
Niemals geht man so ganz, und für Roman Mazurenko gilt das besonders: Mazurenko starb vor einem Jahr, als ihn bei einem tragischen Unfall in Moskau ein Auto überfuhr. Aber er chattet mit seinen Freunden und seiner Mutter weiter.
Für Romans enge Freundin Eugenia Kuyda brach nach seinem Tod eine Welt zusammen. „Einen Monat lang konnte ich über nichts anderes nachdenken als Roman“, sagt sie. „Dann begannen wir, den Bot zu bauen.“ Einen Bot, der Roman digital wieder auferstehen ließ.
Kuyda hatte zwei Jahre zuvor in San Francisco ein Start-up namens Luka gegründet, das mithilfe von künstlicher Intelligenz Chatbots entwickelt: Smarte Computerprogramme, mit denen man sich per Textnachricht unterhält, Reisen bucht oder Pizza bestellt. Und wenn man Callcenter-Agenten digital rekonstruieren kann – warum nicht auch Roman?
So lernen Maschinen das Denken
Mit Kameras, Mikrofonen und Sensoren erkunden die Maschinen ihre Umwelt. Sie speichern Bilder, Töne, Sprache, Lichtverhältnisse, Wetterbedingungen, erkennen Menschen und hören Anweisungen. Alles Voraussetzungen, um etwa ein Auto autonom zu steuern.
Neuronale Netze, eine Art Nachbau des menschlichen Gehirns, analysieren und bewerten die Informationen. Sie greifen dabei auf einen internen Wissensspeicher zurück, der Milliarden Daten enthält, etwa über Personen, Orte, Produkte, und der immer weiter aufgefüllt wird. Die Software ist darauf trainiert, selbstständig Muster und Zusammenhänge bis hin zu subtilsten Merkmalen zu erkennen und so der Welt um sie herum einen Sinn zuzuordnen. Der Autopilot eines selbstfahrenden Autos würde aus dem Auftauchen lauter gelber Streifen und orangefarbener Hütchen zum Beispiel schließen, dass der Wagen sich einer Baustelle nähert.
Ist das System zu einer abschließenden Bewertung gekommen, leitet es daraus Handlungen, Entscheidungen und Empfehlungen ab - brems etwa das Auto ab. Bei sogenannten Deep Learning, der fortschrittlichsten Anwendung künstlicher Intelligenz, fließen die Erfahrungen aus den eigenen Reaktionen zurück ins System. Es lernt zum Beispiel, dass es zu abrupt gebremst hat und wird dies beim nächsten Mal anwenden.
In ihrer Trauer speiste die 29-Jährige Hunderte Textnachrichten, die Roman ihr geschickt hatte, in ihre Software ein. Dann bastelte sie mit ihren Ingenieuren daraus @Roman, einen virtuellen Wiedergänger. Kuyda begann, mit ihm zu chatten. Und was er antwortete, sagt Kuyda, klang häufig wie der echte Roman, der gestorben war.
Ein Leben nach dem Tod, davon träumen und dafür beten Menschen in aller Welt. Auch den Kontakt mit den Toten suchen sie seit jeher, in Séancen und Orakeln. Nun, in dem Zeitalter, in dem unser Leben zunehmend digital stattfindet, wollen Gründer wie Kuyda ein neues Tor ins Jenseits öffnen: In der virtuellen Realität sollen wir als Software unsterblich werden.
Seinen Geist per Chatprogramm nachzubauen ist womöglich nur der Anfang. Auch den Körper wollen Start-ups wie Forever Identity per 3-D-Scan virtuell einbalsamieren und als Avatar auferstehen lassen. Futuristen wie der Google-Chefingenieur Ray Kurzweil glauben gar, dass wir eines Tages ganze Gehirne scannen – und unser Bewusstsein auf Datenträger aufspielen.
Wahrscheinlichkeit, dass Menschen innerhalb von 20 Jahren ganz oder teilweise durch Maschinen ersetzt werden
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Quelle: Frey/Osborne
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Das Ergebnis wäre eine Welt, wie sie der Autor Jens Lubbadeh in seinem Roman „Unsterblich“ beschreibt: Da leben die Toten als Hologramme weiter. Michael Jackson gibt Konzerte, Steve Jobs stellt das iCar vor, und Helmut Schmidt regiert wieder die Bundesrepublik.
Die Toten ruhen zu lassen dürfte dann wohl aus der Mode kommen. Gründerin Kuyda baut in ihrer Chatapp Luka schon jetzt eine recht gesprächige Ahnengalerie auf: Neben @Roman chattet dort auch Prince, die Poplegende. Bald will Kuyda jedem anbieten, einen Bot seiner selbst anzulegen. Dazu chattet der Nutzer mit dem Programm, beantwortet ihm Fragen. „Die Software ahmt deine Sprachmuster nach“, sagt Kuyda, „und sie merkt sich persönliche Vorlieben.“ Bis sie so redet wie du selbst.
Start-ups wie Eternime aus den USA speisen zusätzlich Daten aus sozialen Netzwerken oder Tagebucheinträge ein. Entstehen soll ein Archiv, in dem nicht Bücher gespeichert sind, sondern Menschen.
Nur: Wozu soll das gut sein? Die Lebenden, glaubt Kuyda, fänden im Selbstgespräch mit ihrem Bot mehr zu sich selbst, könnten über ihr Dasein reflektieren – oder Freunden ermöglichen, mehr über sie zu erfahren. Es ist nicht zuletzt auch ein Geschäftsmodell. Und die Toten, verspricht etwa Forever Identity, lebten im Netz und via Datenbrille für immer weiter. Vermissen wir Oma, beamen wir sie ins Wohnzimmer. Und kommen vielleicht besser über ihren Verlust hinweg. Ein Paradies auf Erden.
Oder Dantes Fegefeuer. Die Verstorbenen lassen uns keine Ruhe mehr. Helene Fischer streift auch in 100 Jahren noch atemlos durch die Nacht. Zombies beherrschen die Primetime und gönnen neuen Generationen keine 15 Minuten Ruhm.