Work-Life-Blending: Zu viel Flexibilität kann krank machen

Regeln schaffen
Etwas grundsätzliches vorab: Es heißt Home Office, nicht Home Holiday. Wer im Home Office arbeitet, arbeitet also auch und spielt nicht den ganzen Tag mit den Kindern, plaudert mit den Nachbarn und schickt ab und an eine E-Mail. Wer sich für einen Job im Home Office entscheidet, muss also jede Menge Disziplin mitbringen. Familie und Freunde sollten sich darüber im Klaren sein, dass die Arbeitszeit für die Kontaktaufnahme tabu ist. Umgekehrt gilt aber auch: Machen Sie Pausen und pünktlich Feierabend.

Heller Arbeitsplatz – mit eigener Tür
Wer konzentriert und vor allem effektiv arbeiten möchte, der benötigt entsprechende Lichtquellen, ein angenehmes Raumklima und einen passend eingerichteten Arbeitsplatz. Torsten Lohrsträter vom Büroausstatter Haworth empfiehlt außerdem, das Office räumlich klar von den anderen Zimmern abzugrenzen, so fällt es leichter, eine Trennung zwischen Arbeit und Freizeit einzuhalten.

Funktionierende Technik
Wer effektiv arbeiten möchte, braucht auch zu Hause die passende technische Ausstattung. Ein funktionierender PC und eine stabile Internetverbindung sind ein Muss. Aber auch Möglichkeiten, so direkt und schnell wie möglich mit Kollegen und Kunden zu kommunizieren sowie Daten auszutauschen, sollten vorhanden sein. Wer sich für das Home Office entscheidet, sollte vorab gemeinsam mit dem Vorgesetzten besprechen, welche Lösung für das Unternehmen am besten geeignet ist.

Richtig sitzen
Wer falsch sitzt, kann früher oder später unter Rückenschmerzen leiden oder andere Muskel- und Skeletterkrankungen bekommen. Deshalb sollten Angestellte im Home Office nicht auf der Couch sitzen und sich acht Stunden lang über einen Laptop auf ihrem Schoß beugen. Auch im Home Office brauchen Arbeitnehmer einen vernünftigen Stuhl mit verstellbarer Sitz- und Lehnen-Höhe und einstellbarer Rückenlehne. Und: Stuhl und Schreibtisch müssen auf den eigenen Körper eingestellt werden. Der Tisch sollte sich entsprechend an der Ausrichtung des Stuhles orientieren. Wichtig ist, dass Ober- und Unterarme einen Winkel von mindestens 90 Grad bilden.

Nicht zu lange sitzen
Zu viel Sitzen ist nicht gut. Experten raten zu der ergonomischen Formel 50-25-25: 50 Prozent Sitzen, 25 Prozent Stehen und 25 Prozent Bewegung.
„Wer zu Hause arbeitet, kann schlecht mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren, dafür bleibt ausreichend Spielraum in der Gestaltung der Mittagspause“, sagt Lohrsträter. Er empfiehlt, in der Mittagspause einen ausgiebigen Spaziergang zu machen, sich bei gutem Wetter vielleicht auch auf das Fahrrad zu schwingen oder aber kleine Gymnastikübungen in den Alltag einzubauen. Während des Telefonierens mal eben aufstehen und durch die Wohnung wandern oder aber auf dem Balkon bei einer Tasse Kaffee der Kreativität freien Lauf lassen – diese Möglichkeiten sollten Mitarbeiter im Home Office unbedingt nutzen.

Gutes Klima
Die Arbeitsplatzverordnung schreibt in Büros eine relative Luftfeuchtigkeit von 50 Prozent vor. Darauf sollten Angestellte auch zuhause achten. Denn Computer, Telefon und Drucker sorgen für schlechte Luft. Und besonders im Winter trocknet die Heizungsluft das Raumklima zusätzlich aus. „Luftbefeuchter oder Pflanzen sowie Stoßlüften helfen. Außerdem sorgen die kurzen Bewegungsphasen zum Fenster dafür, dass wir der ergonomischen Formel ein Stückchen näherkommen“, sagt Lohrsträter.
Peter Tauber liegt leider falsch, wenn er twittert „Wenn Sie was ordentliches gelernt haben, brauchen Sie keine drei Minijobs.“ Und das liegt nicht daran, dass die Menschen nicht lernen wollen oder können oder sich keine Mühe geben. Es liegt an den Megatrends der Gegenwart, die immer mehr Menschen in flexible und atypische Jobs zwingen.
Die Globalisierung führt dazu, dass Unternehmen sich einem größeren Wettbewerb und damit höheren Kostendruck stellen müssen. Durch die Automatisierung verschwinden viele Jobs und neue entstehen. Beim Job-Futuromat kann jeder herausfinden, wie automatisierbar sein eigener Job heute schon ist.
Ist Ihr Job austauschbar?
Und wenn er es noch nicht ist, liegt das wahrscheinlich daran, dass der Arbeitsplatz geschützt werden soll. Denn würde man alle Jobs soweit automatisieren, wie es möglich ist, würden Hunderttausende Arbeitsplätze wegfallen – vor allem die der Menschen, die für die Vergangenheit ausgebildet wurden. Nach einer Studie von Frey & Osborne bzw. ihrer Adaption auf Deutschland wären es 42 Prozent aller Jobs, die automatisiert werden können. Eine Liste der Jobs, die besonders betroffen sind, gibt es hier.
Aber ist das so schlimm? Was für eine Gesellschaft ist es denn, in der Jobs, die besser von Maschinen erledigt werden können, trotzdem von Menschen gemacht werden. Das ist reine Beschäftigungstherapie! Stattdessen sollte der Fokus auf der Wissensarbeit liegen, auf dem, was nur der Mensch kann und nicht die Maschine.
Mitarbeiter lernen das, was Unternehmen nicht brauchen
So steigt in einer Gesellschaft, die immer weiter automatisiert wird, der Anspruch an den einzelnen Job, an den einzelnen Wissensarbeiter und der Bedarf an Wissensarbeitern steigt ebenfalls. Aber besonders was kreative und sozial-intelligente Tätigkeiten angeht, fehlt es an den richtigen Mitarbeitern, weil hier die Ausbildung versagt. Wir stehen also vor einer Situation, in der die potenziellen Mitarbeiter das gelernt haben, was die Unternehmen nicht brauchen. Gleichzeitig werden aber nicht nur in der Wissensarbeit neue Mitarbeiter benötigt, sondern auch im Dienstleistungsbereich. Und dann landen die Menschen, die zwar „was ordentliches gelernt“ haben, trotzdem in Minijobs im Dienstleistungssektor.
Viele Unternehmen versuchen, sich mit Cloud- oder Crowdworkern, virtuelle Teams, und arbeiten rund um die Uhr zu behelfen, um die Arbeitskraft der geeigneten Arbeiter so gut wie möglich zu nutzen.
Aber ist das wirklich eine nachhaltige Lösung? Ein Pro und ein Kontra.
Es gibt kein Zurück mehr, sondern nur noch ein Vorwärts, so viel ist klar. Die Arbeitswelt hat sich verändert, wir können die Zeit nicht mehr zurückdrehen, also müssen wir die Chancen nutzen, die uns die Entwicklung gegeben hat.
Dass dabei einige Menschen auf der Strecke bleiben, ist leider so. Der Staat muss die richtigen Maßnahmen ergreifen, um diese Menschen sozial abzusichern. Aber deshalb der Automatisierung einen Riegel vorzuschieben, macht Deutschland nur eine zeitlang weniger wettbewerbsfähig und verschiebt das Problem. Denn irgendwann wird die Entwicklung hin zur automatisierten und digitalisierten Produktion ihren Lauf nehmen.
Essenzielle Flexibilität für den Fortschritt
Und wenn wir die Automatisierung und die Globalisierung weiter voranschreiten lassen, dann muss sich die Arbeitswelt anpassen. Flexible Einsatzzeiten und –orte sind dafür essenziell. Wenn die Anforderungen an die Arbeitsplätze steigen, brauchen die Unternehmen qualifiziertere Arbeitskräfte. Und die sind nicht immer an einem Ort zu finden. Modelle, wie das Cloudworking sind deshalb optimal. So kann das Wissen und Potenzial von Mitarbeitern aus aller Welt genutzt werden, die auf digitalen Plattformen zusammenarbeiten.
Für die Mitarbeiter bringt das ebenfalls nur Vorteile. Sie können von zuhause und zeitlich flexibel arbeiten und so Familie und Job miteinander vereinbaren. In einer Welt, die sowieso hauptsächlich online stattfindet, ist es nur die logische Konsequenz, dass auch der Job online ist.
Kontra flexible, virtuelle Arbeit
Flexible Arbeitsverhältnisse sind nur ein Deckmantel für prekäre Arbeitsverhältnisse. Unternehmen versuchen, damit die Sozialversicherungspflicht zu umgehen und verlangen unzählige Überstunden von ihren Mitarbeitern mit dem Argument, dass ihre Arbeitszeiten ja flexibel seien.
Die flexible Arbeit führt dazu, dass Mitarbeiter immer erreichbar sind und sein wollen. Denn Cloud- und Crowdworking führt zu wachsender Konkurrenz unter den Arbeitern. Es anonymisiert die Arbeit und macht die Arbeiter so leicht ersetzbar. Wer nicht da ist, wenn es gerade Arbeit gibt, bekommt den Auftrag auch nicht. So ist eine ständige Präsenz gefordert. Gleichzeitig senkt der Konkurrenzdruck die Löhne.
Aber Cloud- und Crowdworking sind da nur die Extremformen. Das Problem beginnt schon im Unternehmen. Moderne Kommunikationstechnologien machen es erst möglich, ständig erreichbar zu sein, zuhause noch E-Mails zu beantworten und so aber eben auch mal zuhause zu bleiben, wenn es nötig ist. Die Folge: Praktisch komplettes Work-Life-Blending.
Dieser Trend kann einigen entgegenkommen, ist aber nicht die richtige Arbeitsform für viele Arbeiter. Wenn jemand das will und schätzt, kann er gerne so arbeiten. Aber von jedem Mitarbeiter plötzlich diese Flexibilität einzufordern, kann nicht die Lösung sein. Es gibt einen Grund, warum in unserer Beschleunigungsgesellschaft (Hartmut Rosa) immer mehr Überstunden gemacht werden. Sie überhaupt erst werden möglich. Aber mit den Überstunden und dem Work-Life-Blending steigen auch Krankheiten wie Burn-Out und andere psychosoziale Störungen.
Deshalb: Flexible Arbeit ist nur dann okay, wenn der Mitarbeiter das wirklich will.










