Verwerfungen auf den Finanzmärkten abmildern soll, verstärkt die Tendenz zur Renationalisierung sogar noch. Die Drei-Jahreskredite mit einem Volumen von 1,3 Milliarden Euro, mit denen die EZB den Markt stabilisieren wollte, haben dazu geführt, dass Banken verstärkt nationale Staatsanleihen erworben haben. Nach Berechnungen von Barclays Capital haben spanische Banken im März für 15 bis 20 Milliarden Euro Staatsanleihen gekauft. Italienische Banken haben ihren Bestand an heimischen Staatsanleihen im Februar um eine ähnliche Größenordnung aufgestockt auf 323,9 Milliarden Euro. Vor der Intervention im November lag der Bestand bei den italienischen Banken nur bei 177,9 Milliarden Euro.
Die EZB hatte den Markt seit Dezember zwei Mal geflutet, weil sie so nicht nur auf mehr Stabilität hoffte, sondern weil sie eine Kreditklemme vermeiden wollte. Vor allem in Südeuropa bestand die Gefahr, dass die klammen Banken mit einer äußerst restriktiven Kreditvergabe die Realwirtschaft bremsen könnten. Mit diesem Ziel ist die EZB gescheitert, wie aktuelle Daten zeigen. Im März ging die Kreditvergabe an Unternehmen in Spanien im Jahresvergleich um 5,4 Prozent zurück, In Griechenland um 4,8 Prozent, in Italien um 0,9 Prozent. In Deutschland, Österreich und Frankreich nahmen die Kredite an die Realwirtschaft verglichen mit dem Vorjahr dagegen zu. Auch hier zeigt sich, dass die Währungsunion zerfällt. In Südeuropa ist den Banken sichtlich daran gelegen, mit Staatsanleihen Geschäfte zu machen, nicht aber Kredite zu vergeben, die die Realwirtschaft stützen würden.
Mehr Integration statt Abschottung
Die EZB warnt in ihrem Bericht sogar, dass die Desintegration des EU-Finanzmarkts die Geldpolitik erschwert. Die „homogene Übertragung“ von Zinssignalen in die Mitgliedsländer der Eurozone werde verhindert.
Die EU-Kommission kommt in ihrer Analyse zur Schlussfolgerung: „Mehr und nicht weniger Finanzmarktintegration ist notwendig, um die aktuelle und künftige Krisen zu überwinden und nachhaltiges Wachstum zu erreichen.“ Sie betont beispielsweise, dass in einem wirklich integrierten europäischen Finanzmarkt ausländische Banken leichter angeschlagene Institute in anderen Ländern übernehmen könnten, so dass der Steuerzahler seltener einspringen müsste.
Dabei wäre ein integrierter europäischer Finanzmarkt notwendig für Wachstum in Europa. Zu diesem Resultat kommen diverse Studien. Der italienische Ökonom und EZB-Berater Ignazio Angeloni sieht in der Entwicklung einen Grund zur Sorge: „Eine Währungsunion kann ohne Finanzmarktintegration nicht überleben.“ Doch im Moment ist nicht absehbar, wie sich Europa wieder in Richtung stärkerer Finanzmarktintegration bewegen wird.