Kurzum, Pikettys Buch hört nach zwei erschöpfenden Lesetagen exakt da auf, wo es anfinge, spannend zu werden. Übrigens auch ökonomisch: Wie lange dauert die Niedrigzinsphase noch? Haben es nicht gerade heute Kapitaleinkommen besonders schwer, sich zu vermehren? Zu welchen Anteilen verdankt sich die Zunahme der Ungleichheit in welchen Ländern besonders hohen Kapitaleinkünften und sprunghaft gestiegenen Managergehältern? Und was, wenn der kreditaufgeschäumte Pumpkapitalismus demnächst (endlich) zusammenbricht und große Vermögen ausradiert? Nichts dazu bei Piketty.
Eine Debatte auf beklagenswertem Niveau
Man hätte die ganze Sache damit auf sich beruhen lassen können. Pikettys Arbeit ist hilfreich. Sie illustriert das bekannte Problem der Ungleichheit. Aber natürlich "beweist" sie nichts, weil es im Zusammenleben der Menschen nun mal keine unumstößlichen "Gesetze" gibt. Schon gar nicht beweist Piketty, ob Paul Krugman gegenwartspolitisch die richtigen Argumente auf seiner Seite hat. Und erst recht nicht gibt Piketty eine Antwort darauf, warum unter welchen Umständen welche Ungleichheit problematisch ist. Doch leider ist die Piketty-Debatte damit nicht beendet. Leider ist sie seither erst richtig losgegangen. Und leider auf beklagenswertem Niveau. Und so geht die Geschichte der Piketty-Debatte weiter:
5. Piketty wird von "konservativ-liberalen" Vertretern der klassischen Wirtschaftstheorie für seine Weltformel kritisiert. Aber nicht etwa dafür, dass es prinzipiell unmöglich ist, eine Weltformel aufzustellen. (Natürlich nicht, denn die primitiven Weltformeln, an die man selber glaubt, lauten: "Markt schlägt Staat", "Der Mensch denkt nutzenorientiert", "Wettbewerb und Eigennutz fördern Handel, Harmonie und Wohlstand" usw.) Sondern nur dafür, dass seine, Pikettys, (als "links" eingeschätzte) Weltformel falsch ist. Das Argument geht so: Wenn Piketty aus seiner Formel "r >g" schließt, dass die Reichen immer reicher würden, dann sitze er einem logischen Irrtum auf. Denn dass die Reichen immer reicher würden, wäre schließlich nur dann der Fall, wenn die Menschen ewig lebten. Natürlich ist das kompletter Unsinn. Denn Piketty geht es ja eben darum, dass verebbarer Reichtum die meritokratischen Grundlagen unserer westlichen Gemeinwesen zerstört, weil sich arbeitslos verwaltete Millionen-Vermögen über Generationen hinweg schneller wachsen als Wirtschaft und Lohneinkommen. Anders gesagt: Pikettys Formel aus methodischen Vorbehalten und grundsätzlichen Erwägungen heraus abzulehnen, ist das Eine. Den von ihm diagnostizierten Trend in Frage zu stellen, aber ist etwas ganz anderes. Offenbar gibt es immer noch Forscher und Politiker, die ignorieren wollen, dass es eine Zunahme von Ungleichheit gibt. Ihre Kritik an Piketty ist noch absurder als das Lob seiner Apologeten.
6. Wenn aber Piketty unterstellt wird, er habe nicht nur falsche Daten herangezogen, um aus ihnen die falschen Schlüsse zu ziehen, sondern er, Piketty, habe Daten mit der Absicht frisiert, um sie politisch zu instrumentalisieren, dann hieße das: Piketty ist am Ende dieser Debatte eine akademische Leiche oder seine schärfsten Kritiker sind es. Noch wahrscheinlich aber ist, dass am Ende beide Seiten blamiert dastehen. Piketty hat auf die Kritik von Gilbert Giles, Chefökonom der Financial Times, bereits reagiert: "Ich habe keinen Zweifel, dass meine historischen Daten verbessert werden können und verbessert werden", so Piketty, allein an seinen "Schlussfolgerungen" ändere das nichts. Gut gekontert, möchte man meinen. Doch im Grunde ist Piketty mit seinem Eingeständnis erledigt. Er hat der zunfttypischen Versuchung nicht widerstehen können, aus Daten ein "historisches Gesetz" ableiten zu wollen, statt aus "historischen Daten" einen Trend herauszulesen - und damit seine Schlussfolgerungen diskreditiert.