Ökonomen blicken mit Sorge auf die Pläne der Europäischen Zentralbank (EZB), den Geschäftsbanken in großem Umfang Schrottpapiere abzukaufen. „Das gibt Anlass zu schlimmsten Befürchtungen. Die EZB bewegt sich immer schneller auf einer abschüssigen Bahn, sagte der Präsident des Münchner Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn, dem Handelsblatt (Online-Ausgabe).
Er habe erwartet, dass die EZB ihr Aufkaufprogramm zunächst nur auf Papiere hoher Bonität beschränke, um erst einmal das Eis für solche Aktionen zu brechen. „Dass es dabei bleiben würde, hielt ich aber für unwahrscheinlich angesichts der Not, in der sich viele Banken Südeuropas befinden“, sagte Sinn weiter. „Sie können dem Druck der Wirtschaftsprüfer, Bilanzwahrheit herzustellen, nicht mehr allzu lange standhalten.“
Daher erscheine es plausibel, dass es so kommen würde, wie bei der Pfänderpolitik, wo die EZB sukzessive zu schlechteren Qualitäten übergegangen sei und zum Schluss „reinen Investitionsschrott akzeptiert“ habe. „Nun war ich aber doch überrascht, dass die die EZB die Standards für die Bonität der aufzukaufenden Papiere schon von Anfang an so reduzieren will, dass auch die griechischen und zyprischen Banken ihre Papiere loswerden.“
Aus Sicht des Finanzmarktexperten Bert Van Roosebeke vom Centrum für Europäische Politik (CEP) in Freiburg riskiert die EZB mit dem Kauf von Kreditverbriefungen (ABS) finanzielle Verluste und Interessenkonflikte. Die ABS-Käufe hätten nur dann einen Effekt, wenn die Zentralbank riskantere Papiere aufkaufe, sonst fehlten die Masse und die Eigenkapitalfreisetzung in den Bankenbilanzen. „Das Risiko ist hoch“, warnte Van Roosebeke im Gespräch mit dem Handelsblatt (Online-Ausgabe). „Die EZB kauft Papiere, die sie noch nicht mal als vorgelagerte Sicherheit bei der Kreditaufnahme von Banken akzeptiert.“
Der CEP-Experte gab zudem zu bedenken, dass die EZB Geldpolitik und Bankenaufsicht gleichermaßen verantworte. „Es ist fraglich, wie die EZB die Kreditvergabe von Banken im ABS-Markt neutral prüfen kann, wenn der Markt zu einem wichtigen Element der EZB-Geldpolitik wird.“
Mehrfache Verstöße gegen EU-Recht
Die EZB wollte heute die mit Spannung erwarteten Details ihres Ankaufprogramms für Kreditverbriefungen und Pfandbriefe bekanntgeben. Laut einem Medienbericht will die Notenbankführung dabei auch Ramsch-Papiere aus Griechenland und Zypern kaufen. Dies könnte den seit Jahren schwelenden Konflikt zwischen der EZB und der Bundesbank zusätzlich anheizen. Bundesbank-Präsident Jens Weidmann lehnt das gesamte Kaufprogramm ab, weil er fürchtet, dass die EZB dadurch zu große Risiken auf ihre Bilanz nimmt. EZB-Präsident Mario Draghi will mit dem Programm erreichen, dass die Banken wieder mehr Kredite vergeben.
2014 – ein heikles Jahr für die EZB
In gebührendem Abstand zu den Bankentürmen im Westend entsteht in Frankfurt das neue Hauptquartier der EZB. Wann genau die Notenbanker dort einziehen werden, ist noch nicht klar - geplant ist aber 2014. Die EZB bleibt aber auch im Frankfurter Euro-Tower. Hier werden die Bankenaufseher untergebracht. Geldpolitiker und Aufseher sollen also nach den Umzügen nicht unter einem Dach arbeiten - Interessenskonflikte sollen so auf ein Minimum reduziert werden.
Sabine Lautenschläger ist anstelle von Jörg Asmussen ins EZB-Direktorium eingezogen. Ebenfalls neu ist Lettlands Zentralbankchef Ilmars Rimsevics. Lettland ist das 18. Land, das den Euro eingeführt hat.
Lautenschläger, Rimsevics und die anderen Notenbanker müssen sich an eine neue Offenheit der EZB gewöhnen. Die Zentralbank könnte schon bald wie etwa die Federal Reserve in den USA Protokolle oder zumindest schriftliche Zusammenfassungen der Sitzungen des EZB-Rats publik machen.
Draghi will dem EZB-Rat dazu schon bald einen konkreten Vorschlag machen. Umstritten ist, wie genau sich die Öffentlichkeit künftig ein Bild vom Abstimmungsverhalten der einzelnen Notenbanker machen kann.
Die EZB geht mit einem rekordniedrigen Leitzins ins Jahr 2014: Seit November können sich die Geschäftsbanken bei ihr für 0,25 Prozent Zinsen refinanzieren. Zudem hat der EZB-Rat beschlossen, dass die Institute noch bis mindestens Mitte des übernächsten Jahres so viel Liquidität bekommen, wie sie bei der EZB abrufen - ohne Obergrenze. Damit ist das Finanzsystem zwar geschützt gegen Liquiditätsengpässe, doch stockt der Kreditfluss in den besonders krisengeplagten Ländern Südeuropas.
Zudem ist die Inflation in der Eurozone aus Sicht der Notenbanker zu niedrig. Die Zentralbanker betonen seit der letzten Zinssenkung, dass sie noch zahlreiche Pfeile im Köcher haben. Dazu gehören unter anderem weitere milliardenschwere Geldspritzen, um die Banken flüssig zu halten, sowie ein Strafzins für Banken, die Gelder lieber bei der EZB parken, als sie an Unternehmen und Haushalte als Kredit weiterzureichen.
Wenn die EZB wie geplant im November 2014 die Oberaufsicht über die Banken der Währungsunion übernimmt, hat sie zumindest die 128 größten Institute bereits auf Herz und Nieren geprüft. Denn in den nächsten Monaten steht der größte Gesundheitscheck der Branche auf dem Programm, den es je gegeben hat.
Ziel der EZB ist es, die Banken möglichst besenrein, also ohne schlummernde Altlasten in den Bilanzen, zu übernehmen.
Nach Einschätzung des Londoner Europarechtlers Gunnar Beck verstößt die EZB mit ihrem ABS-Kaufprogramm in mehrfacher Hinsicht gegen EU-Recht. Zwar dürfe die EZB grundsätzlich Wertpapiere und Euro-Forderungen auch von Banken aufkaufen, aber nur über den Kapitalmarkt zu Marktpreisen, zu geldpolitschen Zwecken und gemäß dem „Vorsichtsprinzip“ nur gegen ausreichende Sicherheiten, sagte Beck dem Handelsblatt (Online-Ausgabe). Bei Ramschpapieren sei dies nicht der Fall. „Damit geht die EZB erhebliche Kreditausfall- und Verlustrisiken ein, die sie den privaten Geschäftsbanken abnimmt.“