Zum Tod von Daniel Kahneman Von denkfaulen Gehirnen und der Macht des Bauchgefühls

Daniel Kahneman Quelle: imago images

Der Nobelpreisträger Daniel Kahneman ist im Alter von 90 Jahren gestorben. Der Princeton-Professor war ein Pionier der Verhaltensökonomie. Diese drei zentralen Einsichten hat er uns vermittelt.

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Kann man den Ökonomie-Nobelpreis erhalten, ohne ein Ökonom zu sein? In Ausnahmefällen ja, wie das Beispiel Daniel Kahneman zeigt. Der in Tel Aviv geborene Wissenschaftler studierte Psychologie und Mathematik in Jerusalem und arbeitete unter anderem als Psychologe für die israelische Armee, bevor es ihn an große amerikanische Universitäten zog. Nun ist Kahneman im Alter von 90 Jahren gestorben.

2002 erhielt er zusammen mit dem US-Ökonomen Vernon Smith den Alfred Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften für seine „Prospect Theory“, mit der er einen wichtigen Grundstein für die heute boomende Verhaltensökonomie gelegt hatte. Darin beerdigt er wissenschaftlich das kühl seinen Nutzen maximierende und rationale Entscheidungen treffende Individuum – und setzt an dessen Stelle einen sprunghaften Typus Mensch mit oft verzerrter Wahrnehmung, der lieber auf Intuition als auf Fakten und Abwägung setzt.

„Kahnemans Einsichten zu beschränkter Rationalität, Verlustaversion oder unserem Glücksempfinden waren gleichermaßen revolutionär und produktiv und haben viele Forscher inspiriert“, sagt der Bonner Verhaltensökonom Armin Falk. „Die Konfrontation traditioneller Annahmen über menschliches Verhalten mit empirischen, vor allem experimentellen Befunden war für viele Forscher eine echte Befreiung.“

Eine Übersicht, über die zentralen Einsichten und Annahmen Kahnemans:

1. Der Homo Oeconomicus ist tot

Der kühl kalkulierende und über vollständige Information verfügende Nutzenmaximierer war in der Nationalökonomie traditionell die Grundlage vieler Modelle, um wirtschaftliche Zusammenhänge theoretisch zu analysieren. Kahneman wies in Experimenten nach, dass Menschen irrational und aus Kostengesichtspunkten auch unwirtschaftlich und zu ihrem eigenen Nachteil agieren können.

Kahneman nennt dies „kognitive Verzerrung“. Diese äußert sich zum Beispiel in einer „Verlustaversion“: Was man einmal besitzt, möchte man nicht wieder hergeben, und die Angst vor Verlust überlagert bei Entscheidungsfindungen in der Regel den Wunsch nach Gewinn.

2. Das menschliche Gehirn ist faul

In seinem bekanntesten Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“ aus dem Jahr 2012 beschreibt Kahneman zwei konkurrierende kognitive Systeme im menschlichen Gehirn. Das schnelle System arbeitet mit Heuristiken: Bestimmte Entscheidungen werden nach einem eingeübten mentalen Muster schnell, automatisch und ohne längeres Grübeln oder willentliche Steuerung getroffen. Wirtschaftliche Handlungen erfolgen mithin intuitiv und emotional, sozusagen „aus dem Bauch heraus“, ohne über alle relevanten Informationen zu verfügen.

System 2 arbeitet langsamer, reflektierter und logischer. Das Zusammenspiel der beiden Systeme entscheidet schließlich über unsere Handlungen. Und da System 1 oft dominiert, kommt es zwangsläufig zu Fehlentscheidungen. Kahneman drückt es so aus: „Ein zuverlässiges Mittel, um Menschen an Unwahrheiten glauben zu lassen, ist die häufige Wiederholung. Denn Vertrautheit ist nicht leicht von Wahrheit zu unterscheiden.“

3. Der Zufall hat Macht über Entscheidungen

2021 brachte Kahneman zusammen mit Olivier Sibony und dem für sein „Nudging“-Konzept bekannt gewordenen Verhaltensökonomen Cass Sunstein ein Buch heraus mit dem schlichten Titel: „Noise“. Der „Lärm“, den die Autoren hier meinen, ist die starke Relevanz variierender Rahmenbedingungen für unsere Urteile, die dazu führen, dass Menschen einen identischen Sachverhalt völlig unterschiedlich einordnen und bewerten.

Das einfachste Beispiel dafür sind Lehrer, die eine Klausurarbeit unterschiedlich benoten. Verhaltensökonomische Experimente haben aber auch gezeigt, dass das Wetter die Urteile von Richtern beeinflussen kann. Oder dass zufällig ausgewählte Versicherungsexperten denselben Versicherungsfall unterschiedlich bewerten – und zwar in einem weit größeren Ausmaß als angenommen.

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