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Marktforscher prognostizieren dem elektronischen Handel zwischen KI-Agenten in den kommenden Jahren Milliardenumsätze. Foto: AP

Agentische KIWenn KI das Bezahlen übernimmt

Ihr Assistent kauft ein, während Sie schlafen. Klingt nach Science-Fiction? Es ist die nächste Evolutionsstufe des digitalen Handels – und wirft Fragen auf.Thomas Kuhn 31.12.2025 - 13:06 Uhr

Es ist drei Uhr morgens. Sie liegen im Bett und schlafen tief, während Ihr digitaler Helfer im Hintergrund arbeitet. Er hat Ihre Vorgaben gespeichert: „Buche die günstigste Geschäftsreise im Januar, Direktflug bevorzugt, Hotel mit WLAN und Frühstück unter 120 Euro pro Nacht.“ Während Sie träumen, vergleicht er Flugpreise, prüft Hotelbewertungen, kalkuliert die Gesamtkosten – und bezahlt. Keine Website, keine Kreditkartendaten, kein Klick. Sekunden später liegt die Buchungsbestätigung in Ihrem Postfach. Willkommen in der Welt der Agentic Payments, einer Entwicklung, die private Einkäufe wie den geschäftlichen Alltag ebenso verändern könnte wie das Fundament des Finanzwesens.

„Agentic AI“: Der Begriff beschreibt eine neue Generation von KI-Systemen, die nicht nur auf Befehle reagieren, sondern eigenständig handeln können – innerhalb klar definierter Grenzen. „Agentic Payments stehen für den Übergang von regelbasierter Automatisierung zu echter Autonomie“, sagt Enrico Köhler, Experte für Zahlungsverkehr bei Kiwi Consulting, einer Tochter des Beratungshauses und IT-Dienstleisters Adesso. „Der Unterschied sieht subtil aus, ist aber entscheidend: Automatisierung führt Befehle aus, Autonomie entscheidet selbst, ob, wann und wie eine Zahlung sinnvoll ist.“

Die wirtschaftlichen Aussichten sind enorm. Die Fachleute der Unternehmensberatung BCG etwa prognostizieren in ihrem Global Payments Report, dass „Agentic AI in naher Zukunft mehr als die Hälfte aller Online-Käufe beeinflussen wird“. Und die Berater von McKinsey kalkulieren, dass der Agentic Commerce – bei dem KI-Agenten im Namen der Menschen einkaufen, verhandeln und Transaktionen ausführen – bis 2030 weltweit zwischen drei und fünf Billionen Dollar Umsatz generieren könnte.

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Die Verheißung jedenfalls ist groß: mehr Bequemlichkeit, weniger Reibung, dazu ein Plus an Transparenz. Denn ein KI-Agent kann nicht nur Preise vergleichen, sondern auch versteckte Gebühren erkennen, Rabatte nutzen und den besten Zahlungsweg wählen – Dinge, die Menschen oft übersehen.

Doch der Traum vom unsichtbaren Checkout hat einen Haken: Es fehlt an allgemein verfügbaren und vor allem akzeptierten Standards, die festlegen, wie solche Zahlungen sicher, nachvollziehbar und rechtsverbindlich abgewickelt werden. Damit Agentic Payments aus der Nische herauskommen und Teil des persönlichen und unternehmerischen Alltags werden, braucht es mehr als technische Machbarkeit. Es braucht sichere, rechtskonforme und allgemein verfügbare Standards, die von Banken, Händlern und Regulierungsbehörden gleichermaßen akzeptiert werden.

Das kommende Jahr, davon sind Fachleute überzeugt, wird daher auch zum Prüfstein für den Erfolg der digitalen Bezahlagenten. „Die Einführung von Agentic Payments ist weniger ein IT-Projekt als eine Governance-Aufgabe“, betont Zahlungsexperte Köhler im Firmenblog. „Sie erfordert neue Formen von Aufsicht, Audit und Verantwortung.“ Bisher aber fehle „ein gemeinsamer europäischer Regulierungsrahmen, der Haftung, Kontrolle und Transparenz festlegt“. Ohne verbindliche Regeln, das zeichnet sich ab, wird Agentic Commerce nicht skalieren, bleibt die Vision vom autonomen Bezahlen ein Experiment und agentisches Bezahlen ein Flickenteppich aus Pilotprojekten.

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Und an denen mangelt es nicht. Die großen Technologieunternehmen haben längst ihre Konzepte vorgestellt, arbeiten an Technologien, um den KI-Agenten das Verhandeln, Bezahlen und Kassieren beizubringen. OpenAI etwa, bekannt als Entwickler von ChatGPT, und Stripe, einer der weltweit größten Zahlungsdienstleister, wollen mit dem Agentic Commerce Protocol (ACP) einen universellen Standard schaffen, der Zahlungen an digitale Assistenten delegierbar macht. Erste Tests des „Instant Checkout“ genannten Dienstes laufen bereits – etwa in den USA, wo Einkäufe direkt aus ChatGPT bezahlt werden können, ohne dass der Kunde eine Website besucht.

Der Digitalkonzern Google verfolgt einen noch umfassenderen Ansatz. Sein Mitte September 2025 vorgestelltes Agent Payments Protocol (AP2) soll nicht nur Zahlungen auslösen, sondern auch die Zusammenarbeit mehrerer Agenten ermöglichen – etwa wenn ein Reiseagent mit einem Zahlungsagenten und einem Compliance-Agenten interagiert.

Visa und Mastercard wiederum setzen ihren Schwerpunkt auf Vertrauen. Ihre Konzepte – bei Mastercard der Dienst Agent Pay, bei Visa das Trusted Agent Protocol – sollen sicherstellen, dass jede Transaktion eindeutig einem autorisierten digitalen Akteur zugeordnet werden kann. Beide großen Kreditkartendienste verweisen jeweils auf eine Vielzahl von technologischen Partnern, mit denen sie ihre Technologien marktreif entwickeln wollen, darunter IT- und Bezahldienstleister wie Ayden, Checkout, IBM, Microsoft, Paypal, Shopify oder Worldpay. Mastercard hat bereits Pilotprojekte gestartet, die zeigen, dass autonome Kaufvorgänge technisch machbar sind.

Gedächtnisstütze für digitale Agenten

Der KI-Spezialist Anthropic schließlich, das Unternehmen hinter dem Chatbot „Claude“, adressiert ein anderes Problem: das Gedächtnis der Agenten. Mit dem Model Context Protocol (MCP) will das Unternehmen garantieren, dass digitale Helfer Absichten und Daten über mehrere Interaktionen hinweg konsistent halten. Das soll unter anderem verhindern, dass der Agent einmal hinterlegte Präferenzen beim nächsten Auftrag schon wieder vergessen hat oder sogar widersprüchliche Abschlüsse tätigt.

Doch so elegant und hilfreich das alles klingen mag, so groß sind auch die offenen Fragen und regulatorischen Fallstricke. Die europäische Zahlungsrichtlinie PSD2 und die darin verankerte Pflicht zur starken Kundenauthentifizierung basieren beispielsweise auf der Annahme, dass Transaktionen jeweils von Menschen ausgelöst werden. Bei Agentic Payments aber übernimmt die Rolle des Kunden ein KI-Agent – und das stellt die Regulierung vor ein Dilemma.

Und vor eine ganze Reihe neuer Fragen: Wer authentifiziert wen? Wer haftet bei Fehlern? Und wie lässt sich die Nachvollziehbarkeit sicherstellen, wenn Entscheidungen im Hintergrund von lernenden Systemen getroffen werden? Visa und OpenAI setzen auf digitale Schlüssel, die die anfängliche Zustimmung des Nutzers absichern. Mastercard spricht von „delegierter Verantwortung“, doch die Rechtslage kennt diesen Begriff nicht.

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Anthropic versucht, mit einem Protokoll für maschinelles Gedächtnis Transparenz zu schaffen – aber das wirft mindestens Fragen zum Datenschutz auf. Die Vereinigten Arabischen Emirate schaffen derweil sogenannte „regulatorische Green Zones“, in denen Unternehmen neue Modelle testen dürfen. In der EU hingegen müssten Gesetze wie die PSD2 angepasst werden, um delegierte Zahlungen rechtssicher zu machen.

Doch je stärker die Systeme vernetzt sind, desto größer werden die Risiken: Neue Betrugsmodelle entstehen – von manipulativen Eingaben bis zu gefälschten digitalen Identitäten. Zudem droht, ähnlich wie bei den globalen sozialen Netzwerken, womöglich eine weitere Machtkonzentration auf wenige große Anbieter, die die Regeln des neuen Ökosystems bestimmen, gibt auch Zahlungsexperte Köhler zu bedenken.

Doch ganz abgesehen von technischen Hürden, regulatorischen Unsicherheiten und möglichen neuen Cyberrisiken bleibt eine Frage, die weder Technik noch Regulierung beantworten können: Sind Menschen – egal ob als Privatperson oder als Budgetverantwortliche in Unternehmen – überhaupt bereit, der KI das eigene Portemonnaie in die Hand zu drücken? Die Technik, so viel ist klar, wird 2026 reifen. Ob das Nutzervertrauen im gleichen Maße mitwächst, ist noch völlig offen.

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