Crispr/Cas „Jetzt beginnt eine neue Ära der Medizin“

In Großbritannien ist erstmals eine Gentherapie zugelassen worden, die auf der sogenannten Gen-Schere Crispr basiert.

Großbritannien hat die erste Crispr-Gentherapie zugelassen – ein Meilenstein, sagt Genforscher Toni Cathomen. Bald könne es auch Crispr-Therapien gegen Krebs oder Herzinfarkt geben.

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Toni Cathomen: Herr Cathomen, Großbritannien hat die erste Therapie auf Basis der Genschere Crispr/Cas zugelassen. Was bedeutet das für die Medizin?
Toni Cathomen: Die Zulassung ist ein großer Durchbruch, ein Meilenstein für das ganze Feld des Genome Editings. Jetzt beginnt eine neue Ära der Medizin: In Zukunft können wir vermehrt mit dieser Technologie Krankheiten auf der Ebene des Erbguts therapieren – und so viel zielgerichteter und personalisierter Medikamente herstellen. Eine Wahnsinnsleistung, wenn man bedenkt, dass 2012 erstmals über Crispr/Cas berichtet worden ist – und wir jetzt nur gut zehn Jahre später ein erstes Medikament haben, das auf dieser Technologie beruht.

Wie funktioniert das neue Medikament namens Casgevy genau?
Die neue Therapie ist für an Patienten mit Sichelzellenanämie oder Beta-Thalassämie vorgesehen – angeborene Blutkrankheiten, für die es bislang keine Heilung gab. Nun entnehmen Ärzte Blutstammzellen aus dem Knochenmark der Patienten und verändern mit Crispr/Cas gezielt bestimmte Stellen im Erbgut. Damit schalten sie quasi ein Programm an, so dass die Patienten wieder genug Hämoglobin produzieren können, das für den Sauerstofftransport im Körper zuständig ist.

Die Patienten sind damit geheilt?
Die ersten Patienten wurden in klinischen Studien vor drei, vier Jahren mit diesen genetisch veränderten Stammzellen therapiert, und es geht ihnen sehr gut. Sie können wieder ein ganz normales Leben führen. Das zeigt, dass das Medikament nicht nur wirksam ist, sondern auf der Grundlage dessen, was wir im Moment wissen, auch sicher ist. Und das ist eine ganz wichtige Aussage für das gesamte Feld. Das wird andere Forscher beflügeln, weitere Medikamente mit Hilfe von Genome Editing auf den Markt zu bringen.

Zur Person

Bisher haben nur die Briten Casgevy zugelassen – wann werden wir das erste Crispr-Medikament auch in der EU auf dem Markt sehen?
Ich gehe davon aus, dass Casgevy als Nächstes am 8. Dezember in den USA zugelassen wird – und ich hoffe, die Europäer lassen sich nicht viel Zeit und werden das Medikament auch bald zulassen.

Welche weiteren Therapien könnten mit Crispr/Cas bald möglich werden?
Es werden weltweit aktuell rund 60 klinische Studien mit Genscheren durchgeführt. Etwa gegen die so genannte Hypercholesterinämie. Bei dieser Erbkrankheit kann der Körper Cholesterin nicht richtig abbauen. Die Patienten haben ein extrem hohes Risiko, an einem Herzinfarkt zu sterben. Mit der Crispr-Methode kann man jetzt ein bestimmtes Gen ausschalten und das führt dazu, dass das mehr Cholesterin abgebaut werden kann. Das Risiko, an einem Herzinfarkt zu sterben, sinkt damit erheblich. Ein solches Medikament dürfte sehr bald zugelassen werden – und auch das wird ein weiterer großer Meilenstein sein.

Warum das?
Beim Medikament gegen Sichelzellenanämie wird die Crispr-Genschere außerhalb des Körpers eingesetzt, ex vivo – die Blutstammzellen werden im Labor genetisch verändert und dem Patienten wieder transplantiert. Bei der Therapie gegen Hypercholesterinämie wird Crispr in den Körper eingeführt, in vivo, und schaltet das Gen direkt in den Leberzellen aus. Und wenn das gelingt, lassen sich hoffentlich noch viele andere Krankheiten mit Crispr behandeln.

Zum Beispiel?
Ich denke vor allem an die Therapie von Krebs: Forscher wollen mit Crispr/Cas so genannte CAR-T-Zelltherapien verbessern, die das Immunsystem gegen Tumorzellen aktivieren. Im Moment lassen sich so vor allem seltene Tumorerkrankungen wie verschiedene Formen von Blutkrebs therapieren. Mit der Crispr/Cas-Technologie können wir in Zukunft hoffentlich diese Immunzellen genetisch so verändern, dass sie auch gegen solide Tumoren vorgehen können. Dann hätten wir eine ganz große Hürde in der Behandlung von Krebs genommen.

Wann dürfte es so weit sein?
Ich bin eher zurückhaltend, was Prognosen angeht. Aber wenn man sieht, was für Fortschritte erzielt wurden in den letzten fünf Jahren, dann bin ich zuversichtlich, dass wir in den nächsten fünf Jahren auch ein erstes Medikament gegen einen bestimmten soliden Tumor haben werden. Und bei uns in Freiburg arbeiten wir daran, eine Krebstherapie mit einer Therapie gegen HIV zu kombinieren.

Wie funktioniert das?
Wir wollen HIV-positiven Krebspatienten, die eine Stammzelltransplantation gegen den Krebs bekommen, Stammzellen transplantieren, die genetisch so verändert sind, dass die Patienten nachher HIV resistent sind. Es gibt in anderen Laboren auch Ansätze gegen eine Reihe weiterer chronischer Virenerkrankungen wie Hepatitis-B, die im Tiermodell schon sehr vielversprechend sind.

Die Kosten für Casgevy sind noch nicht bekannt, aber andere Zell- und Gentherapien kosten schnell Millionen von Euro. Wird Crispr nur ein Heilmittel für die Reichen?
Wir müssen ehrlich sein – die Therapie, über die wir im Moment sprechen, können sich nur die Gesundheitssysteme in reichen Ländern leisten. Die meisten der 20 Millionen Patienten, die an Sichelzellenanämie leiden, leben in Afrika – und sie werden großteils leider etwas länger auf eine Behandlung warten müssen. Doch Forscher arbeiten daran, die Kosten deutlich zu senken.

Wie kann das gelingen?
Der Weg wird wahrscheinlich dahin führen, Crispr/Cas möglichst direkt im Körper einzusetzen, statt Zellen im Labor zu behandeln. Wenn wir es schaffen, die Zellen direkt im Körper des Patienten zu korrigieren, dann wird es deutlich billiger.

Was muss die Forschung dazu noch entwickeln?
Wenn wir die Genschere innerhalb des Körpers einsetzen, dann müssen wir so genannte Genfähren herstellen, die das gewünschte Organ ansteuern können – und nicht auch andere Orte im Körper. Das ist eine große Herausforderung. Aber wir können auf die gleiche Technologie bauen, wie wir sie von der mRNA-Impfung gegen Coronaviren kennen – so genannte Lipid-Nanopartikel.

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Gegen die Impfung hatten viele Menschen erst einmal Vorbehalte, dabei greift sie nicht in das Erbgut im Zellkern ein. Crispr/Cas tut das dagegen schon. Wie viel wissen wir über die Risiken – was ist, wenn die Genschere an der falschen Stelle schneidet?
Forscher haben in Laboren versucht, Casgevy quasi nachzukochen, und haben in sehr seltenen Fällen tatsächlich Fehlschnitte feststellen können, aber man geht davon aus, dass in der Zukunft nicht zu Problemen führen werden. Man wird natürlich mehr wissen, wenn wir die Patienten fünf bis zehn Jahre beobachtet haben. Stand heute kann man davon ausgehen, dass die Technologie relativ sicher ist. Und man darf nicht vergessen: Crispr/Cas kommt nur bei Patienten zum Einsatz, die schwer krank sind – und da ist der Nutzen ganz klar größer als das Risiko.

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