Chinas Drohungen So abhängig ist die Wirtschaft von Taiwan als Chipfabrik der Welt

Quelle: REUTERS

Mit dem Chips Act will die EU in der Chipproduktion unabhängiger werden. Wie wichtig das wäre, offenbart eine Analyse der Lieferströme in der Branche. Doch die zeigt auch: Die neue EU-Förderung wird das Problem höchstens eindämmen, aber kaum lösen.

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Am Ende der Manöver zeigte sich Chinas Militärführung sehr zufrieden. Die verschiedenen Übungen seien „erfolgreich abgeschlossen“ worden, kommentierte ein Sprecher des Militärs Mitte April die jüngsten Militärübungen der chinesischen Volksbefreiungsarmee. Drei Tage lang hatte China die Abriegelung Taiwans geübt, Angriffe auf Landziele simuliert, und scharfe Munition eingesetzt. 

Die Drohgebärde war die Reaktion auf die jüngste Auslandsreise von Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen, bei der Tsai auch in Los Angeles vom Sprecher des US-Repräsentantenhaus Kevin McCarthy empfangen wurde. Und eine deutliche Erinnerung daran, dass China die Insel als ihr Territorium betrachtet, mit der Übung habe man „die Söhne und Töchter“ des Landes an deren „heilige Verantwortung“ für die „Wiedervereinigung“ der „Provinz“ mit dem „Mutterland“ erinnern wollen. 

Sollte China bald Ernst machen, wäre nicht nur die Demokratie in Taiwan in Gefahr. Auch wirtschaftlich hätte eine solche Eskalation Folgen, gegenüber denen alle Lieferengpässe während der Coronapandemie als Kinkerlitzchen erscheinen würden.

Schichtgrafik

Eine Invasion der Insel schnitte große Teile der globalen Hightechindustrie schlagartig vom wichtigsten einzelnen Lieferanten für Halbleiter und Mikrochips ab. Schließlich steht der Inselstaat allein – obwohl er nur gerade einmal ein Zehntel so groß ist wie die Bundesrepublik – für mehr als 20 Prozent der weltweiten Produktion von Halbleitern. Die gesamte Halbleiterfertigung der Volksrepublik China zusammengenommen reicht bis heute nicht an den Chip-Ausstoß der Inselrepublik heran.

Eine Analyse der Boston Consulting Group und der weltweiten Halbleitervereinigung SIA (Semiconductor Industry Association) verdeutlicht dabei, wie es zu dieser Abhängigkeit kommen konnte. War im Jahr 1990 das Gros der globalen Halbleiterfertigung noch fast vollständig in den USA, Europa und Japan konzentriert, starteten heutzutage dominante Player wie etwa Taiwan und Südkorea in den Folgejahren vor allem dank milliardenschwerer staatlicher Förderung des Techsektors ihren Durchmarsch im Weltmarkt.

Speziell die Taiwaner profitierten dabei vom Megatrend der Branche, dass fast alle großen Chip-Marken die Produktion bestimmter Mikrochips an externe Lieferanten in sogenannte Foundries ausgelagert haben, um Kosten zu sparen und den Kapitaleinsatz in Grenzen zu halten. 

Marktanteil Chip-Auftragsfertiger

Heute haben zwei der drei weltgrößten Auftragsfertiger für Chips ihren Sitz auf der Insel im Chinesischen Meer; die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company, kurz TSMC, und der wichtigste Konkurrent UMC. Beide zusammen decken laut Hochrechnungen des Marktforschers Trendforce nahezu zwei Drittel der weltweiten Halbleiterproduktion im Kundenauftrag ab. 

Auch der Münchner Dax-Konzern Infineon etwa lässt rund ein Drittel seiner Halbleiter extern produzieren, den größten Teil davon in Taiwan, wo die Chipindustrie hoch subventioniert und so viel Geld in neue Fabriken gesteckt wird, wie nirgendwo sonst weltweit. TSMC verfügt über die technologisch fortgeschrittensten Produktionsverfahren der Welt.

Fielen die Lieferungen aus Taiwan weg, stünden in einer Vielzahl von Branchen schlagartig die Produktionsbänder still. Microcontroller von TSMC beispielsweise stecken nicht nur in so gut wie jedem Auto, das in den Fabriken westlicher Hersteller aus den Montagehallen rollt. Daneben ist auch der Techkonzern Apple einer der größten Kunden von TSMC.

„Es geht nicht nur um Industriechips, um Halbleiter“, betonte Jhy-Wey Shieh, der Repräsentant Taiwans in Deutschland, Ende 2022 im Interview mit der WirtschaftsWoche: Die Halbleiterindustrie sei auch wichtig für das Funktionieren militärischer und strategischer Ausrüstung, mahnt Shieh: „Die Europäer können es sich nicht leisten, dass Taiwan mit der gesamten Halbleiterindustrie und den Lieferketten unter die Kontrolle von China gerät.“ Die Chinesen würden daraus Erpressungspotenzial entwickeln: „Dann müssten die Deutschen und andere niederknien und betteln, um an die Komponenten von China zu kommen.“

Weltkarte

Umso mehr, als die Volksrepublik als Produktionsstandort für Halbleiter seit Jahren an Bedeutung gewinnt. Zwar fehlt den chinesischen Herstellern bis heute das Know-how zur Fertigung der leistungsfähigsten Chipgenerationen. Zudem beschränken Sanktionen der USA inzwischen den Zugriff auf westliche Produktionstechnik der jüngsten Generation
Das gilt unter anderem für den niederländischen Spezialisten für Chipfertigungstechnik ASML, zu dessen Zulieferern auch die deutschen Hightech-Unternehmen Trumpf und Zeiss gehören. Aber zumindest bei etwas weniger leistungsfähigen Mikrochips und speziell dank der immensen Nachfrage im Binnenmarkt gewinnt China als Fertigungsstandort für Halbleiter seit Jahren an Bedeutung.

Bedienten europäische Hersteller in den 1990er-Jahren noch den größten Teil der weltweiten Chipnachfrage, spielen Standorte in Europa heute in der Halbleiterproduktion nur noch eine nachgeordnete Rolle. Das, immerhin, soll sich nun wieder ändern. Bis 2030 bereits soll sich die europäische Chipproduktion nach den Vorstellungen von EU-Industriekommissar Thierry Breton vervierfachen und der Markanteil der europäischen Chipfertigung damit gegenüber heute zumindest wieder verdoppeln. Möglich machen soll das unter anderem der neue European Chips Act, auf dessen Rahmenbedingungen sich EU-Ministerrat und EU-Parlament geeinigt haben.

Ein Mix aus rund 3,3 Milliarden Euro an EU-Fördergeldern, Investitionen von Halbleiterherstellern sowie weiteren Subventionen sollen ein Gesamtinvestitionsvolumen von rund 43 Milliarden Euro für den Aufbau neuer Halbleiterfabriken in Europa ergeben. Ein Teil des Geldes dürfte in den bereits angekündigten, derzeit aber stockenden Bau von zwei neuen Fabriken des Intel-Konzerns bei Magdeburg fließen. Selbst Taiwans Chipgigant TSMC prüft angeblich seit 2021 Standorte für eine Halbleiterproduktion in Deutschland.

„Der EU Chips Act ist überfällig und muss jetzt schnellstmöglich Wirkung entfalten“, sagt etwa Achim Berg, Präsident des ITK-Verbands Bitkom. Die USA haben mit ihrem Chips and Science Act bereits im Sommer 2022 vorgelegt und Fördermittel von 52,7 Milliarden Dollar frei gemacht. „Europa ist vergleichsweise spät dran und wirft weniger in die Waagschale. Umso wichtiger ist, dass wir bei der Umsetzung des Chips Act keine Zeit verlieren“, kommentiert Berg.

Weltweiter Umsatz mit Mikrochips

Denn angesichts der fortschreitenden Digitalisierung aller Geschäfts- und Alltagsprozesse ist nicht absehbar, dass die Nachfrage nach Mikroprozessoren, Speicherchips, Sensorik oder anderen Halbleiterbausteinen in Zukunft sinkt. Inzwischen hat sich die Branche auch wieder von den gravierenden Lieferengpässen während der Coronapandemie erholt und neue Umsatzrekorde erreicht.

Wie sehr die Branche boomt, zeigt sich beim Blick auf die Entwicklung der vergangenen paar Jahre: Noch im Jahr 2016 betrugen die weltweiten Umsätze mit Chips rund 346 Milliarden Dollar. In den nur sieben Jahren seither haben die Erlöse auf mehr als 600 Milliarden Dollar zugelegt. Das entspricht einem durchschnittlichen Jahresplus von stolzen zwölf Prozent. 

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