Brennender Autofrachter in der Nordsee: „Wenn so etwas erstmal ordentlich Feuer gefangen hat, können Sie das Schiff abschreiben“

Mehr als 24 Stunden nach Brandausbruch auf dem Autofrachter „Fremantle Highway“ hatte sich das Feuer soweit abgeschwächt, dass erstmals Rettungskräfte auf das havarierte Schiff gelangen konnten. Wann der Brand gelöscht werden kann, ist weiter offen.
Das Interview mit Kapitän und Versicherungsexperte Uwe-Peter Schieder wurde am 28. Juli 2023 geführt.
WirtschaftsWoche: Herr Schieder, sie haben selbst ein Kapitänspatent und kennen die Risiken von Bränden auf hoher See. Welche Chancen hat eine Crew, ein Feuer, wie jetzt auf dem Autofrachter „Fremantle Highway“ nach dem Brandausbruch noch in den Griff zu bekommen?
Uwe-Peter Schieder: Feuer auf Hoher See ist tatsächlich das Worst-Case-Scenario für eine Besatzung. Mindestens in der initialen Phase eines Brandes, auf See aber in der Regel auch deutlich länger, gibt es niemanden, der Dir hilft. Dazu kommt: Gerade auf den großen Frachtern, egal ob Containerschiffe oder Autotransporter, ist eine enorme Brandlast an Bord. Wenn da ein Feuer ausbricht, gibt es nur ein sehr kurzes Zeitfenster von zehn, vielleicht 15 Minuten, in denen eine Brandbekämpfung noch wirksam sein kann. Wenn das nicht gelingt, läuft es fast immer auf einen Großbrand und gegebenenfalls auf einen konstruktiven Totalverlust hinaus.
Ist es realistisch, einen Brand auf einem Frachter in einer Viertelstunde in den Griff zu bekommen?
Unter günstigen Umständen mag das gelingen. Je nachdem, was da brennt, wie schnell es entdeckt wird und wann es passiert. Aber in einem Fall wie jetzt vor den Niederlanden, wenn das Feuer irgendwann in der Nacht ausbricht, müssen Sie die Mannschaft größtenteils erst mal aus dem Bett bekommen. Danach kommt der Zählappell. Anschließend müssen Sie für den betroffenen Brandabschnitt den Verschlusszustand herstellen, das heißt alle Lüftungsöffnungen schließen und dann die Bereiche mit CO2 fluten, um den Sauerstoff zu verdrängen und das Feuer zu ersticken.
Und dann ist es zu spät?
Bleiben wir mal bei Autos: Die bestehen zum großen Teil aus irgendwelchen Kunststoffen, die brennbar sind, dazu kommen Schmiermittel und Treibstoffe, die ebenfalls entzündlich sind. Im Fall der „Fremantle Highway“ sind einige Tausend Autos an Bord, der größte Teil hat Benzin in den Tanks. Dazu kommen wohl noch ein paar Hundert Elektroautos. Wenn so etwas erstmal ordentlich Feuer gefangen hat und der Einsatz von CO2 nicht wirkt, dann können Sie das Schiff abschreiben.
Was können die Löschmannschaften in einem Fall wie dem Brand der „Fremantle Highway“ noch tun?
Aktuell eigentlich nur abwarten, bis das Feuer von allein kleiner wird oder sogar ganz erlischt. Solche Feuer brennen bei deutlich über 1000 Grad, da kann man keinen Menschen reinschicken. Das Schiff einfach mit Wasser zu fluten, ist auch keine Option, weil es dann umkippen könnte – mit allen Umweltrisiken durch austretendes Schweröl, Schiffsdiesel und andere Chemikalien und Brandrückstände. Faktisch beschränken sich die Maßnahmen vor allem darauf, die Außenhaut des Schiffes zu kühlen, damit das Metall nicht allzu heiß wird.
Aber das löscht den Brand doch auch nicht.
Nein, aber es soll verhindern, dass die Struktur des Schiffes durch die immense Hitze Schaden nimmt. Wird der Stahl heißer als 600 bis 700 Grad, verliert er große Teile seiner Stabilität. Im schlimmsten Fall kann dann sogar das ganze Schiff auseinanderbrechen. Beim Brand der „Felicity Ace“ im Frühjahr 2022 vor den Azoren ist genau das passiert. Nachdem das Feuer erloschen war und die Rettungsmannschaften versucht haben, das Wrack mit Schleppern zu einem Hafen zu ziehen, brach das Schiff auseinander und ging unter.

Welche Rolle fürs Brandrisiko bei den Frachtern spielen die E-Autos, die sie geladen haben?
Im aktuellen Fall der „Fremantle Highway“ sollen 500 E-Autos an Bord sein. Die Brandlast von so einem Fahrzeug ist vergleichbar mit der von Verbrennern. Das ist nicht das Problem.
Dafür gelten die Batterien der E-Mobile als deutlich schwerer zu löschen.
Das ist richtig. Es dauert länger, braucht viel mehr Wasser und der chemische Prozess, der die Batteriezellen nach einer Beschädigung erhitzt und in Brand geraten lässt, funktioniert sogar unter Sauerstoffabschluss. Das erschwert die Brandbekämpfung des Entstehungsbrandes erheblich, denn die Schiffe verfügen nicht über Löschanlagen, die viel Wasser einsetzen. Schiffe haben CO2- oder Schaumlöschanlagen. Insbesondere die CO2-Löschanlagen sind nicht schnell genug, um den Entstehungsbrand wirksam zu bekämpfen und daraus kann ein großes Problem entstehen. Aber das ist nur der eine Teil der Betrachtung.
Und der andere?
Ist das tatsächliche Entzündungsrisiko. Alle uns vorliegenden Daten zeigen, dass es keine Häufung von E-Auto-Bränden gibt. Dass tatsächlich mal eine Batterie durchgeht, passiert fast ausschließlich nach schweren Beschädigungen, etwa bei Unfällen. Damit ist ja bei einem Schiffstransport eher nicht zu rechnen. Und wenn, wie das Autohersteller inzwischen tun, die Batterie nur gering geladen ist, ist so eine Entzündung nahezu ausgeschlossen.
Dennoch sagte eine Sprecherin der niederländischen Küstenwache, dass die geladenen E-Autos die Brandbekämpfung erschwerten.
Natürlich tun sie das. Weil sie eine zusätzliche Brandlast sind. Und weil Batteriebrände anders zu löschen sind. Aber noch mal: Wenn so eine Ladung Autos erst einmal brennt, wütet so ein Feuer, da ist egal welche Antriebstechnik die Autos hatten.
Reden Sie das Risiko brennender Akkus nicht unangemessen klein?
Verstehen Sie mich nicht falsch. E-Akkus als Ladung können durchaus eine Gefahr darstellen. Aber die Probleme treten in der Regel beim Transport von großen Mengen einzelner Lithium-Ionen-Akkus in Containern auf. Da gibt es regelmäßig Brände, weshalb die Ladung auch als Gefahrgut deklariert sein muss, damit unterliegt sie besonderen Stauvorschriften. Leider ist es in der Praxis aber so, dass manche Versender die Akkus nicht als Gefahrgut kennzeichnen, um die Transportkosten zu senken. Das kann dann ins Auge gehen.
Wären denn besonders gesicherte Stellplätze für E-Autos auf Transportschiffen eine Option, das Brandrisiko zu vermindern?
Wir brauchen nicht spezielle E-Auto-Stellplätze, sondern ganz grundsätzlich ein deutlich höheres Sicherheitsniveau auf den Transportern, um die Schäden zu minimieren.
Was heißt das konkret?
Es braucht mehr und kleinere Brandabschnitte auf den Schiffen, die schnell und wirklich luftdicht abzusperren sind, damit ein Feuer auf eine möglichst kleine Fläche begrenzt bleibt. Außerdem brauchen wir deutlich mehr CO2 als Löschmittel, das den fürs Brennen benötigten Sauerstoff verdrängt. Derzeit ist das Anderthalbfache der fürs Fluten des größten Brandabschnitts benötigten Menge vorgeschrieben. Das ist viel zu wenig, um etwa bei Undichtigkeiten oder größeren Schadensflächen wirksam löschen zu können. Und dann braucht es neben CO2 noch weitere Löschmittel an Bord.
Welche sind das?
Wir fordern auf allen Decks Sprinklersysteme für Hochdruckwassernebel, die sofort auslösen, wenn irgendwo ein Feuer entsteht. Der Nebel hat eine gute Löschwirkung, gefährdet aber viel weniger die Stabilität des Schiffes als die immensen Mengen an Löschwasser, mit denen entwickelte Brände später bekämpft werden müssen und die Schiffe sogar zum Kentern bringen können.
Solche Löschanlagen sind nicht vorgeschrieben?
Bisher nicht. Sicherheit kostet Geld und der Kostendruck ist immens. Die wenigsten Reeder investieren gerne mehr als sie müssen.
Zumindest solange die Versicherung beim Totalverlust zahlt. Warum gehen die Schiffsversicherer das Risiko denn sehenden Auges ein?
Die geltenden Anforderungen sind seit Jahren etabliert, da ist es in einem derart wettbewerbsintensiven Markt schwer als einzelner Spieler neue Regeln zu etablieren. Und eine branchenweite Absprache wäre kartellrechtlich sicher sensibel. Aber es ist ja nicht so, als wenn die Szene nicht reagierte.
Nämlich?
Unter anderem gibt es ja auch noch die Warenversicherer, die auf mehr Sicherheit beim Transport drängen und die Prämien bei höheren Risiken erhöhen können. Zum Vergleich: Ein mittlerer Autofrachter mit einem Alter von 10 bis 15 Jahren kann mit 40 bis 50 Millionen Euro gegen den Totalverlust des Schiffes versichert sein. Aber der Schaden am Transportgut, der beim Untergang der mit Tausenden Luxusautos beladenen „Felicity Ace“ im Frühjahr 2022 vor den Azoren entstand, der lag bei rund 400 Millionen Euro. Das heißt, der Druck, auf schlechte Risiken mit höheren Prämien zu reagieren, ist bei der Warenversicherung deutlich größer als bei der Kaskoversicherung der Schiffe. Entsprechend haben die Versender ein steigendes Interesse an mehr Sicherheit, um die Prämien klein zu halten.
Wer könnte denn schärfere Sicherheitsvorgaben durchsetzen, wenn nicht die Versicherer selbst?
Die IMO, die International Maritime Organization, eine Unterorganisation der UN, die die Regularien für den internationalen Seetransport festlegt, könnte dies tun. Dort laufen seit einiger Zeit schon Bestrebungen, die Brandschutzanforderungen für Seeschiffe neu und strenger zu definieren. In dem Prozess haben wir Versicherer zwar kein Stimm-, aber durchaus ein Rederecht, und das nutzen wir aus. Sowohl unser weltweiter Dachverband IUMI auf internationaler Ebene als auch wir vom GDV in Deutschland arbeiten gerade an mehreren Positionspapieren für mehr Sicherheit im Schiffstransport.
Gesetzt den Fall, Sie finden Gehör: Wie lange wird es dauern, bis solche Vorgaben dann auch wirksam werden?
Da muss man realistisch sein. Bis die ganzen Abstimmungsprozesse durch sind, sind wir in den 2030er-Jahren. Und dann werden die neuen Regelungen sicher zum größten Teil nur für Schiffsneubauten gelten und nicht mehr für die vorhandene Flotte, die schon auf den Meeren unterwegs ist.
Das heißt, es werden noch ein paar Frachter brennen, bevor es besser wird?
Davon ist leider auszugehen.
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