Digitale Detektive: Machen KI und Bild-Erkennung Ladendiebstahl bald unmöglich?
Gehört Ladendiebstahl dank KI bald der Vergangenheit an?
Foto: imago imagesLadendiebstähle sind ein wachsendes Problem in Deutschland – und bescheren dem Einzelhandel schmerzhafte Verluste. Laut Polizeilicher Kriminalstatistik sind Ladendiebstähle im Jahr 2023 um fast ein Viertel auf insgesamt 426.096 Fälle gestiegen (23,6 Prozent). Im Jahr 2022 lag die Zahl bei 344.669 Fällen. Laut aktueller Studie des Handelsforschungsinstitut EHI belaufen sich die Verluste durch Diebstahl im Einzelhandel auf insgesamt 4,1 Milliarden Euro, ein Plus von 15 Prozent gegenüber den Mindereinnahmen von 3,73 Milliarden Euro im Jahr 2022. Zudem wird längst nicht jeder Ladendiebstahl angezeigt. Laut EHI bleiben jährlich etwa 24 Millionen Ladendiebstähle im Wert von je 117 Euro unentdeckt – das entspricht rund 100.000 Ladendiebstählen je Verkaufstag.
Wenig verwunderlich also, dass den Einzelhandel schon seit langem die Frage beschäftigt, wie Läden das Verschwinden von Waren am effektivsten unterbinden können. Gängige Maßnahmen sind Diebstahlschutz an den Waren, Überwachungskameras und der Einsatz von geschulten Sicherheitskräften. Zudem obliegt es dem Verkaufspersonal, aufmerksam zu sein und bei auffälligem Verhalten einzuschreiten. Allerdings können Beschäftigte im Einzelhandel das oft nicht leisten, ohne andere Aufgabenbereiche zu vernachlässigen. Schließlich liegt ihre Hauptaufgabe darin, Kunden zu beraten, Regale zu befüllen, Bestellungen und Lieferungen abzuwickeln sowie zu kassieren. Im normalen Arbeitsalltag bleibt daher nur wenig Zeit, zusätzlich noch ein Auge auf potenzielle Ladendiebe zu werfen.
Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) kann hier Abhilfe schaffen. Der estnische Anbieter von Kommunikationslösungen für Unternehmen Wildix etwa hat eine Kombination aus einem drahtlosen Kopfhörersystem und einer Cloud-Software auf den Markt gebracht, die speziell auf die Herausforderungen im Einzelhandel zugeschnitten ist. Diese intelligente, KI-gesteuerte Lösung namens x-hoppers kann mit den Überwachungskameras im Laden integriert werden, um Diebstähle zu erkennen. „Unsere KI analysiert Videodaten nach bestimmten Bewegungsmustern“, sagt Sylvia Hölzl, Chief Marketing Officer für x-hoppers. „Sobald die KI einen möglichen Ladendiebstahl erkennt, sendet das System in Echtzeit eine Benachrichtigung auf die Kopfhörer, die das Personal auf problematisches Verhalten hinweist.“
KI sendet Videoclip aufs Smartphone
Diese Benachrichtigung enthält auch den Ort des Geschehens, sodass Mitarbeiter entscheiden können, ob sie direkt eingreifen oder beispielsweise eine mündliche Warnung über die Lautsprecheranlage im Laden aussprechen möchten. Zusätzlich zu der Benachrichtigung bekommen die Beschäftigten im Laden den Videoausschnitt mit der auffälligen Bewegung in der x-hoppers-App auf ihrem Smartphone angezeigt. „Das ist wichtig, damit falsche Verdächtigungen von Kunden vermieden werden können“, sagt Hölzl.
Das System lernt zudem kontinuierlich mit. Wird fälschlicherweise eine bestimmte Bewegung als verdächtig eingestuft, wenn ein Kunde beispielsweise einen Gegenstand aus seiner Tasche herausnimmt, statt ihn darin verschwinden zu lassen, kann die KI entsprechend weitertrainiert werden und löst beim nächsten Mal keine Benachrichtigung mehr aus. Insgesamt, schätzt Hölzl, könne das System bis zu 60 Prozent der Ladendiebstähle im Einzelhandel verhindern. Mehr noch: „Man kann die KI auch dahingehend trainieren, dass sie etwa Schlangen auf den Verkaufsflächen erkennt, oder einen Kunden, der stolpert“. Dann setzt das System bei solchen Vorfällen einen Alarm an die Mitarbeiter ab.
Auch der schwedische Anbieter von netzwerkbasierten Video- und Audiolösungen für den Handel Axis Communications will dem Ladendiebstahl stärker zu Leibe rücken. Dazu hat Axis eine spezielle Softwareplattform rund um seine Videokameras etabliert: Mithilfe dieser Plattform können Anwendungen zur Diebstahlprävention, die von Axis-Partnern entwickelt wurden, direkt auf die Axis-Kameras aufgespielt und somit lokal vor Ort ausgeführt werden. „Wir stellen über unsere Videokameras gewissermaßen den Bilddatenstrom zu Verfügung, den unsere Partner dann weiternutzen und auswerten“, sagt Thorsten Grimm, Key Account Manager und Handelsexperte von Axis in München.
KI überwacht Selbstbedienungskassen
Der in Salzburg ansässige Anbieter Checklens etwa hat eine KI-basierte Lösung entwickelt, die erkennt, wenn ein Käufer ein Produkt aus dem Regal nimmt. Die Software ordnet das Produkt dem jeweiligen Käufer zu und vergleicht es beim Checkout mit den gescannten Artikeln im Warenkorb. Wenn ein Artikel fehlt, werden die Ladenmitarbeiter informiert, um potenziellen Diebstahl zu verhindern. Die KI-Videoanalyse-Software Checkscan von Checklens wird an Selbstbedienungskassen eingesetzt, um Warenverluste zu minimieren. Die über den Kassen installierten Axis-Kameras erfassen jedes gescannte oder nicht gescannte Produkt. Die KI erkennt und korrigiert alle Arten von Scanfehlern, beispielsweise nicht gescannte Artikel oder verdeckte Barcodes.
Das im belgischen Wijnegem östlich von Antwerpen beheimatete Unternehmen I-Retail Check wiederum hat eine KI-basierte Videoanalyse-Software programmiert, die erkennt, wenn Kunden versuchen, das Geschäft mit einem vollen Einkaufswagen zu verlassen, ohne zu bezahlen. Die Axis-Kameras überblicken dabei die Kassenbereiche sowie Ein- und Ausgänge des Geschäfts. Wird ein verdächtiges Verhalten durch die Software festgestellt, markiert das System das Ereignis und fordert den Kunden per Audionachricht auf, zur Kasse zurückzukehren. Gleichzeitig wird das Personal alarmiert, um einzugreifen.
Genutzt werden solche Systeme bisher allerdings meist in englischsprachigen Märkten, allen voran in Großbritannien und den USA; im Rest von Europa werden bisher erste Tests durchgeführt. „Deutsche Handelskunden sind etwas konservativer“, berichtet x-hoppers-Chefmarketier Sylvia Hölzl, „aber der hiesige Markt entwickelt sich gerade.“
Die Entwicklung könnte sich rasant beschleunigen, wenn die Geschichte von Fiona Malone, Besitzerin des Tenby Stores in der gleichnamigen Stadt Tenby im Südwesten von Wales die Runde macht. Malone hat im vergangenen Jahr das KI-basierte Kopfhörersystem x-hoppers sowie 29 Kameras eingeführt. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: „Vor der Installation von KI verloren wir rund 26.000 Pfund im Jahr durch Ladendiebstähle“, erzählt Malone laut einem britischen Zeitungsbericht. „Jetzt verlieren wir nur noch gut die Hälfte dieses Betrags – das ist eine enorme Erleichterung.“
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