Occupy-Vordenker Saez „Wir sind die 99 Prozent“

Er gilt als wissenschaftlicher Unterbau der Occupy-Bewegung: Emmanuel Saez hat die ungleiche Verteilung des Reichtums in den USA haargenau analysiert und offengelegt. Und räumte dabei mit Mythen der Steuerpolitik auf.

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Emmanuel Saez auf dem Campus der Uni Berkeley. Quelle: MacArthur Foundation

New York Ohne Emmanuel Saez gäbe es "Occupy Wall Street" wohl nicht. Schließlich war es der Ökonom aus Kalifornien, der als Erster nachwies, wie stark die Einkommen der reichsten Amerikaner im Vergleich zum Rest der Bevölkerung steigen. Das Ergebnis verstörte selbst Konservative - und legte die Grundlage für den Slogan "Wir sind die 99 Prozent!".

"Ich unterstütze diese Proteste eindeutig", sagt Berkeley-Forscher Saez. Das "Wall Street Journal" bezeichnete ihn einmal als "Rockstar der intellektuellen Linken". Doch ein politischer Polemiker ist der 39-Jährige nicht, sondern ein akribischer Steuerexperte, der über ideologische Grenzen hinweg respektiert wird.

Es ist Saez zu verdanken, dass Verteilungsfragen in der Ökonomie wieder populär sind. Um die Messung von Einkommens- und Vermögensunterschieden geht es dabei - und um Steuersysteme, die umverteilen, ohne Leistungsanreize zu zerstören. "Saez war die wichtigste Persönlichkeit, die dieser Forschungsrichtung neues Leben eingehaucht hat", urteilte die US-Ökonomenvereinigung AEA, als sie ihm 2009 die John-Bates-Clark-Medaille verlieh - für Ökonomen die wichtigste Auszeichnung nach dem Nobelpreis.

Saez ist nicht nur Ideengeber der Occupy-Bewegung, auch die Obama-Regierung hört auf ihn: Seine Forschung lieferte die Argumente für den Plan, die Steuervorteile für Reiche aus der Bush-Ära rückgängig zu machen und die Einkünfte von Hedge-Fonds-Managern nicht länger zu begünstigen. "Seine Arbeit hat mein Denken geprägt und hatte einen großen Einfluss auf das Budget des Präsidenten", sagt Barack Obamas erster Budgetdirektor Peter Orszag.

Zu Kopf gestiegen ist Saez der ganze Erfolg nicht, im Gegenteil: Wenn der im französischen Biarritz aufgewachsene Ökonom mal auftritt, dann auf Fachkonferenzen und ganz unprätentiös: Er trägt Pullover und Jeans, verschränkt beim Sprechen schüchtern die Arme. Wo andere längst auf Selbstvermarktung setzen würden, konzentriert er sich auf die Forschung.

In einer ganzen Serie von Forschungsprojekten - viele davon zusammen mit namhaften Kollegen wie Peter Diamond, dem Nobelpreisträger von 2010 - zeigte er, wie Amerikas Geldelite den Reichtum abschöpft. So wies er nach, dass in den sechs Jahren vor der Finanzkrise das reichste Prozent der Haushalte zwei Drittel der Einkommenszuwächse für sich verbucht hatte. Gefährlich sei das, findet Saez, denn wenn Einkommen und Vermögen so konzentriert seien, verkruste das die Gesellschaft und hindere Ärmere am sozialen Aufstieg.


Reiche kommen schneller aus der Krise

Zwar verloren die Reichen während der großen Rezession überdurchschnittlich, zeigt Saez. Doch holten sie sofort wieder auf: Als das Einkommen der Amerikaner 2010 im Schnitt um 2,3 Prozent stieg, lag das praktisch allein an den Zugewinnen der Superreichen. "Dieser ungleichgewichtige Aufschwung erklärt den Unmut auf den Straßen", sagt Saez.

Die Occupy-Proteste findet er wichtig, um Druck auf die Politik auszuüben, endlich die Steuern anzuheben. Denn Saez glaubt nachweisen zu können, dass niedrige Steuern für Spitzenverdiener nicht so positive Auswirkungen auf das Wohl einer Ökonomie haben, wie von der amerikanischen Rechten behauptet. "Es gibt keinen Zusammenhang zwischen Kürzungen der Spitzensteuersätze und dem Wirtschaftswachstum", ergab seine Analyse mit Daten aus 18 Ländern und 30 Jahren. Saez empfiehlt den USA daher Spitzensteuersätze von 83 Prozent.

Unumstritten ist seine Forschung natürlich nicht: Alan Reynolds vom konservativen Cato Institute etwa wirft ihm vor, völlig zu unterschätzen, wie sensibel die Menschen auf die Höhe ihrer Abgaben reagieren und wie leicht sie die Lust an Leistung verlieren.

Dabei behauptet Saez gar nicht, dass den Reichen Steuererhöhungen egal sind. Eine seiner Studien über den Zusammenhang von Steuerhöhe und dem Wohnort von Spitzenfußballern ergab ganz im Gegenteil, dass viele Topverdiener schnell bereit sind umzuziehen, wenn sie dadurch Steuern sparen. Er sieht das aber nicht als Argument für die Senkung von Steuern, sondern für deren internationale Harmonisierung.

Für Saez selbst jedenfalls ist Geld nicht das entscheidende Kriterium für die Wahl der eigenen Wirkungsstätte. Schließlich hat der Forscher zuletzt gleich mehrere Angebote anderer Hochschulen abgelehnt, etwa aus Harvard und Chicago. Der Grund ist einfach: Saez ist passionierter Surfer, und die Westküste ist nun einmal ein Paradies für Wellenreiter.

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