Gesundheits-Apps auf Rezept „Nur per App kann man Diabetes nicht heilen“

Deutschland ist Vorreiter bei digitalen Gesundheitsanwendungen. Nicht jede App auf Rezept hält aber, was sie verspricht. Quelle: dpa

Seit eineinhalb Jahren gibt es Gesundheits-Apps auf Rezept. Doch in ersten Befragungen schneiden sie nicht gerade gut ab. Worauf es nun ankommt, damit sie Therapien wirklich verbessern.

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Wer unter Rückenschmerzen, Tinnitus oder Diabetes leidet, kann seit gut einem Jahr auch eine Therapie ganz ohne Medikamente wählen: Möglich machen dies spezielle Apps, auch digitale Gesundheitsanwendungen, kurz: Diga genannt. Seit Oktober 2020 gibt es sie für jeden Patienten der gesetzlichen Krankenkassen kostenlos auf Rezept. Damit liegt das sonst in der Digitalisierung so rückständige Deutschland ausnahmsweise mal weit vorne.

Aber was ist dieser Vorsprung wirklich wert?

Etwas mehr als ein Jahr nach dem Start der ersten Diga mehrt sich die Kritik: So sind die Apps bisher in vielen Arztpraxen noch gar nicht angekommen. Lediglich vier Prozent aller Ärzte haben bislang Rezepte für die Gesundheits-Apps ausgestellt, so die Techniker Krankenkasse (TK) in einem kürzlich vorgestellten Report.

Von 244 TK-Versicherten, die eine App verschrieben bekommen haben, nutzen immerhin 37 Prozent diese täglich. Wirklich zufrieden sind sie allerdings nicht: Zwar hat die Diga bei knapp jedem fünften Befragten die Beschwerden gelindert. Zugleich beklagt jeder Dritte, die App habe ihm nicht oder nur wenig geholfen. Bereits Anfang März monierte der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen: Von den ersten 20 zugelassenen Anwendungen konnten gerade einmal fünf ihre medizinische Wirksamkeit belegen. Die restlichen 15 werden weiterhin erprobt.

Vertrieb? Unterschätzt!

Christian Weiss, Partner des Berliner Risikokapitalgebers Heal Capital warnt im Lichte dieser ernüchternden ersten Bilanz davor, die Bemühungen um mehr Digitalisierung im Gesundheitssystem zurückzufahren. Der 100-Millionen-Euro-Fonds ist derzeit in elf Start-ups aus dem Gesundheitssektor investiert. Wichtig sei jetzt, die richtigen Schlüsse aus den Kritikpunkten zu ziehen. Hier sind in seinen Augen die Anbieter der Gesundheits-Apps ebenso gefragt wie Ärzte, Krankenkassen und die Politik. 

Die Regelung zur Verschreibung der Apps ermögliche es den Unternehmen, sich durch die gesetzliche Erstattung schnell Umsätze zu erschließen, sagt Weiss. Wie andere Digital-Start-ups auch benötige ein App-Hersteller aber dennoch ein durchdachtes Vertriebskonzept, um sein Produkt bekannt zu machen und es in die Ärzteschaft hineinzubringen. „Das ist eine Hausaufgabe, die viele Diga-Unternehmer noch nicht gelöst haben“, betont Weiss.

Auch die Ärzte seien gefordert, das Konzept der digitalen Gesundheitsanwendungen bekannt zu machen, etwa über den Kassenärztlichen Bundesverband. „Mein Eindruck ist: Grundsätzlich stehen viele Ärzte der Digitalisierung offen gegenüber – viele kennen Diga aber schlichtweg noch gar nicht, oder zumindest nicht ausreichend genug“, sagt Weiss. Ähnliches gelte für Krankenkassen, bei denen er selbst in Tests festgestellt habe, dass viele Callcenter-Mitarbeiter gar nicht wüssten, was Diga seien.

Besser mit Beratung

Und an die Politik richtet der Investor schließlich die Forderung, sie möge den Mut für Innovationen beibehalten. Es habe sich bewährt, dass die Politik den Rahmen für Diga vorgebe, die Entwicklung aber von privatwirtschaftlichen Unternehmen komme. „Die mittlerweile mehr als 30 zugelassenen Diga beweisen, wie dynamisch der Markt ist“, sagt Weiß. „Klar gibt es auch immer Rückschläge, aber es verändert sich eben auch etwas.“

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Bei der Bewertung des Diga-Nutzens mahnt Weiss mehr Augenmaß an. „Eigentlich müsste man eine Diga gegen Übergewicht mit anderen Angeboten bei Adipositas vergleichen“, so Weiss. „Viele Menschen erzielen auch mit herkömmlichen Therapien durchwachsene Ergebnisse.“ Zudem liege der wahre Wert von Gesundheits-Apps in der Kombination aus persönlichem Gespräch beim Arzt sowie gegebenenfalls einem passenden Medikament. „Nur per App kann man Diabetes nicht heilen.“

Lesen Sie auch: Gesundheits-Apps auf Rezept: Was taugt die Technik wirklich?

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