Man könnte einwenden, Nahrungsmittel ließen sich nicht erfinden. Ein Maiskolben sah stets aus wie ein Maiskolben. Vielleicht haben wir Vegetabilien durch fortwährende Züchtung über die Jahrhunderte etwas widerstandsfähiger oder größer gemacht; aber doch wohl kaum erfunden? Tatsächlich ist alles, was wir essen, irgendwann erfunden worden – und zwar letztlich in der gleichen Weise wie die Dampfmaschine. Praktisch nichts von dem, was wir heutzutage zu uns nehmen, entstammt noch der Natur, auch wenn wir lieber das Gegenteil glauben möchten. Und dabei geht es nicht nur um Fertigpizzas oder Kunstkäse. Die Karotte ist eines der am offensichtlichsten von Menschenhand beeinflussten Nahrungsmittel, das man sich vorstellen kann. Man sieht es ihr an, und zwar wegen des knalligen Orange, in dem sie daherkommt.
Orange für Willem van Oranje
Ursprünglich waren Karotten weiß oder violett. Im 16. Jahrhundert kamen niederländische Pflanzenzüchter jedoch auf die Idee, Prinz Wilhelm I. die Karotte zu widmen, gewissermaßen als vegetabilen Orden für seine herausragenden Leistungen auf dem Gebiet des Katholikenmassakrierens. Die Monarchen-Möhre, welche den Gärtnern vorschwebte, sollte nicht einfach nur den Namen des Herrschers tragen, sondern diesem auch durch ihre Farbgebung huldigen. Wegen Willem van Oranje besitzt die moderne Möhre deshalb ihre unnatürliche Farbe.
Erstellte man eine Liste der wichtigsten Erfinder der Geschichte, landete auf Platz eins möglicherweise nicht Vint Cerf, der Vater des Internets und auch nicht Henry Ford – sondern Antoine Parmentier, der Wegbereiter der Kartoffel. Verglichen mit der Wirkung der Knolle auf unsere Gesellschaft, nehmen sich die Folgen von iPhone oder Auto geradezu bescheiden aus. Warum? Weil es nicht die Dampfmaschine war, die die Industrialisierung möglich machte. Es war die Kartoffel.
Keiner wollte die Kartoffel
Kolumbus hatte die Knolle mit nach Europa gebracht. Aber zunächst wollte sie niemand essen. Abergläubische Menschen meinten, Kartoffelverzehr führe zu Lepra. Und selbst weniger hysterische Zeitgenossen wie der französische Philosoph Denis Diderot ließen kaum ein gutes Haar an ihr: "Egal, wie man sie zubereitet", schrieb er in seiner "Encyclopédie", "die Wurzel schmeckt nach nichts, außer nach Stärke." Dass sie Krankheiten verursache, hielt er für Unsinn. Aber man könne "sie nicht als Genuss bezeichnen... sie ist für jene, die lediglich am Nährwert interessiert sind." Außerdem dürfe der Kartoffelesser nichts gegen schlimme Blähungen haben, so Diderot. Denn sie sei äußerst "windig".