Nach zwölf Jahren bei der Marine suchte er sich einen Job bei Northrop Grumman, einem Konzern mit vielen Rüstungsaufträgen. Er gründete eine Familie, versteckte seine Seemannstätowierungen und wurde Geschäftsmann. Im November 2009 fragte ihn ein Sicherheitsberater namens Greg Hoglund, ob er interessiert sei, sich an einer Firmengründung zu beteiligen. Hoglund betrieb bereits eine Computersicherheitsfirma namens HBGary Inc. und wollte Barr mit seinem militärischen Hintergrund und seiner kryptografischen Erfahrung für eine Schwesterfirma gewinnen, die Dienstleistungen für Behörden der Regierung anbieten sollte. Dieses Unternehmen sollte HBGary Federal heißen. Barr ergriff die Chance.
Zunächst genoss er den neuen Job. Manchmal schrieb er Hoglund um halb zwei Uhr morgens, um ihm seine Einfälle mitzuteilen. Fast ein Jahr später machte er mit all diesen Ideen aber immer noch kein Geld. Inzwischen hielt er die Firma mit ihren drei Angestellten durch Social Media Training für Manager über Wasser.
Im Oktober 2010 kam die Erlösung. Barr bekam Kontakt zu Hunton & Williams, einer Anwaltskanzlei, deren Mandanten – darunter auch die US Chamber of Commerce und die Bank of America – Probleme mit bestimmten Gegenspielern hatten: Wikileaks hatte angedeutet, es säße auf einem Berg vertraulicher Daten der Bank of America. Barr und zwei andere Sicherheitsberatungsfirmen führten PowerPoint-Präsentationen vor, in denen unter anderem auch Verleumdungskampagnen gegen Journalisten vorgeschlagen wurden, die Wikileaks und Internet-Angriffe auf die Wikileaks-Web-Seite unterstützten.
Er grub seine fiktiven Facebook-Profile aus und demonstrierte, wie man die Gegner damit ausspionieren konnte, indem er Freundschaftsanfragen an die Anwälte bei Hunton & Williams schickte und damit an Informationen über ihr Privatleben kam. Die Kanzlei wirkte durchaus interessiert, aber im Januar 2011 floss immer noch kein Geld.
Barrs' Ziel: Anonymous
Dann hatte Barr eine Idee. In San Francisco würde demnächst eine Konferenz von Sicherheitsberatern stattfinden. Wenn er dort einen Vortrag darüber hielt, wie seine Schnüffelei in sozialen Netzwerken Informationen über einen geheimnisvollen Unbekannten enthüllt hatte, konnte er sich in seinem Fachgebiet profilieren und würde vielleicht endlich den ersehnten Auftrag bekommen.
Barr konnte sich kein besseres Ziel als Anonymous vorstellen. Ungefähr einen Monat zuvor, im Dezember 2010, waren die Nachrichten voll von Berichten über eine große und geheimnisvolle Hackergruppe gewesen, die die Web-Seiten von Mastercard, Paypal und Visa angegriffen hatte, als Vergeltung dafür, dass diese Firmen sich weigerten, Spenden an Wikileaks weiterzuleiten. Wikileaks hatte gerade mehrere Zehntausend geheime diplomatische Telegramme der USA veröffentlicht, und der Gründer und Leiter Julian Assange war in Großbritannien festgenommen worden.
Enthülle niemals deine Identität
Hacker war ein sehr vage definiertes Wort. Dahinter konnte ein begeisterter Programmierer oder ein Internet-Krimineller stecken. Die Mitglieder von Anonymous, die Anons, wurden oft Hacktivisten genannt – Hacker, die als Aktivisten eine Botschaft verbreiten wollten. Soweit man wusste, traten sie für absolut freien Informationsfluss ein. Angeblich hatten sie weder eine Hierarchie noch eine Leitung. Sie behaupteten, keine Gruppe zu sein, sondern „alles und nichts“. Die zutreffendste Kategorisierung war vielleicht Markenname oder Kollektiv. Die wenigen Regeln, die sie hatten, erinnerten an den Film „Fight Club“: Sprich nicht über Anonymous, enthülle nie deine wahre Identität und greif nicht die Medien an, denn die brauchen wir, um unsere Botschaften zu verbreiten.