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30 bis 2030 | Philipp Herzig„SAP tritt in eine Phase der Beschleunigung ein“

Philipp Herzig, Chief AI Officer von SAP, über seine Rolle als KI-Stratege der Walldorfer – und warum Technologie besser im Verborgenen bleiben sollte.Michael Kroker 11.12.2024 - 08:39 Uhr

Philipp Herzig

Foto: Nico Kurth

WirtschaftsWoche: Herr Herzig, was genau hat Sie dazu bewogen, sich mit künstlicher Intelligenz (KI) zu beschäftigen?
Philipp Herzig: So richtig angefangen hat das während meines Studiums. Bis dahin waren Dinge wie die klassische Softwareentwicklung oder verteilte Systeme meine Steckenpferde. Meine ersten Berührungspunkte mit KI hatte ich damals noch im Bachelorstudium an der Fachhochschule Zittau-Görlitz. Da gab es einen Datenbankprofessor, dessen Klausuren über 30 Seiten hatten und daher auch ein Inhaltsverzeichnis, um sich zurechtzufinden. Wer dort eine Eins schrieb, den hat er eingeladen, in seinem kleinen Start-up mitzumachen. Damals hieß das noch Data Mining, nicht KI – selbst der Begriff Machine Learning kam erst später auf. Das ist ungefähr 15 Jahre her.

Worum genau ging es da?
Darum, für Hersteller von größeren Medizintechnikgeräten wie MRTs und CTs vorausschauende Wartung zu machen. Und zwar, indem wir durch die Analyse großer Datenmengen herausgefunden haben, dass es ein starker Indikator für den späteren Ausfall einer solchen Maschine ist, wenn sich die Anodenspannung um ein Millivolt verändert. Hat man so eine Veränderung in den Gerätedaten festgestellt, konnte man also rechtzeitig einen Techniker rausschicken, um die Maschine zu reparieren, bevor sie ausfällt. Das fand ich super spannend. Seither hat mich das Thema im Studium immer begleitet, und ich bin dort tiefer eingestiegen. Dennoch war es lange so etwas wie ein Hobby. In meinen ersten Jahren als Entwickler bei SAP habe ich mich eher mit unserer Cloud-Plattform beschäftigt.

Wann hat sich das geändert?
Zum einen haben wir bei der ersten Welle von Deep Learning vor rund zehn Jahren schon einige Algorithmen etwa zur Anomalie-Erkennung in unsere klassischen Finanzanwendungen eingebaut. Aber wirklich professionell, oder sagen wir hauptberuflich, kümmere ich mich um KI seit Anfang des Jahres.

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Und was sind jetzt Ihre Aufgaben?
Jetzt geht es darum, KI – aber insbesondere generative KI – übergreifend von Anfang bis Ende in die Geschäftsprozesse einzubauen. Meine Aufgabe besteht vor allem darin sicherzustellen, dass KI die Anwendungen besser macht und  einen echten Nutzen liefert. Dabei geht es letztlich nicht so sehr um Algorithmen. Viel wichtiger ist es, die Integration der Geschäftsprozesse voranzutreiben und dabei die Daten konsistent über die Geschäftsanwendung zusammenzubringen. Unser Unterscheidungsmerkmal besteht darin, dass die KI mit den passenden Daten gefüttert werden kann. Das wiederum schafft die Voraussetzung, damit KI wirklich von der Stange mit einem Klick einschaltbar ist und dann auch funktioniert. Das unterschätzen viele.

Inwiefern?
Viele glauben, eine bekannte KI-Ikone allein löse alle Probleme. Das Gegenteil ist der Fall:  Wenn man wirklich Produkte bauen will, die im Geschäftsprozess einen Mehrwert für den Kunden liefern, sind über die Technologie oder das Datenmodell hinaus viele weitere Punkte wichtig: Sie müssen das Produkt und die Architektur darunter verstehen und sich fragen, wie die Integration mit anderen Anwendungen funktioniert. Wie bringen Sie alle notwendigen Daten zusammen? Wie integrieren Sie die KI am Ende so in die Prozesse, dass sie maximal wertschöpfend ist und Nutzen für den Kunden bringt? Diese Dinge sind als Voraussetzungen mindestens genauso wichtig wie die zugrundeliegende KI-Technologie.

Wieso wird das in Ihren Augen unterschätzt?
Wir Informatiker neigen manchmal dazu, uns selbst zu glorifizieren und damit verbunden die vermeintlich tollen Sachen, die wir programmiert haben. Tatsächlich interessiert es die meisten Kunden nicht, wie eine Software unter der Haube gebaut ist. Deswegen predige ich meinem Team stets: Unser Job bei SAP ist es nicht, die Technologie in den Vordergrund zu stellen – im Gegenteil. Unser Job ist es, Technologie unsichtbar zu machen und dafür zu sorgen, dass das Gesamtprodukt beim Kunden einen Nutzen erzielt. Und das ist ein großer Hebel, weil man bei SAP direkt die Geschäfte von mehreren hunderttausend Unternehmen auf der ganzen Welt beeinflusst, von ganz kleinen bis zum Konzern. Wenn man das verinnerlicht hat, kann man sehr viel bewegen – und das wiederum hat mich immer an der Arbeit bei SAP fasziniert.

Sie haben Anfang des Jahres das Ziel ausgegeben, 2024 immerhin 100 neue KI-Anwendungen für SAP an den Start zu bringen. Werden Sie das schaffen?
Die haben wir schon im dritten Quartal erreicht. Dabei wurde mir zunächst vorgehalten, ich sei etwas zu unambitioniert. Das ist aber das Gute, wenn Sie als Softwareingenieur im Leben schon einiges an Anwendungen gebaut haben – dann wissen Sie nämlich: Software entwickelt sich nicht inkrementell, sondern exponentiell. Wenn Sie es schaffen, eine gute Plattform zu bauen, dann dauert es eine Weile, bis der erste konkrete Anwendungsfall funktioniert, inklusive Sicherheit und Datenschutz. Die Fertigungstiefe jeder weiteren Anwendung wird aber immer geringer, weil jede auf mehr Grundlagen darunter in der Plattform zurückgreifen kann – von der alle Anwendungen profitieren. Genau an diesem entscheidenden Punkt ist SAP bei KI jetzt.

Und wie geht es nun weiter?
SAP tritt in eine Phase der Beschleunigung ein, weil jede neue KI-Anwendung, die wir jetzt bauen, nicht mehr Monate, sondern nur noch ein paar Wochen benötigt – das Geschäft skaliert also. Daher haben wir jetzt 100 Anwendungen geschafft. Und demnächst werden wir verraten, wie viele wir im kommenden Jahr schaffen.

Erstmals kürt die WirtschaftsWoche 30 Köpfe aus Deutschland, die unser Land bis Ende dieses Jahrzehnts prägen, verändern und nach vorn bringen werden. Denn es gibt viele Menschen und Projekte, die Mut machen. Eine Übersicht aller Preisträger finden Sie hier

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